advaya-tattva - Gott in verschiedenen Aspekten

Srila Vyasadeva, der auf der Stufe seiner Reife in Samadhi, in tiefer Trance das Srimad Bhagavatam erlebt, möchte dieses nun auch manifestieren als Schrift, und bat Ganesha, ihm als Sekretär behilflich zu sein. .Er würde diese Erkenntnis innerlich auf Ganesha übertragen, damit er es doch  zum Nutzen der Menschen im Kali-yuga niederschreiben möge.

Ganesha war in einer Stimmung des Verhandelns und stellte eine Bedingung: „Ich werde aufhören zu schreiben, wenn ich eine Pause machen muss, dass heisst, du musst konstant diktieren.“

Vyasadeva ging darauf ein, sagte ihm aber: „Du darfst nur schreiben, was du verstanden hast.“ Ganesha dachte, das er dies eingehen könne, da er sehr intelligent ist und deswegen sehr zuversichtlich, dass er alles verstehen würde.

 

Sie setzten sich hin in den Himalayas und begannen das Bhagavatam, das ewig in Klangform existiert (Alle Veden sind keine Schriften, sondern Klang: „Man ist fähig, diesen feinen Klang der Vedas wahrzunehmen, wenn man alles äussere Hören einstellt.“ (SB 12.6.37)), in eine selbst für menschliche  Auffassungsgabe zugängliche Form zu bringen – als Schrift.

Ganz am Anfang des Bhagavatam (1.2.11) spricht Vyasadeva:

vadanti tat tattva-vidas

tattvam yaj jnanam advayam

brahmeti paramatmeti

bhagavan iti sabdyate

 

Ganesha fragte sich: „Was bedeutet dies?“ Und er dachte nach und versank in ein tiefes Nachsinnen – Vyasadeva hatte bereits alle 18’000 Verse des Bhagavatam gesprochen und Ganesha war noch immer in Gedanken über diesen einen Vers vertieft. 

Der Vers beschreibt, dass die Absolute Wahrheit advaya, nicht dual, nicht zweihaft, ist. Das bedeutet, dass es in ihr keine Dualität gibt, dass sie nur eins ist. Im Vers heisst es nun aber, dass sie in drei Aspekten ewig parallel erkennbar ist, als Brahman (undifferenzierte, immanente Energie. Es ist das Reservoir aller Freude, und vermittelt das Gefühl der Unendlichkeit, der eigenen Ewigkeit und wird realisiert durch die Selbstdefinition jenseits der Dualität dieser Welt.), Paramatma (eine personale Form Gottes, die weltbezogen ist, die sich manifestiert als die innere Führung, die wir noch wahrnehmen als tiefstes Gewissen, die ständig mit uns ist und auch alles beobachtet. Sie ist Gott in Vertretung als sein Gesetz, seine Gerechtigkeit. Er existiert sowohl innerhalb sowie auch ausserhalb von allem und inspiriert einen in den eigenen Lebenskonzepten.)  und Bhagavan (Gottes Transzendenz in personaler ewiger Personalität, der nicht gerecht, sondern liebevoll mitfühlend ist mit allen Wesen. Er erscheint persönlich in seinen von ihm erschaffenen materiellen Welten in unendlichen Formen, die alle absolut und ewig sind).

 

Ganesha war verwirrt – „Zuerst sagt er, die Wahrheit sei eine, nicht zwei, und nun ist sie plötzlich drei....Und selbst in der letztlichen Verkörperung dieser Absoluten Wahrheit, der Form Sri Krishnas, ist noch Dualität oder Unterschiedlichkeit erkennbar. Vyasadeva aber sagt in dem Vers, dass die Absolute Wahrheit advaya, eins (nicht-dual) sei.

Aber in ihm sieht man svagat-bheda, Unterschiedlichkeit in der Form Sri Krishnas. Seine Hand ist verschieden von seinen Füssen, seine Hand hat fünf Finger, aber nicht seine Füsse, er hat Augen, die verschieden sind von seiner Nase. Es gibt also Zweiheit und Mehrheit selbst in seinem eigenen Körper. Deshalb kann Krishna doch nicht die advaya-para-tattva, die nicht-duale Absolute Wahrheit sein.“

Srila Vyasadeva erleuchtet ihn:

In der Brahma-samhita (5.32) heisst es:

angani yasya sakalendriya-vrttimanti

pasyanti panti kalayanti ciram jaganti

ananda-cinmaya-sad-ujjvala-vigrahasya

Die Form Sri Krishnas besteht nicht wie unsere Körper aus Material dieser Welt, sondern ist ananda cinmaya, eine transzendente ewige Form, in welcher es zwar Varietät, aber nicht unterschiedliche Funktionen gibt. So vermag jeder Teil seines Körpers die Funktionen aller anderen zu erfüllen. Deshalb kann Krishna mit seinem Blick, also mit seinen Augen, die materiellen Welten schöpfen, und auch mit seinem gütigen Blick akzeptiert er alle Darbringungen, die ihm seine Geweihten schenken. Er isst also mit seinen Augen. Obwohl es in seiner Form also Vielheit gibt, ist es keine Dualität, da alles an ihm absolut ist. (Der obige Vers beschreibt, wie Krishna mit seiner Nase sehen kann, mit den Ohren sprechen und dass seine Augen riechen können und dass er mit jedem Teil seiner transzendenten Form allmächtig ist.)

Deshalb ist Sri Krishna svagat-bheda-rohita, frei von der Zweiheit seiner eigenen Form.“

 

Ganesha wendet weiter ein: „Aber in Krishna existiert sajatiya-bheda, eine Unterschiedlichkeit innerhalb seiner unendlichen Formen wie Krishna, Rama, Narasimha, Varahadeva, Vamanadeva, Kalki, Kurma, Matsya etc. (saja bedeutet in der selber Kaste) Krishna sieht ganz unterschiedlich aus wie Narashimha oder Matsya, und die einzelnen Formen Gottes sind auch unterschiedlich in ihren Aufgaben, Tätigkeiten und Eigenschaften. Sri Krishna ist also verschieden von seinen eigenen Erweiterungen.“

 

Vyasa erklärte dem anfänglich so übermütigen Ganesha auch dies geduldig: 

In der Brahma Samhita heisst es wiederum (5.33)

advaitam acyutam anadim ananta-rupam

Ja, Krishna hat unendliche Formen, aber sie sind alle advaita, eins. So wie der Mond einer ist, jedoch an Leermond nur eine dünne Scheibe von ihm zu sehen ist, die dann allmählich zu einem Vollmond heranwächst (deshalb heisst der Mont in Sanskrit auch sodasaka-kala, der 16 Phasen hat), so ist auch Gott eins, manifestiert sich aber dennoch in Verschiedenheit. In den einzelnen Avatars, die alle ganz ganz gleich von ihm sind, investiert er verschiedene Masse von sakti (Kraft) und aisvarya (ehrfurchtgebierende Füllen). Wenn Sri Krishna seine Aisvarya manifestiert, ist er Narayana, wenn er mehr seiner Aisvarya und Sakti offenbart, und dazu noch Madhuryata (seine Lieblichkeit) eingibt, ist er Ramacandra, und wenn er alle Füllen vollständig offenbart und alle Sakti und Aisvarya jedoch gleichzeitig ertrinken in seiner Madhuryata, dann ist er Nanda-nandana, Syamasundara. Sri Krishna ist Purnacnadra, der Vollmond und alle seine unendlichen von ihm ausgehenden Formen, sind zwar alle gleich in dem Sinne, dass sie Gott sind, aber dennoch unterscheiden sie sich in ihren Kalas (Mondphasen).

Brahma sagt auch (in der Brahma-Samhita 5.39)

ramadi-murtisu kala-niyamena tisthan

nanavataram akarod bhuvanesu kintu

krsnah svayam samabhavat paramah puman yo

“Der ursprüngliche Sri Krishna in Vrindavan erweitert sich in unendliche Formen, die alle nicht verschieden von ihm sind.”

 

Aber Ganesha, der so lange Zeit nur über diesen Vers nachdachte,  war noch immer verwirrt und drückte seine innere Unstimmigkeit auch aus: 

„Aber Krishna hat  vijatiya-bheda, eine Unterschiedlichkeit zwischen Ihm und dem, was nicht direkt Er selber ist. Es gibt eine Dualität zwischen Gott und seinen Energien, zwischen Ihm und der Maya, zwischen ihm und den Seelen. Und wie könnte man sagen, dass es keinen Unterschied gäbe zwischen den Seelen und Krishna?“

 

Vedavyas spricht ganz ruhig und klar:

„Was lässt dich folgern, dass zwei Dinge verschieden voneinander seien? Wenn zwei Dinge aus der gleichen Quelle emanieren, und sich gegenseitig niemals stören in ihrer Funktion oder sich behindern, können sie als gleich betrachtet werden.

Sri Krishna und seine Kräfte sind eins, sind nicht verschieden, so wie die Sonne und die Strahlen der Sonne eins sind. Die materielle Energie und die Lebewesen sind beide immer unter der weisen Führung Sri Krishnas und interferieren sich nie gegenseitig. 

Versuche diese Welt und die Lebewesen zu verstehen. 

Der Ur-Purusha, Mahavishnu liegt schlummernd im Ozean der Ursachen und aus seinen Poren emanieren alle unzähligen Universen wie kleine Schweissperlen. Diese Welt, in der wir uns gegenwärtig gerade befinden, ist ein Schweisstropfen von Mahavishnu. Wenn diese aus ihm herauskommen, beginnen sie sich auszudehnen, in ein Universum zu entwickeln, um dann, beim Einatmen Vishnus, wieder in Ihn einzugehen. In jeder Phase, im Ausatmen, im Wachsen, in den Veränderungen während ihres Bestehens, und in der Auflösung, unterstehen sie vollkommen der Kontrolle und Lenkung Sri Vishnus.

Wenn sich ein menschlicher Körper erhitzt, und er zu schwitzen beginnt, rinnen die Tropfen aus seiner Haut heraus. Solange sich das Wasser noch in seinem Körper befindet, wird es als Teil des Körpers betrachtet, doch ab dem Punkt, wo der Schweiss aus den Poren herauskommt, wird er verschieden vom Körper.

Aber mit Vishnu ist es anders. Jeder Tropfen, der aus seinen Poren herausströmt, bleibt Teil von ihm, bleibt unter seiner Kontrolle, seinem Schutz, in seiner Abhängigkeit und er zieht diesen auch wieder in seinen eigenen Körper zurück. Aus diesem Grund wird die gesamte materielle Manifestation mit den Lebewesen als eine nicht-differente Manifestation Gottes betrachtet.

Zudem interferieren diese unterschiedlichen Manifestationen Gottes (die Seelen und die materielle Natur) nie miteinander in ihren Funktionen. Die Seele hat nicht ein Kontroll-Einfluss über die Welt, da diese unter der präzisen Führung Vishnus steht. 

Manchmal denkt der Mensch, dass bestimmte Umstände oder andere Wesen ihm im Weg stünden und Probleme kreierten –ihn also in seiner Funktion beeinträchtigten. Aber dies ist nur ein Missverständnis, eine Fehlinterpretation der Wirklichkeit, denn alles, was uns irgend eine andere Person (oder auch die materielle Natur, die ja unter der Oberhoheit der Devas, also auch anderen Personen steht) antut, ist nur gemäss unserem eigenen karma.

 

Das gesamte Universum fliesst also wie eine gigantische und perfekt dirigierte Symphonie. Zu jeder Zeit ist alles, was geschieht, auch die grössten Katastrophen und scheinbaren Unstimmigkeiten in ihm, in Krishnas Kontrolle und Einwilligung (das bedeutet aber nicht, dass alles sein Wille oder gar seine Intention wäre, denn da gewährt er den Seelen den Freiraum ihres Willens).

Und alles, die materielle Natur, die Lebewesen und alle Erweiterungen Gottes sind in dieser absoluten Wahrheit enthalten, sind von ihr getragen und gestützt.

Und die Form dieser absoluten Wahrheit ist ein kleiner junger Knabe, der in den Wäldern von Vrindavan auf seiner Flöte spielt.

Deshalb heisst Sri Krishna advaya para tattva (die eine nichtduale Absolute Wahrheit).

 

Diese Absolute Wahrheit ist eine ohne eine zweite und ist ausgestattet mit acintya sakti, unbegrenzten und unbegreiflichen Kräften. 

In den Veden wird erklärt, wie diese eine Wahrheit durch ihre acintya-sakti ewiglich parallel in vier Bereichen existiert: svarupa (die Urform Gottes, Sri Krishna in Vrindavana), tad rupa vaibhava (die Erweiterungen seine Form, aber auch sein ewiger Ruheort, das spirituelle Königreich, der Dham), jiva (die Lebewesen, die sowohl in den materiellen Universen exisitieren – eben von Mahavishnu manifestiert, als auch die ewig befreiten Seelen in der spirituellen Welt, die nie mit der Abgetrenntheit in Berührung kommen) und pradhana (die materielle Energie).

 

Aber all diese vier sind gleichzeitig eins. Sri Krishna ist wie der Sonnenplanet, die Erweiterungen wie der Lichglanz (mandala) um die Sonne herum, die Lebewesen sind wie die Sonnenstrahlen und die Reflektion der Sonne ist die Materie. Ohne Krishna gäbe es keine Existenz von irgend etwas. Alles ist abhängig und gleichzeitig liebevoll mit ihm verbunden. Da alles abhängig ist von ihm und in seiner Kontrolle befindend, kann er sich auch manifestieren durch alle seine Energien hindurch, die nicht verschieden von ihm sind. 

Jegliche Theopraxis zielt auf die Verwirklichung der absoluten Wahrheit hin, die dann innen und aussen, überall, wahrgenommen wird.

Prahlad Maharaja hat diese Wahrheit verwirklicht. Deswegen war er in allen Lebenssituationen immer vollkommen furchtlos und aufgehoben. Immer glücklich (prasannatma – BG 18.54) und nie gestört in allen Umständen. 

Er wurde von seinem dämonischen Vater unter Elefanten und ins Feuer geworfen, vergiftet, sie versuchten ihn in Stücke zu schneiden, ihn zu braten in heissem Öl, und ihn von Bergen zu stürzen. Er liess sich in keinster Weise von der Erinnerung an diese Absolute Wahrheit stören, war absorbiert in dessen heiligen Namen und war vollkommen ausgeglichen und zufrieden. Dieses Bewusstsein nennt man Krishnabewusstsein.“

 

Wir können bei uns selber Puls fühlen und konstatieren, inwiefern wir selber Krishnabewusst sind. Werden wir gestört oder ängstlich oder ein wenig nervös, wenn uns jemand von einem hohen Bergipfel stürzen, oder sonst Schaden zufügen möchte, bedeutet dies, dass da noch einen Mangel existiert. 

Das Chanten der Heiligen Namen bedeutet die Übung, in der Absoluten Wahrheit verankert zu sein in jedem Moment.