Gottes-Projektion

Wenn wir Sri Krishna, Gott, erfahren, dann gibt es in dieser Erfahrung anfänglich (bis auf die Ebene von Asakti) Vermischungen zwischen unseren eigenen Projektionen, Wünschen, Sehnsüchten, Erwartungen, Gottesbildern und der ewig unveränderlichen Wirklichkeit Sri Govindas.
Bei allem Zweifel, ob wir im Verlaufe unseres Sadhanas nur unseren eigenen Projektionen von Gott begegnen, gibt es aber auch die echte Gotteserfahrung, in der Sri Krishna zu uns spricht, in der uns Seine Gegenwart gewiss ist, in der wir tief im Inneren wissen, dass Er es war, der uns da berührt hat.
Zugleich müssen wir uns aber bewusst sein, dass auf den anfänglichen Stufen von Bhakti sich unsere inneren Erfahrungen und Verwirklichungen noch vermischen mit Täuschungen, Fehldeutungen und Projektionen eigener Vorstellungen. Da ist man noch in Gefahr, Krishna für seine eigenen Interessen zu vereinnahmen oder Ihn sogar zu benutzen, unserer eigenen Wirklichkeit, meinem eigenen Lebenspfad aus dem Weg zu gehen.
Mit "Krishna-Illusion" ist nicht die absolute spirituelle Realität Krishnas gemeint, sondern die individuell zusammengebastelte und zum Teil auch noch illusionäre Vorstellung über das, was man selber für Krishna hält, aber dennoch nicht mit dem aprakrt-dham (der ewigen spirituellen Realität) kongruent sein muss.

Spirituelle Illusionen sind eigentlich noch schlimmer, als sich mit der Tatsache abzufinden, dass man sich noch ganz schön dicht in einer Welt der materiellen Illusionen befindet.
Zumindest ist man dann in der Ausgangslage, für spirituelle Erfahrungen offen zu sein. In einer "spirituellen Illusion" sind je nach dem die Türen zu echten spirituellen Verwirklichungen durch die Filter des eigenen Geistes verschlossen. Schwarz/weiss Konzepte im religiösen und onthologischen Bereich sind oft ein hervorstechendes Symptom von solchen spirituellen Illusionen.

Die sastras ermutigen uns, immer an uns zu zweifeln, ob wir WIRKLICH Krishna erfahren. Viele können genau dies nicht, denn sie haben Angst, dass sie sich Gott nur einbilden, damit es ihnen besser geht oder um ihre Angst zu beruhigen. Diese Angst, dass ich mir die Begegnung mit Krishna nur einbilde, kenne ich auch.
Dann setze ich auf die Karte, auf die die grossen vergangenen Acaryas gesetzt haben.
"Befreit von Anhaftung, Angst und Zorn, völlig in Mich versunken und bei Mir Zuflucht suchend, wurden viele, viele Menschen in der Vergangenheit durch Wissen über Mich geläutert - und so erlangten sie alle transzendentale Liebe zu Mir." (BG 4.10)
Ich bin ja nicht alleine in meiner Auswahl. Ich bin da in guter Gemeinschaft mit den grössten Heiligen, die gleiches getan haben.

Arjuna spricht: "Du bist die Höchste Persönlichkeit Gottes, das Höchste Reich, der Reinste, die Absolute Wahrheit. Du bist die ewige, transzendentale, ursprüngliche Person, der Ungeborene, der Grösste. Alle bedeutenden Weisen, wie Narada, Asita, Devala und Vyasa, bestätigen diese Wahrheit über Dich, und jetzt erklärst Du es mir selbst" (BG 10.12-13)

Aber der Zweifel gehört immer wieder zu echtem Sraddha (Vertrauen ins Heilige) dazu, denn er zwingt uns, eigene Projektionen zu erkennen und somit sich von ihnen zu befreien, das heisst nach dem wirklichen Gott Ausschau zu halten. Ein kanistha (Anfänger im spirituellen Leben) will den Zweifel nicht zulassen; er will ihn verdrängen - und bleibt somit an der Oberfläche. Die Unfähigkeit, offen an Zweifel heranzugehen - und das unangenehme Gefühl bei ihrer Konfrontation nicht tolerieren zu wollen, ist ein Anzeichen von innerer Unsicherheit. Denn die Zweifel könnten ja rechhaben... Aber ich habe mich krampfhaft an etwas geklammert, das nun wahr sein muss. Diese Haltung ist die Grundlage für religiöse Dogmen, das heisst unerlebte Spiritualität. Und diese Oberflächlichkeit erzeugt direkt Abwendung von Gott, das heisst Atheismus.
komala sraddha (oberflächlicher Glaube) will, aus einer Unsicherheit in der Überzeugung heraus (die versucht man zu übertünchen mit einem "sich-Festklammern) und einem einfachen Mangel in der Erfahrung, alles wörtlich nehmen. Und somit die Transzendenz zu begrenzen auf Regeln und Dinge, die man tun oder unterlassen soll.
Erst ein Uttama-adhikari (ein reifer Transzendentalist) hat wirklich alle Zweifel beantwortet. Ohne die Konfrontation mit ihnen, wäre er aber nie zu diesem tieferen, erfahrenen Vertrauen gekommen.

Ein Sadhaka darf auch seine Emotionen nicht mit Gotteserfahrung gleich setzen. Tut er dies, wird er sehr bald spüren, dass Krishna ganz woanders zu finden ist, und dass er sich nur um sich selber herum drehte. Wer Gott mit seinen Emotionen identifiziert, der missbraucht Gott wie eine Droge, die ihm ein High-Gefühl vermitteln soll. Doch es ist nicht eine Erfahrung von Transzendenz, sondern nur von eigenen Gefühlen. Deshalb ist eine erste Vorsichtsmassnahme, eine Grundlage für spirituelle Entwicklung, auch die Distanz zu Gedankenkonzepten, die innere Indifferenz zu Gefühlen und Emotionen, damit ich überhaupt Platz habe, für eine Ausrichtung zu Krishna hin. Deswegen geht ein übender Spiritualist immer wieder in das Schweigen hinein.

Manche reden von Gott, als ob sie ganz genau Bescheid wüssten, aber es sind nur Begriffe, intellektuelle Konzepte, über die sie sich unterhalten. Dieses unerfahrene und unverwirklichte Gerede, das gegen aussen hin auch abschreckend erscheint, kann sogar eine Abwehr gegen eine echte Gotteserfahrung sein. Man benützt Gott als eine Möglichkeit, Ihn zu umgehen. Die Bedrohung der existetiellen Sinnfrage taucht immer wieder im Leben auf. Weltliches Leben ist die sinnlose ständige Anstrengung, ihr auszuweichen. Durch die Berauschung (das einfachste), Arbeit und Karriere, Frust-Einkäufe, aber man kann dieses innere Loch auch "zu-beten".
Selbst beim Sprechen von katha (Gespräche über die Höchste Person) schwingt auch immer die eigene Lebenserfahrung, unsere samskaras (Eindrücke) mit. Und man legt in den Begriff "Gott" oft eigene sehr weltliche Sehnsüchte hinein.
Atma rama – alleine sein können!!!
Manchmal ist unsere Sicht zu Krishna so von dieser Wunde getrübt, dass wir erst an die unsere Wunde zugrundeliegende Erfahrung kommen müssen (vielleicht bestimmte Verletzungen, die zu Bitterkeit führten), um dann wirklich eine Begegnung mit Syamsundar zu erleben.

Manchmal benutze ich Gott für mich selbst - man missbraucht ihn wie eine Droge. So wie manche mit Alkohol alle Probleme zu lösen erhoffen, so möchten jene am liebsten mit Gott alle Schwierigkeiten meistern. Sie glauben, sie bräuchten nur zu beten und bestimmte religiöse Übungen zu praktizieren, dann hätten sie alles im Griff, dann bräuchten sie sich der eigenen Wahrheit nicht zu stellen.
Es gibt nicht nur eine Drogensucht, nicht nur eine Sex-, Spiel-, oder Beziehungssucht, es gibt auch religiöse Sucht. Und diese ist oft gar nicht so leicht zu erkennen, denn die Worte, die religiös Abhängige im Mund führen, stimmen ja.
Aber wir dürfen Gott nicht für uns missbrauchen. Wenn einer zu selbstsicher von Gott spricht, merkt er gar nicht, wie er Gott dazu benutzt, sich selber über die anderen zu stellen. Gott löst für ihn alle Probleme - mit diesem Patentrezept und anderen versimplifizierten spirituellen Wahrheiten ruft man bei anderen, speziell in einer säkulären - nach Heiligem dürstenden Welt - schnell Bewunderung hervor. Man überspielt eine eigene innere Unsicherheit und übt eine religiös-suggestive Macht über andere aus. (Man findet aus diesem Grund bei religiös Abhängigen oft eine starke Tendenz, ihren Glauben eifrig zu missionieren - um Menschen um sich zu haben, die einen wertschätzen)
Er benutzt Gott dazu, um sich gegenüber anderen Menschen als etwas Besonderes fühlen zu können. Aber dieses "spirituelle Sich-Selbst-Rühmen" ist mit Sicherheit das Gegenteil von echter Gotteserfahrung.