Besetzungsmacht "Geist"

„Die Geister, die ich rief, werde ich nicht mehr los!“, ruft Goethes Zauberlehrling voller Verzweiflung.

Es scheint die conditio humana zu sein, unentrinnbar und umgeben von fremdem Einfluss zu sein.

Man ist heimgesucht, befallen von Geist. Doch die allermeisten sind ahnungslos und haben nicht bemerkt, dass eine Kraft, die vorgibt, „ich“ zu sein, in sie eingedrungen ist und sich da ausgebreitet hat. Unter „ich“ verstehen wir das Intimste, Nächste, den innersten Ort des Menschen, das Subjekt selber. Gibt es uns einen Ort, der näher wäre als „ich“? Wir erfahren es als unsere Heimat, als unser Ureigenstes, als das Gegenteil von fremd.

Und doch fühlen wir uns in diesem „ich“, wenn man sich ein wenig beobachtet,  nie wirklich Zuhause und friedvoll. Man erkennt es aber meistens nicht, weil man sich ja selber als dieses hält.

Würde man von fremder „Besetzungsmacht“ würde die innere Aufmerksamkeit erweckt. Aber wir sprechen nicht von dieser Vereinnehmung, sondern halten dies als unser innerstes Wesen.

Es ist eine Überlagerungskraft, die die Seele, das wahre Ich, übertüncht mit dem angenommenen Nicht-ich mit seinen horizontalen Vorstellungswelten, die sich festgekrallt hatten, weil man sie unüberprüft einfach übernommen wurden. Das griechische Wort „charaxo“ bedeutet „einprägen“, „eingravieren“. Daraus leitet sich das deutsche Wort „Charakter“ ab. Charakterlosigkeit im Sinne von Ungeprägtheit ist das Tor für die Verwirklichung der Seele. Ohne das Unterscheidungsvermögen zwischen der Seele und dem Geist ist man im Labyrinth innerer Welten vollkommen verloren.

 

Der denkende Geist ist das angenommene Fremdwesen, welches von der Seele unterschieden werden muss. Beide tragen den gleichen Namen und nennen sich „ich“.

Ein Mensch in der Welt meint mit „meinem Willen“, „meiner Meinung“, „meinen Vorstellungen“, „meinen Gefühlen“, oder „meine Welt“ nicht das unvergängliche Selbst, sondern das angenommene Rollenverhalten des Geistes.

Im Enneagramm findet sich eine exakte Landkarte des denkenden Geistes, seiner Strukturen, die aus dem Unbewussten heraus wirken. Durch diese Wirkung kann der Geist indirekt sichtbar werden.

Die Verschmelzung zwischen dem Wahrnehmenden mit dem Wahrgenommenen wird Identifikation genannt, Gleichsetzung.

Identifikation geht immer mit einem Bewusstseinsverlust einher.

 

Was ist der Geist?

 

Eine Kette von Übertragungen von Grundhaltungen, wie wir die Welt verstehen und erkennen, von einem Leben zu anderen.

Er ist eine Ansammlung vergangener Gedanken, die durch jede Wiederholung verfestigt wurden. Nur wenige sind diesem Geist jemals auf den Grund gegangen. Denn seine Hinterfragung ist die Infragestellung von Tausenden von Jahren.

In dem Geist spielen sich aller Kummer und alle Sorgen und Schmerz ab, aber auch alle Wonnen und Freuden.