Lila - Vielfalt ohne Konflikt

 

 

 

Ein kleines Kompendium

von Krishna chandra

 

 

 

 

 

 

 

 

Vorgedanke

 

Wenn Vaishnavas von „Lila“ sprechen, dann verstehen die aufgeklärten Menschen von heute die mythische Ebene der Religion.

Damit wird gemeint, dass man in einer Welt von Wundern lebt. Moses teilte das Rote Meer, Jesus wurde von einer Jungfrau geboren, die Welt wird von einer gigantischen Schlange (Ananta) getragen und der Schöpfer ist auf einer Lotosblume geboren, die dem Nabel Vishnus entsprang.

Man hat verstanden, dass man die Welt nicht kommandieren kann. Aber die Götter können es. Wenn man weiss, wie man sie für sich stimmen kann, hat man sie auf seiner Seite.

Um meine persönlichen Wünsche erfüllt zu bekommen, muss ich Gesuche und Gebete an die Götter richten, und dann werden sie die Dinge für mich erledigen und die Naturgesetzte durch Wunder ausser Kraft setzen. Man will durch diese eingeübte Mentalität auch Gott zur innerweltlichen Intervention bewegen.

 

Der emanzipierte Mensch, der einen Prozess von 200 Jahren Aufklärung hindurchgegangen ist, in welcher er sich schmerzhaft vom einschränkenden Einfluss und der Aberglauben-Dimension der Religion befreite, kann nicht mehr an Mythen glauben und sieht sie bestenfalls als Metapher (allegorisch). Man hat Abschied genommen vom naiven kindlichen Wunderglauben, welcher annahm, die Präsenz Gottes müsse sich in der sinnlich wahrgenommenen Welt durch ausserordentlichen Eingriff zeigen.

In der aufgeklärten Spiritualität versteht man inneren Fortschritt als das stille Anwachsen des Urvertrauens und der Gottesliebe, ohne dass Gott in die Naturgesetze hinein zu wirken bräuchte.

 

Wenn nun Menschen in Kontakt kommen mit dem Verständnis des vedischen Gottesverständnisses, welches vom „ewigen Spiel Gottes“ berichtet, muss man nicht erstaunt sein, dass die meisten Menschen dies als prärational einstufen und nicht wirklich ernst nehmen können.

 

Da im indischen Kulturkreis reflektiertes eigenes Denken nicht wirklich gefördert wird, erkennt man im Dunstfeld dieser Lila-Beschreibungen auch mittelalterlicher indischer Dorfglaube und fundamentalistische Züge.

Die Vaishnavas aber behaupten sehr eindringlich, Lila nicht als allegorische Darstellung zu verstehen, sondern als absolute Wirklichkeit…

Die folgenden Ausführungen sollen ein Verständnis vermitteln, was eigentlich mit „Lila“ gemeint ist.

 

In interreligiösen Gesprächen trifft man sich gegenseitig bei Gott. Man erlebt das Gemeinsame, den Geist der Verbundenheit. Aber es darf ja nicht zu einer völligen Verschmelzung führen – das wäre der Synkretismus, der besagt, dass alle Religionen identisch seien. Dies wäre eine oberflächliche Nivellierung der reichhaltigen Unterschiedlichkeit.

Da reflektiere ich und denke nach, was denn das Einzigartige und Aussergewöhnliche an der Radha-Krishna-Bhakti ist. Diese Überlegung geschieht nicht im Sinne eines Überlegenheitsgefühls oder um sich auf seinem spirituellen Weg abzusichern („die Abgrenzung ist ein Symptom der Vertrauens-Schwäche“), sondern einzig und allein nur, um die Dankbarkeit zu vergrössern. In diesem objektiven Vergleich geht es nicht um Zeremonien und auch nicht um moralische Verhaltensmassnahmen (ich verstehe sehr gut, warum im Islam der Vegetarismus für diese Wüstenvölker nicht empfohlen wurde), sondern um die Grundstimmung, die der einzelnen spirituellen Tradition inneliegt.

Da spüre ich in der vedischen Gottes-Offenbarung immer eine Leichtigkeit und Freude als Grundstimmung (susukham kartum avyayam Bhagavad Gita 9.2), wie ich sie in den abrahamitischen Religionen nicht finde, wo Gottes-Angst und Schuld immer ein zentrales Thema ist.

 

Aber das Einmaligste, was mir gerade im Dialog und im „Sich-Einlassen“ auf die Anderen (das ist meine Grundprämisse für jede Begegnung) so richtig klar wird, ist die Transzendenz Gottes. In den Religionen wird Gott meistens betrachtet als Schöpfer und Erhalter dieser Welt, dem keine separate Existenz jenseits seiner Schöpfung zugestanden wird oder welche zumindest nicht im Hauptfokus steht. Da bezieht man ihn auf sein hiesiges Leben und lernt, ihn in unseren Alltag zu integrieren.

Krishna-Bhakti ist theozentrisch – da will man sich selber absolut ungeachtet der innerweltlichen Zustände allein auf die Welt Gottes beziehen und sich in Seinen Alltag integrieren.

In der Radha-krishna-bhakti ist Gott nicht mehr Schöpfer, Erhalter und Zerstörer der Wandelwelten. Zwar durchdringt er alles, aber der Aspekt seiner Allmacht und Allgegenwart ist nur ein äusserlicher. Sein wahres Sein ist in Vrindavan. Dort ist er und geniesst den Austausch der Liebe. Gott ist unendlich glücklich.

Jeder, der sich mit der Vraja-bhakti Tradition auseinandersetzt, wird sehr bald einmal konfrontiert mit dem Thema „Lila“ und ist meistens verwirrt. Wieso sprechen diese gebildeten und aufgeklärten Menschen, die sich als spirituell suchende Menschen bezeichnen nun ständig über Geschichten von diesem Vrindavan, von Kühen und speziell immer von diesem Gopal, der die Kühe hüten soll?

Die grösste Versammlung von Heiligen des alten Indiens, Personen, die alles in der Welt verlassen haben, die sich ausgeklinkt haben aus der Dualität des weltlichen Lebens, die keinerlei Begehren im Zeitweiligen mehr kannten, hatten alle nur ein einziges Thema zu diskutieren: Die Kuhhirtenmädchen von Vrindavan.

Das Thema „Lila“ ist schwer zu verstehen und somit auch schwer zu erklären. Dieses kleine Büchlein ist ein kleiner Versuch von mir dazu. Es enthält Ansätze, die alle sicher noch weiter ausformulierbar sind. Aber es vermag einmal einen kleinen Einblick verschaffen.

  

 

 

Inhalt

 

Einleitung

Was ist Lila?

Glück als Sinn

Aishvarya und madhurya

Wer spielt?

Krishna und seine Geweihten

Unverständlichkeit und Unbegreiflichkeit des Lila

Die Geburt des Ungeborenen

Einheit mit Vielfalt

Schlussgedanke

 

 

 

 

Einleitung

 

 

 

 „Das endgültige und höchste  Abschiednehmen besteht darin, Gott für Gott zu verlassen, die Vorstellung von Gott hinter sich zu lassen, um zu erfahren, was jede Vorstellung übersteigt.“

(Meister Eckhardt)

 

Denn auch das schönste Bild von Krishna ist nicht Krishna selbst, sondern die eigene Vorstellung von ihm.

 

Auch im Übersteigen aller Bilder von Gott, den eigenen Vorstellungen, wird man Sri Krishna nie definieren können, sondern nur sensibler werden für das Geheimnis Gottes, der immer nur offenbart werden kann.

 

Je mehr der Mensch in sein Inneres eingeht und äussere Vorstellungen und Erwartungen von der Welt fallen lässt – auch das schönste Bild von der Seele und von Gott ist nicht die Seele und ist nicht Gott – , desto seltener geschehen ausserordentliche Gnadeneinwirkungen und Phänomene. Visionen, innere Ansprachen und aufsteigende Bilder gehören nicht der innersten Erfahrung an. Der aufrichtig Betende legt keinen grossen Wert auf sie und lässt sie weiterziehen. Das eigene auf Gott übertragene Bild, das aus einer Erfahrung stammt, die wir mit den Sinnen dieser Welt aufgezeichnet haben, hat keinerlei Verbindung mit Gott und stellt eine Gottesverdunkelung dar.

Es bedarf also einer vollständigen Abnabelung von allen gespeicherten Eindrücken, die wir in unzähligen Leben aufgenommen haben. Dies geschieht in der Verankerung im eigenen innersten Selbst, in der Seele.

Dies ist ein Raum, der nicht mehr wird durch das Angenehme und nicht gemindert wird durch das, was komplett gegen den eigenen Plan verläuft.

 

Der grösste Gegner der stillen Versenkung ist sicherlich diese andauernde unterbewusste Aufzeichnung der Erscheinungen, zu denen wir glauben, in Beziehung zu stehen.

Ich als Seele brauche aber nicht von der Aussenwelt genährt zu werden, um das Gefühl zu erhalten, dass ich lebendig sei.

„Krishna, ein paar vor Dir im Schweigen verbrachte Momente sind mehr als Jahrhunderte des durch die Sinne erlebten Glückes.“

 

Diese Selbstverankerung stellt die Grundlage dar, die aufgenommenen Bilder nicht mehr als Teil seiner Selbst zu betrachten und sie somit auch nicht mehr auf Gott zu übertragen.

 

Im Innenleben gelangt man dann wahrscheinlich an den spannendsten Punkt: Wo man aufgrund innerlich erfahrener Substanz aufhört, Gott für sich selber zu instrumentalisieren. Das ist nicht nur das Einstellen einer Einkaufslisten-Spiritualität (vom Unbegrenzten die Erfüllung begrenzter Wünsche zu erhoffen, wie Gesundheit, Friede, gutes Gelingen eigener Vorhaben und ekstatische Erlebnisse im Gebet), sondern es ist das Ende eines anthropozentrischen, ja geozentrischen oder sogar universum-zentrischen Gottesverständnisses.

Wenn Gott nur verstanden wird als Schöpfer unserer Welt, dann ist das ein Welt-bezogener Gott. Was ist Gottes Sein jenseits von Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung der Prakriti (der materiellen Energie)? Da geht es nicht darum, Gott in sein Leben zu beziehen und zu integrieren, sondern um genau um das Umgekehrte – sich selbst in das Leben Gottes zu integrieren. Um dies einer Seele zu ermöglichen, offenbaren die vertraulichsten Teile der vedischen Literatur kleine Bruchstücke von Lila, Gottes ewigem Spiel, um die Seelen hier für diesen Schritt anzuleiten.

 

 

Gottesvorstellungen bleiben oft beschränkt auf eine Person im Himmel, welcher die guten und schlechten Taten der Menschen beobachtet und dann beim Tod der Person die Rechnung und die Bilanz liefert. Dieser Buchhalter-Gott ist eine egozentrische Vorstellung.

Darin wird verstanden, dass in der Welt, wo wir uns gerade befinden, das wirkliche Geschehen statt finde und dass Gott praktisch nichts anderes zu tun hätte, als in einem Zuschauerstatus das hiesige Geschehen zu bezeugen. Diese Vorstellung gebar ein Gottesbild als universaler Richter.

Die Wirklichkeit jedoch ist theozentrisch. Gott hat ein Eigenleben, eine eigene ewige Welt voller Freude und liebendem Austausch. Das wirkliche Geschehen findet dort statt und hier in der materiellen Welt verpasst man Wirklichkeit. Das ist der Urgrund für die latente Unruhe der Seele.

Die bekannteste Gottesdarstellung ist das Bild von Michaelangelo in der sixtinischen Kapelle in Rom. Weil Gott das urerste Wesen ist, wird er als alt mit grauem Haar verstanden und weil er alle Schöpfungen generiert, wird er als der muskelbeladene Stärkste betrachtet. Von dieser menschlich projizierten Vorstellung haben sich heute die meisten Menschen emanzipiert. Und dennoch unterliegt man dem Fehler des Antropomorphismus, der Übertragung menschlicher Vorstellungen, Ideenwelten und Erfahrungen auf Gott.

Denn wir machen in dieser Welt die Erfahrung, dass diese bedrohlich und gefährlich ist. Man erlebt die Umgebung als feindlich. Schon als Kleinkind machte man Erfahrungen, wie die Zeit gegen unsere Interessen angeht.

Natürlicherweise möchte man sich schützen und dafür sind zwei Dinge sehr wesentlich. Man möchte Wissen, damit man nicht mehr betrogen und hintergangen werden kann und man möchte Macht (Kraft, Geld, etc.), um nicht mehr ausgebeutet zu werden.

Das sind Fundamentalwerte, die in unserer Welt sehr viel gelten, weil sie einen von der grundlegenden Ungewissheit zu bewahren versuchen.

Genau diese Ideen und Werte überträgt der Mensch auf Gott. Es sind menschlich gesehen wichtige Paradigmen, die der Mensch dann auf Gott hin projiziert und ihm die Attribute der Allwissenheit und Allmächtigkeit zuschreibt. Weil einem niemand bewahren konnte, hofft man nun auf Gottes Schutz.

Diese Gotteseigenschaften sind nicht falsch, aber sie ergeben kein ganzes Bild und sind von der spirituellen Welt aus gesehen unbedeutend und peripher.

In der spirituellen Welt existiert keine Gefahr und keine Bedrohung. Folglich haben dort Gottesattribute „Wissen“ und „Macht“ keinen Wert und keine grosse Bedeutung. Es ist etwa so, wie wenn man mit indischen Rupies in einem Geschäft in Europa einkaufen möchte. Diese Währung gilt hier nicht und besitzt keinerlei Wert.  

Im ewigen Vrindavan zählen dafür „Schönheit“ und „Liebe“.

Dort ist Gott, Krishna, nicht mehr mächtig, sondern nur ein kleines unschuldiges Kind. Er ist betörend schön und geniesst und erwidert auf Rasa, den Ausdruck der Liebe in den Herzen seiner ewig Beigesellten.

 

Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen“, sagt der Volksmund. Nun multipliziere man diese guten Tage mit dem Faktor „Unendlichkeit“.

Das Ergebnis wäre trostlos.

Wir würden uns, wenn wir nicht sterben könnten, zu Tode langweilen. Selbst wenn wir im Jenseits neue Leute kennenlernen würden, wenn uns im Paradies alles geboten würde, so würde es doch spätestens nach einer Million Jahre oder einer Milliarde Jahre irgendwie ausgekostet sein.

Die Schriftstellerin Esther Vilar hat in ihrem Buch „Die Schrecken des Paradieses“ geschrieben: „Wenn wir je in die Zwangslage kommen sollten, zur Rechten Gottes zu sitzen, würden wir unserem Schöpfer nach all den Jahren himmlischer Langeweile auf Knien darum bitten, uns endlich vom zermürbenden Fluch der Unsterblichkeit zu erlösen“.

Wir würden Gott auf den Knien um unsere Auslöschung anflehen.

Wenn man naive innerweltliche Vorstellungen einfach in die Ewigkeit ausdehnt, dann würde selbst das allerschönste Erlebnis zu einer Horrorvorstellung werden.

Diese Perspektive ist verständlich, wenn man eigene menschliche Vorstellungen ins Ewige hinein projiziert. Lila aber ist ein Schimmer der Wirklichkeit, welcher von grossen Heiligen erlebt wurde und den sie als Anstoss zur faszinierendsten Liebesbeziehung vermitteln.

 

Der Höchste Gott hat noch tieferes göttliches Leben, das keinen Bezug zur Welt mehr hat. "Gott Eigentlich" svayam Bhagavan, offenbart sich. Die grossen kosmischen Prozesse nie endender Weltauflösung, nie endenden Welterschaffens und Weltbehütens, das Schicksal der Welten, das Schicksal der Völker und Einzelwesen, ist eigentlich nur Nebengeschehen auf der Nebenbühne der materiellen Welt, dem Ort, an dem Vergessen der Wirklichkeit gewährt ist.

Das ist Theozentrik, die den Menschen der Welt fast ein wenig erschrecken lassen.

Denn der Gläubige im Westen ist zumeist gewohnt, Gott auf sich, auf die Welt zu beziehen, die einem vermeintliche Geborgenheit schenkt und Gott wird als der Geber von Sicherheit in dem konstanten Wandel verstanden. Von sich aus, vom Standpunkt seines eigenen Wohls und Wehs oder seiner nächsten Umgebung oder seines Volkes oder der "Menschheit" aus, blickt er auf Gott hin, betet er zu dem Weltschöpfer und Weltenherrscher und Weltenrichter und Allerbarmer, ohne dessen Willen kein Grashalm sich bewegt, zu Ihm, "welcher die Welt so sehr geliebt hat, dass Er Seinen einzigen Sohn „herabsandte", um sie zu erlösen.

Der Gedanke, dass Gott - ganz jenseits der Welt - auch ein Eigenleben führen könne, und dass es der Sinn wahrer Religion sein könne, Gott ohne jede Rücksicht auf eigenes Wohl oder Weh zu erfreuen, das kommt dem religiösen Menschen im Abendland kaum in den Sinn. Das wäre Gottes Privatleben. Das ist Gottes transmoralisches Sein.

 

Was ist Lila?

 

 

Es gibt eine berühmte Sufi-Geschichte, die davon erzählt, wie eine Gruppe von Blinden einen Elefanten untersuchen. Sie betasten ihn, um durch die Berührung seiner Körperteile Aufschluss über ihn zu erhalten. Als sie dann Auskunft über das Wesen des Elefanten geben sollten, sagt der Mann, der das Ohr des Tieres betastet hatte: „Er ist ein grosses rauhes Etwas, weit und breit wie eine Decke“. Derjenige, der den Rüssel betastet hatte, sagt: „Nein, in Wirklichkeit ist er eine lange und hohle Röhre, furchterregend und gefährlich.“ Und derjenige, der die Beine betastet hatte, hält dagegen: „Er ist mächtig und fest und gleicht einer Säule.“

 

Diese Geschichte warnt davor, sich an Teilwahrheiten festzuhalten und sie zu verabsolutieren. Sie impliziert nicht, dass man in seinem Erkenntnisstreben resignieren sollte. Gerade angesichts der Vielfalt religiöser und spiritueller Erfahrungen und Einsichten ist Offenheit für den Reichtum und die Fülle dieser Erkenntnis von grundlegender Wichtigkeit.

Es gibt ja auch in der eigenen Tradition gegensätzliche Bilder von Gott. So legen wir ihn nicht voreilig fest. Durch die Gegensätze hindurch schaut man auf zu dem ganz anderen Gott.

Gott ist überpersönlich und individuell. Er ist der Herr, von dem ich niederfalle und er ist der Freund, der mir zur Seite steht. Er ist der Schöpfer der Welt und er ist im eigenen Herzen.

 

Gott ist nur in Gegensätzen denkbar. Die Gegensätze zeigen auf, dass man ihn auf kein Bild festlegen darf, sondern dass man durch die vielen Bilder hindurch Ausschau halten soll nach dem letztlich unbegreiflichen Gott. In aller Bodenlosigkeit trägt er einen und in aller Hoffnungslosigkeit schenkt er Hoffnung. Gott ist in einem und ausserhalb von einem. Er ist die Kraft, die alles durchdringt und der intimste Begleiter der Seele. Zugleich ist er der Ferne und Unbegreifliche. Er ist der, der mich herausfordert, erschüttert und immer auf den Weg schickt, aber auch derjenige, der mich trägt und mir Heimat schenkt. Im Sanskrit nennt man dies virodha-bhanjika-sakti (Seine Eigenschaft, scheinbare Gegensätzlichkeiten in sich zu vereinen).

 

Krishna sagt in der Bhagavad gita, dass er sich selber verborgen hält (7.25), damit man nicht auf die Idee kommt, ihn für sich und seine Eigeninteressen zu vereinnahmen, ihn zu besitzen und zu meinen, man wüsste ganz genau über ihn Bescheid. Sein Verborgensein zeigt uns, dass er der unverfügbare und ganz andere Gott ist, nachdem man immer wieder neu zu suchen hat.

Augustinus schreibt: ut inventus quaeratur, immensus est (Gott ist derjenige, bei welchem das Suchen weitergeht, selbst nachdem man ihn gefunden hat).

Gott lässt sich durch keine Begriffe und Bilder festlegen. Unsere Bilder und Vorstellungen öffnen ein Fenster, durch das man in Richtung Gott schauen kann. Aber in diese Bilder mischen sich auch immer die eigenen Projektionen und Hoffnungen hinein. Die Projektionen sind von der Lebenserfahrung abhängig, die wiederum von der Kultur abhängt, in der man lebt.

Völker, für die die Landwirtschaft wichtig war, haben das Göttliche oft in weiblichen Bildern gesehen: als Fruchtbarkeitsgöttin. Ein kriegerisches Volk hat Gott oft als Kriegshelden gesehen, der fordert und für den man sich entscheiden muss.

Tradition vermittelt einen Zipfel der Allumfassendheit Gottes. In den Traditionen der Welt klingt aber immer auch noch die Lebenserfahrung dieser Völker mit hinein.

 

Aus diesem Grunde braucht es tiefe philosophische Erkenntnisse, wenn man das Lila Gottes verstehen möchte, damit man es nicht mit Legenden, Geschichten oder historischen Erzählungen gleichsetzt.

 

Deshalb sind folgende Punkte wesentlich:

 

 

  1. Die Dinge, die wir in unserer Welt erleben, haben für unser Bewusstsein einen bestimmten Ort, an dem sie sich befinden und sind bestimmt durch die Zeit (früher, jetzt, später), und sie haben ein Innen und ein Aussen.

 

  1. Gott, sein Reich seine Mitspieler etc. und die „Dinge“ in seinem Reich haben weder ein Innen noch ein Aussen. Sie sind immer Gegenwart, das heisst real, und sie sind nicht lokalisiert an einem bestimmten Ort, sondern sind effektive Allgegenwart.

 

 

  1. In unserer Welt können nicht zwei Personen auf einem Stuhle sitzen. Ein Punkt im Raum kann nicht von zwei Objekten eingenommen werden. Da aber die Dinge und Personen des ewigen Reiches kein Aussen und kein Innen haben, können zwei oder mehrere Dinge oder Personen gleichzeitig am gleichen „Orte“ sein.

 

  1. Gott und sein Reich etc. sind also überall. Es ist nicht etwa so, dass dort, wo die Welt ist, etwa sein Reich keinen „Platz“ fände, sondern es ist alldurchdringend. Doch wird dort, wo die materielle Welt als solche erlebt wird, Gottes Reich nicht erlebt, obgleich es voll und ganz, wirklich da ist. Das heisst: Gott und die Welt sind gleichzeitig da, aber werden aufgrund Gottes  Maya (seiner verblendenden Kraft) nicht gleichzeitig erlebt. Die Wesen in dieser Welt erkennen die durch alles hindurch dringende Wirklichkeit des Gottesreiches nicht aufgrund der Maha-Maya, Gottes Kraft, welche das Wirkliche vor denen verbirgt, die es gar nicht mit jeder Faser ihres Seins erschauen wollen. Seine Yoga-Maya-Kraft verbirgt Gottes Gott-Sein, um intensiveren Liebesaustausch zu ermöglichen.

 

 

  1. Wenn Gott, sein Reich etc. sich in der Welt zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten offenbaren (wie zum Beispiel in Vrindavan Dham), also uns deutlich machen, dass sie ewig bereits da sind, so bedeutet das für uns, dass sie aus der Raum-Zeitlosigkeit in unseren Raum und unsere Geschichte hereintreten (avatara), doch ohne sich in irgendeiner Weise zu verändern oder sich den Gesetzmässigkeiten des dreidimensionalen Raumes anzupassen. Da wir weder Raum noch Zeitloses erleben können, geben sich Gott, sein Reich, die Avatare etc. so, als ob sie zeit- und raumbestimmt seien, ohne aber zeit- und raumbestimmt zu sein. (Bhagavad gita 9.11)

 

 

 

  1. Was für uns Zukunft ist, ist nur Zukunft für uns; was einen Anfang, ein Ende hat, hat nur Anfang und Ende für uns, d.h. in unserer Welt; von Gott her gesehen, gibt es weder einen Anfang, noch ein Ende, noch das, was zwischen Anfang und Ende liegt.

 

  1. Die ewig unvergängliche Seele in uns (wie in allen Wesen) ist in Wirklichkeit jenseits von Raum und Zeit. In der Verblendung aber meint man, in Raum und Zeit zu sein, Frau Meier oder Herr Müller etc. zu sein. Man identifiziert sich mit den Rollenspielen der jeweiligen Inkarnation. Sobald man erkennt, dass man Atma (Seele) ist, hat man teil an der zeitlosen Gegenwart Gottes. Der Leib und der Geist, die das ausmachen, was wir als „Frau Meier“, „Herrn Müller“ erfahren, werden der Seele und der Absicht , was Gott will, untergeordnet und harmonisch eingeordnet in das neue Weltbild. In das Erleben der Gottesbeziehung.

Aus der Perspektive der Verblendung (maha-maya) wird die Wirklichkeit Gottes ausgeblendet und in den Bereich des Nicht-Existenten gedrängt. Die theistische Weltschau aber integriert die Welterfahrung und bereichert sie einfach mit der Gottesbeziehung.

 

 

 

 

 

Glück als Sinn

 

Ananda mayo ‚bhyasat – der Grund der Existenz ist Freude. Selbst eine kleine Ameise, die in den Spalten des Hauses herumkriecht, sucht Glück. Das ist der Grund zu Sein.

Auch für Gott- er existiert nicht als kosmischer Kontrollierer und als Aufpasser der Abläufe im Universum, sondern sein wirkliches Sein ist ewiger Austausch von Liebe und freudiger Zuneigung -  ist Lila.

Walter Eidlitz, einer der ersten deutschsprachigen Bhakti-Yogis, beschreibt das so:

„Das Wort Lila, das hier ganz vorläufig und unzureichend mit "Spiel in Gott" wiedergegeben wurde, ist ein fast unübersetzbares Sanskritwort, das aber in der Philosophie der indischen Gottesliebe nicht zu entbehren ist.

In den Sanskritwörterbüchern findet man für Lila unter anderem: Spiel, Sport, Liebesspiel ...

Schwebende Leichtigkeit und Beweglichkeit, Biegsamkeit und Spontaneität ist diesem "Spiel" der göttlichen Liebe eigen. Es ist ein spontanes Wechselspiel, das frei ist von jeder irdischen Zweckgebundenheit. Es ist motivlos, und ursachlos, ohne ein „warum“, völlig frei vom zweck-versklavten Denken der Erdenmenschen. Nur die ganz jungen Kinder zeigen auf Erden ein wenig vom Glanz der Spielfreude der Lila, weswegen die Vedas manchmal, um den Aussenstehenden das unbegreifliche Wesen der Lila anzudeuten, diese mit dem spontanen Spielreigen unschuldiger heiterer Kinder vergleichen. Und doch ist es ein Spiel, das in jedem Augenblick voll höchster Weisheit ist.

 

Das verborgene Geschehen in der Unendlichkeit der spirituellen Welten, der Cit-Reiche, der ewigen Wirklichkeit, die allen Natur- und Denkgesetzen im Maya-Bereich des Messbaren, Berechenbaren und Trägen enthoben ist, sich aber nach eigener Initiative jederzeit und allerorts offenbaren kann, wird in den Texten die innere Lila Gottes genannt.“

 

Srila Sridhara Maharaja pflegte zu sagen, „Wirklichkeit ist nicht Demokratie, sondern eine „mad-monarchy“. Krishna kann Zeit und Raum, alles nach seinem Willen ändern. Er ist Gott, der sich nicht mehr an Gesetzmässigkeiten zu halten braucht, die speziell diese Welt kennzeichnen. Lila bedeutet „all rights reserved” – darin hat Gott seinen absoluten freien Willen und dadurch ist es auch nicht mehr verstehbar. Es untersteht nur seinem süssen Willen und nicht mehr Gesetzmässigkeiten. Das Annehmen von seinem süssen Willen bedeutet ein ganz grosser Schritt der Hingabe. Es ist das Übergeben eigener Kontroll-Sucht in die Hände Gottes. Darin wird augenblicklich eine umfassendere Aufgehobenheit erfahren als in der perfektesten eigenen Souveränität über die Dinge.

 

Krishna sagt in der Bhagavad gita: „In allen drei Planetensystemen gibt es nichts, was ich tun müsste. Weder ist etwas unerreicht, noch muss ich irgendetwas erreichen – und dennoch handle ich unentwegt.“

(3.22)

Krishna ist durch nichts in der Welt gebunden, frei und vollkommen in sich selbst erfüllt, ohne Wünsche und Ambitionen, und doch handelt er. Dies ist Lila. Es ist nicht Arbeit aus einer Not oder einem Bedürfnis heraus.

 

"Es gibt keine Arbeit, die Mich beeinflusst; denn Ich habe kein Verlangen nach den Resultaten des Handelns. Wer diese Wahrheit über mich versteht, wird ebenfalls nicht durch die Taten gebunden." (Bhagavad gita 4.14). Das bedeutet, wer Lila erkennt, wird frei.

„Wer jedoch nur am Selbst Gefallen hat, im Selbst erfreut und ständig ganz zufrieden ist im Selbst, für den gibt es nichts zu tun.“

(Bhagavad Gita 3.17)

Hier spricht Krishna von sich selbst. Einer seiner Namen ist „Atmarama“, derjenige, der nichts ausserhalb sich selbst benötigt um ganz zu sein, der immer in sich Zufriedenheit findet. Obwohl er es nicht braucht und benötigt, handelt er – das ist die Dynamik reiner Liebe, welche enthoben ist von den Notwendigkeiten. Er hat keine Bedürftigkeit – das bedeutet, dass er wirklich liebt, um der Liebe willen, und nicht , um ein Loch zu stopfen. In dieser Welt ist Wunsch ein Ausdruck von Mangel, dort ein Ausdruck von freier Liebe – Lila.

Dort wo der christliche Mystiker Eckhart über das Wesen Gottes aussagt: "Gott ist ohne warum" ("sunder varumbe") lässt er ein wenig vom Geheimnis der Lila ahnen.

 

Krishna kann nicht nachgeahmt werden. Seine Kraft kann durch nichts ersetzt werden. Sein Wesen kann nicht gemacht werden. Zur Liebe kann man sich nicht zwingen. Die Werke der Liebe können nicht künstlich fabriziert werden. Keine kluge Überlegung, kein sittlicher Vorsatz, keine Anstrengung des Willens, kann die Wärme des Herzens hervorbringen, die von Krishna her ist. Lila ist Gottes Lebenskreis gelebter Liebe, die dort allen Austausch mit den Seelen reguliert. In der materiellen Schöpfung, tritt anstelle der Liebe die Moral als Regulierungskomponente.

Der Mensch ändert sich aber nicht durch Zucht und Vorschrift. Transformation geschieht nie durch yama und niyama, durch Strafe und Belohnung. Sondern nur durch die Faszination der letztlichen Bestimmung, des Lila - durch die in dieser Welt offenbarten Ahnung eines perfekten Liebesaustausches.

 

In einer Rangordnung wichtiger Dinge steht das Überflüssige (was nicht benötigt wird – um Not zu lindern) an oberster Stelle.

Das Ziel ist nicht Zweck, sondern Sinn – und das macht es so schwierig zu verstehen.

 

Schau (ideale Ordnung)

Sinn

Spiel

  Kontemplation

Kontemplation

Kontemplation (Musse)

Tat (praktische Umsetzung)

Zweck und Bedürftigkeit

Arbeit

 

Wenn alle Tat eingestellt wird, ist vorerst einmal einfach ein Sein (Kontemplation). Daraus ergibt sich die Schau. Wenn aller Zweck und Bedürftigkeit aufgehoben wird, ist das Vakuum dazwischen, die Kontemplation, den inneren Raum, aus welchem erst die Perspektive für den Sinn wieder auftaucht. Und wenn die Arbeit nicht mehr getan werden muss -  man hat das Pflichtpensum erfüllt und macht dann aber weiter, man arbeitet nicht mehr für irgendein Bedürfnis – enthoben aller Ziel- und Zweckmässigkeit und Ergebnissucht, die mit der Arbeit normalerweise verbunden ist – auch dann wird es innerer Raum (Kontemplation und Musse) und dann wird sie zu Spiel.

 

„Wer alle Verhaftung an die Ergebnisse seiner Handlungen (der Hang an die Früchte) aufgegeben hat und immer zufrieden ist und nirgendwo Zuflucht sucht, der handelt in Wahrheit gar nicht, obwohl er mit vielen Unternehmungen beschäftig ist.“ (Bhagavad Gita 4.20)

 

Wer stets mit dem zufrieden ist, was sich ihm von selbst anbietet, wer von Dualität (Bestimmung von den Gegensätzen) frei ist und keinen Neid kennt und wer gleich bleibt bei Erfolg und Misserfolg, wird nicht gebunden, auch wenn er handelt. (Bhagavad Gita 4.22)

 

Wenn man dem Zwang der Arbeit enthoben ist durch das Aufgeben innerer Intention, die man durch die Arbeit erlangen möchte, erlangt man den Innenraum der Kontemplation.

Wenn man sich aus dieser heraus wieder der Arbeit zuwendet und alle Gründe, zu arbeiten, wegfallen, wird sie zum Spiel.

 

 

Krishna erklärt in der Bhagavad gita, dass nur Ewiges wahr ist (2.16). Es gibt nun zwei Bereiche der Wirklichkeit:

 

-die statische Wirklichkeit des ewigen Seins in Frieden. Das ist das Brahman.

 

-und die dynamische Wirklichkeit, in welcher alles ewig ist, alles unvergänglich und in welcher dennoch Bewegung und Austausch möglich ist. Das ist Lila.

 

Materielle Vielfalt

Einheit

Transzendentale Vielfalt

Erfahrung von vergänglichen Formen, Unruhe in den unendlichen Bewegungen.

Einheit hinter den Formen – absolutes Einssein

Stille in der Bewegungslosigkeit.

Vielfalt hinter der Einheit, ewige Formen,

Bewegung, Austausch jenseits von Frieden existiert reine Liebe.

Personen (Schein-identität)

Identifikation (ahankara)

reines Sein ohne Ich.

Klares Erkennen und Abstreifen jeglicher Identifikation.

ewige Individualität (svarupa)

Jenseits von Dualität und Einssein ist die Individualität.

Etabliert in der Identität

Liebeserfahrung im Zeitweiligen, Verstrickungen, wenn man Hoffnungen und Sehnsucht nach Beständigkeit ins Zeitweilige hineinprojiziert.

Einstellung aller Liebe (Hoffnungen), aus der Erkenntnis, dass im Aufgeben eines Wunsches mehr Freude existiert als in seiner Erfüllung. Anhaftung an die Spiegelung bedeutet Schmerz.

Nun ist Friede.

Jenseits dieses absoluten Friedens erfährt die Seele wieder Beziehung – zu Gott und von da aus zu allen anderen Seelen. Da ist wieder die Erfahrung der Liebe – zum Ewigen.

 

 

Freude im geniessen

Freude im Frieden

Freude im Dienen

anthropomorphes Gottesbild (Gott aus der Vorstellung der Menschen her generiert).

Überwindung des Anthropozentrismus, Negierung aller Bilder und den daraus geborenen Gefühle, Emotionen und Vorstellungen.

staunende Offenheit für die Offenbarung Gottes.

Dankbarkeit und Freude

 

Die Erfahrung von Rasa (ewigen Wohlgeschmack) im lila.

 

 

 

 

 

 

Die Haupteigenschaft von Lila ist also Austausch in der Atmosphäre der Ewigkeit. Das ist ein Bereich ohne jegliche Sättigung.

In dieser Welt wird – letztlich vergeblich – versucht, die Sehnsucht nach Unendlichkeit mit Endlichem zu stillen – ein endlos erfolgloses Bemühen.

 

Es ist die Natur von Krishnas Wesen, dass er immer frisch und alles an ihm immer wieder ganz neue Erfahrungen birgt. Eben ewig frisch.

 

hrsyami ca muhur muhuh (Bhagavad Gita 18.76+77) Die Transzendenz gibt Faszination, die nicht zu einem Ende gelangt, ein Staunen ohne Ende und ohne Sättigung.

 

yanhara sravane loke lage camatkara

“Wenn man das Heilige hört, ist man von Erstaunen ergriffen.“

(Caitanya Caritamrta 2.24.319)

 

Staunen können gehört zum Leben. Kann der Mensch noch staunen?

Um staunen zu können, muss man still werden – ohne den Lärm in und um einen herum, offen und leer sein – ohne alle möglichen Vorstellungen und Gedanken, Zeit haben – ohne die ziellose Eile, absichtslos – ohne das konstante Wollen in einem...

 

Es gibt noch tieferliegende Gründe, die uns das Staunen erschweren. Im Staunen wird man mit dem Unbekannten konfrontiert, mit etwas, das aus dem Rahmen des Üblichen und Bekannten heraus fällt, mit Neuem, das noch nicht vorgekommen ist. Das Bekannte und Gewohnte, das Alte und Vertraute wird in Frage gestellt. Aber auch die bisherige Seh - und Denkweise.

 

Staunen heisst, das vertraute Haus des Alltags zu verlassen – und eintreten in das fremde, unbekannte Land, das zugleich erschreckt und fasziniert. Man ist offen für die Überraschung.

 

Der Mensch, der zu staunen beginnt, wird buchstäblich ent-setzt, verliert den vertrauten Boden unter den Füssen und erspürt Hintergründe hinter den Dingen.

Der staunende Mensch erahnt einen tragenden Grund in allem.

 

Das ist in höchstem Mass erstaunlich und nicht selbst-verständlich. Es versteht sich nicht von selbst, sondern nur von Krishna her, den wir nie ganz begreifen und fassen können, der immer Geheimnis bleibt. Wer von ihm angerührt wird, der verstummt in Staunen.

Deshalb ist Staunen auch etwas ganz anderes als das oberflächliche Verwundertsein, welches nur eine momentane Aufhellung in der Stumpfheit des Gewöhnlichen ist. (Bhagavad Gita 7.16)

 

Das Staunen ist eine Art des Weltverständnisses. Man kann die Welt als reduktionistisches Faktum betrachten; gesehen aus der zweckbestimmten, zugreifenden Perspektive. Das hinnehmende, empfangende Schauen entdeckt in ihr die ewige Zier und erfährt sie als Krishnas überwältigendes Geheimnis, als Hinweis auf Gottes ewiges Wesen (Bhagavad Gita 10.41).

Das Staunen führt in den unermesslichen Bereich menschlichen Empfindens und Erlebens – eben in die Nähe Krishnas. In seiner Gegenwärtigkeit wird alles und jedes Anlass zum Staunen – verliert die Traurigkeit der seichten Oberflächlichkeit und schnellen Ergründbarkeit.

     rase sarash camatkaro yam vina raso rasah

“Die Grundlage von Rasa ist Erstaunen.“ (Alankara Kaustubha 5/7)

 

 

Arjuna spricht zu Krishna, dass er ewiglich einfach weiter von ihm hören könnte ohne jemals gesättigt oder müde zu werden. (Bhagavad gita 10.18)

 

Die dramatische Spannung der Lila steigert sich ständig, weil selbst Gott, der aus dem Brunnen seiner noch ungestalteten Unendlichkeit schöpft und schöpft, die Tiefe seiner Liebe und die Tiefe der Liebe der ihm ewig Beigesellten (der ewig befreiten Seelen) nie ausschöpfen kann - obwohl Er, der EINE, in unendlich vielen Formen seiner Eigengestalt mit Seinen unendlichen Geweihten in allen Seinen Reichen gleichzeitig und ewig da ist und spielt.

Doch es gehört zur Spontaneität des göttlichen Spiels der Selbstentfaltung Gottes, dass die Lila hie und da auch ins Reich des Messbaren hinausflutet und für eine Weile nun im Umkreis von Zeit und Raum gespielt wird. Das ist die Offenbarung innerhalb der materiellen Welt, die eine Manifestation des Überfliessens der Liebe darstellt.

Gott steigt zuweilen mit den Seinen zur Erde hinab. In den Urkunden wird dann berichtet: Dass Gott Avatar wird (in seiner ursprünglichen Form in der Welt der Vergänglichkeit erscheint) und in seiner ganzen Fülle in der Welt der Sterblichen erscheint und über die Erde schreitet.

Die Geschichten vom Spiele Gottes im Erdenland dünken dem unkundigen Leser oder Hörer oftmals, irdischen Geschichten zu gleichen. Doch bedeutsam weisen die berühmten Brahma-Sutras des Badarayana-Vyasa, die von allen verschiedenen Richtungen der Vedanta-Philosophie als Autorität anerkannt werden, auf das Mysterium hin:

 

lokavattu lilakaivalyam

"Wie in der Welt, aber nur Lila."

 (Brahma-Sutras 2,1,13)

 

 Lila-Kaivalyam („nur“ lila) jedoch ist im Sinne der Bhakti die Bezeichnung für das lebendig bewegte ewige Spiel liebender Seelen und des geliebten Gottes in der Dynamik der Lila.

Das Vernehmen der Geschichten von Gottes Lila, wo sie sich auch immer begeben mag, "wäscht Herz und Ohr und löscht alles Karma aus"; so verkünden das Bhagavatam und andere Offenbarungsurkunden der Bhakti.

 

„Indem die Geweihten des Herrn einfach mit gereinigten transzendentalen Ohren über sein Lila hören, wird sogleich die Sehnsucht nach Gott im Herzen erweckt und man wird somit frei  von den starken materiellen Wünschen und Absichten hinter den  Handlungen.“      (Srimad Bhagavatam 9.24.62)

 

 

Im Caitanya Caritamrita (1.4.33) erinnert sich Krishna, wie seine geliebten Geweihten ihre Zeit verbringen.

„Sie sitzen in tiefer Freundschaft zusammen und inspirieren sich gegenseitig in der Versenkung des Lila von Vrindavan. Auf diese Weise wird in ihnen eine unwiderstehliche Sehnsucht geboren, die sie brennend ist, dass sie sogar die innerweltliche Pflichterfüllung vergessen. Alle Wünsche nach eigenen Vorteilen sind in der Erinnerung an mein Lila vollständig vergangen.“

 

 

Aishvarya und Madhurya

 

Was bedeutet Aishvarya?

 

Alle Gotteserfahrungen lassen sich, unabhängig der religiösen Tradition oder des geschichtlichen oder geographischen Umfeldes in zwei grundlegende Kategorien unterteilen.

Aishvarya ist die Gotteserfahrung seiner Macht und Unendlichkeit.

Manchmal wird aishvarya mit „Opulenz“ übersetzt, was nicht ganz richtig ist. Wenn ein Mann 1 Mio Franken besitzt - ist das dann aishvarya?

Nein. Es ist Reichtum und Wohlhabenheit.  Aishvarya wird im Raga-vartma Candrika so definiert: Es ist eine Eigenschaft oder eine Tätigkeit, welche die Befähigung und Kapazität von allen Seelen, selbst die von Devas wie Brahma (dem Weltenbildner) übersteigt.

 

Narayana erscheint ohne Geburt. Kann irgendjemand dies tun? Selbst Brahma nahm Geburt. Krishna manifestiert unzählige Universen und durchdringt sie. Er überblickt alle Lebewesen und lenkt sie in jedem Moment. Er ist sich allem bewusst. Nichts bewegt sich ohne seine Einwilligung, ohne ihn würde alles in der gesamten Schöpfung auseinanderfallen. Er ist das einzig Unersetzbare. Wenn man alles ausser ihm wegnehmen würde, fehlte nichts. (Bhagavatam 2.9.33)

Wenn Gott sein Vermögen wie Allgegenwart, Allmacht, Allwissen offenbart, sowie seine göttlichen Füllen, dann  nennt man dies aishvarya.

 

Seine Füllen sind:

-Er ist der Schönste und alle erstaunliche Wunderbarkeit in den Welten ist nur ein Tropfen seiner Schönheit (Bhagavad gita 10.41).

-Er umfasst alle Kraft und Macht.

-Er ist derjenige, der allen Reichtum besitzt, da ihm alles gehört.

-Er ist der Berühmteste, da alle irgendwie von ihm sprechen und jede Sehnsucht nach ihm zielt.

-Er ist derjenige, der alles kennt und nichts ist ihm verborgen.

-Er ist der Losgelösteste, denn obwohl er all das hat, definiert er sich nicht davon.

 

Wenn Krishna diese Füllen zeigt und offenbart, dann nennt man dies aishvarya-mayi-lila (sein Lila, das mit dem Gottesverständnis von aisvarya erfüllt ist).

Gott ist per Definition der „ganz Andere“. Würden wir ihn auch nur irgendwie anthropomorph, das heisst menschlich vorstellen, wäre er nicht mehr Gott. Er ist radikal anders als alles innerweltlich Seiende. Das ist Transzendenz.

Damit wird der Glaubensakt zum radikalsten Vollzug menschlicher Selbstdistanzierung. Wenn der Mensch sich selbst liebend und vertrauend wagt, sich in die Arme jenes Unbegreiflichen, radikal Anderen fallen lässt, erhält er einen winzigen Anteil an der Perspektive Gottes.

 

 

Aishvarya kennen wir auch als die religiöse Grunderfahrung in den Religionen:

 

1. majestas        - Gefühl des Übermächtigen, das Erleben der eigenen Kleinheit und der Grösse des Numinosen welche einhergeht mit einer unendlichen "Überlegenheit" Gottes.

 

2. tremendum – Gefühl des Schreckens, Angst vor dem Heiligen, Furcht, Erschauern, aber auch die heilige Scheu in abgeschwächter Form.

 

3. Das Energetische – das Gefühl, das den zu Gott strebenden aktiviert, zum Eifer bringt, mit Spannung und Dynamik erfüllt in Askese und auch im Wirken und Handeln, in welchen dann die Erregtheit nach aussen ausbricht.

 

4. Das Mysterium – Das ist Gott als der "Ganz Andere". Der verstandene Gott ist nicht Gott.

Auf diese Weise erscheint das Heilige dem Erlebenden als ein "Geheimnis", welches in ihm Empfindungen wie "Erstaunen", "Sich Wundern", "Befremden" usw. hervorruft. Er erfährt das Numinose als "das schlechthin und wesentlich Andere und Gegensätzliche zu allem was ist und gedacht werden kann". Es ist das "Übernatürliche" und das "Überweltliche".

Es kann fast nur ausgedrückt werden durch die Negation des Bekannten, Natürlichen und Weltlichen. Es ist auch das „Unheimliche", " und Unfassliche".

 

5.fascinans – Das Gefühl des Wundervollen. Etwas Anziehendes und Faszinierendes. In seinem Effekt erscheint es als "das Sinnberückende, Hinreissende, seltsam Entzückende, das oft genug zum Taumel und Rausch sich Steigernde. Es wird erfahren in einem "religiösen Seligkeitserlebnis", als "Erlebnisse der `Gnade´, der `Bekehrung´, der `Wiedergeburt´", als Gefühle wie "Freude", "Wonne" und "Entzücken

(Rudolf Otto, „Das Heilige“ 1917)

 

 

 

Das Heilige ist erschreckend bedrohlich und zur gleichen Zeit auch faszinierend.

 

Brahma, der Weltenschöpfer, spricht im Srimad Bhagavatam (10.14.38):

 

jananta eva janantu

kim bahuktya na me prabho

manaso vapuso vaco

vaibhavam tava go-carah

 

“Es mag Personen geben, die glauben, dass sie Krishna kennen würden. Ich lasse sie auf diese Weise denken. Aber was mich betrifft, so kann ich nicht viel sagen. O mein Herr, vielleicht nur soviel: „Deine Macht übersteigt bei weiten die Verständnis- und Wahrnehmungskraft meines Verstandes, und ich bin auch unfähig, sie zu beschreiben.“

 

Die Gotteserfahrung der aishvarya enthält diese unendliche Ehrfurcht.

Das Wort "Furcht" hat hier aber eine etwas andere Bedeutung als im alltäglichen Gebrauch. Denn die Ehrfurcht ist nicht ein Gefühl des Bedroht-werdens, nicht eine Angst vor einer Schädigung unseres eigenen Wohles, nicht eine Furcht vor einer bösen, uns feindlichen Macht, sondern die Furcht, dass wir selber etwas Hohes, Heiliges entweihen oder verletzen könnten. Die Ehrfurcht wird nicht durch etwas geweckt, von dem wir uns abgestossen, sondern durch etwas, zu dem wir uns trotz der heiligen Scheu hingezogen fühlen, und das wir lieben. Daher kann das Wort auch nicht durch das englische Wort "awe" übersetzt werden, das ja auch eine Furcht aus egoistischem Grund bezeichnet.

Ehrfurcht ist ein der religiösen Andacht verwandtes Gefühl: ein Gefühl, das, wenn es uns in grosser Stärke erfüllt, uns auf die Knie zieht, also sich auch in Formen ausdrücken kann, in denen blosse Achtung und blosse Verehrung sich niemals kundgeben wollen.

Das lateinische Wort „reverentia“ drückt das noch tiefer aus: zurück-scheuen. Ehrfurcht wurzelt ganz tief in der Seele. Sie entspringt der gespürten Wahrnehmung, des Erahnens der Grösse, Würde Erhabenheit des Gegenüber. Es ist die im Herzen, und manchmal auch äusserlich, das heisst mit dem Körper, vollzogene Anerkennung dieser Einsicht.

 

 Der Ehrfürchtige sieht die gezogenen Grenzen, und hält sie inne. Er drängt sich nicht vor, wohin er nicht eingeladen wurde, er bleibt sozusagen wartend stehen und überlässt es Gott, ob und wieweit Er ihn zu sich herholen und Teil an Sich gewähren wolle.

Es ist ein treulich auf das letzliche Du Ausgerichtetsein. Man will dieses Du als das, was es ist, ungeschmälert von seiner eigenen Wenigkeit.

 

Eine schöne Beschreibung der aishvarya-Erfahrung findet sich in der Bibel (JES 40,12-17.25)

 

„Seht, die Völker sind wie ein Tropfen am Eimer, sie gelten soviel wie ein Stäubchen auf der Waage. Ganze Inseln wiegen nicht mehr als ein Sandkorn. Der Libanon reicht nicht aus für das Brennholz- Alle Völker sind vor Gott ein Nichts, für ihn sind sie wertlos und nichtig.

Hebt eure Augen in die Höhe und seht: wer hat die Sterne dort oben erschaffen? Er ist es, der ihr Heer täglich zählt und heraufführt, der sie alle beim Namen ruft. Vor dem Allgewaltigen und Mächtigen wagt keiner zu fehlen.“

 

Die Annäherung Gottes kann die Erfahrung von aishvarya, die Erkenntnis der Grösse, der Herrlichkeit, der Allmacht und Allgegenwart Gottes, die einem vor Ehrfurcht in Erstaunen versetzt, niemals umgehen. Es ist die Grundlage, die die  Qualifikation für höhere Gotteserkenntnis darstellt. Denn ohne diese Basis ist es unvermeidbar, dass man nur weltliche Emotionen, Vorstellungen und Sehnsüchte auf Gott hin projiziert.

 

Die aisvarya-Erfahrung enthebt einen von allen innerweltlichen Vorstellungen von Gott und bringt die Seele einfach in den Raum des Erstaunens vor diesem immer wieder ganz anderen Gott.

Swami Krishna Prema, ein Engländer, welcher in den 20 er Jahren des letzten Jahrhunderts in Vrindavan Einweihung bekommen, schreibt: 

 

„Die meisten Menschen wissen gar nicht, was Ananda ist. Sie kennen nur Vergnügen (pleasure). Sie versuchen, Ananda anhand sinnlicher Freude zu verstehen und dann kommt ein spiritueller Materialismus dabei heraus.“

 

Die Aisvarya Gottes enthebt einen genau aus der Verknüpfung heraus, die man zwischen innerweltlicher Erfahrung und Gottesvorstellungen kreatürlich tätigt. 

 

Aber in seiner Alles-Umfassenheit wäre Gott nicht vollkommen, wäre er nicht in allen Aspekten der Höchste.

Denn wenn Gott der Höchste ist in allem, dann fehlt ihm im Gottesverständnis des aishvarya etwas: dass er auch der Höchste ist in liebendem Austausch.

Will man seine Liebe, den freien Austausch mit ihm einzig und allein weil er eben Er ist, oder ist man bei ihm, weil er allwissend, allmächtig und allgegenwärtig ist, und weil es einfach die Pflicht des Lebewesens darstellt?

Aishvarya ist auch das Gewahrsein von Krishnas Gott-Sein. Das zwingt einen natürlicherweise in die Knie. Diese entstandene Distanz verhindert aber auch den tiefen Austausch der Liebe.

 

Was kümmern den Liebenden die Kleider, die Schmucksteine und die Blumen in den Händen der Geliebten? Sie ist es, die er sucht und sonst nichts.

Wenn er sie hat und keine Blumen und kein Schmuck, so fehlt ihm nichts. Aber wenn er nur die Blume in den Händen hält, fehlt ihm alles.

Die Seele, die langsam zur Liebe reift, ist nicht an Gottes Macht, an seiner Position und an seiner Grösse interessiert, sondern einfach an ihm.

Gott also als der höchste Geniesser, der einfach nur liebevollen Austausch geniesst.

Aber Gott zu sein ist ein grosses Hindernis, einfach nur liebende Beziehungen zu kosten. Warum? Da alle Ehrfurcht vor einem haben, alle verneigen sich, alle bringen einfach Gebete dar, sie getrauen sich nicht, wirklich in die Nähe zu kommen. Wenn Gott sein Gott-Sein vergisst und auch der Geweihte dies vollkommen ausgeblendet hat, dann sind wirkliche Liebesbeziehungen möglich. Gott zu sein ist ein grosses Hindernis, wirklich glücklich zu sein. (Es ist einsam an der Spitze). Als der Allwissende gibt es für ihn nie eine Überraschung, was die Haupteigenschaft von Genuss ist.

Gott verhüllt sein Gott-Sein durch seine eigene innere Kraft (yoga-maya), um dadurch frei zu spielen und frei den Liebesaustausch kosten zu können.

 

 

Yoga-maya

 

In den Wandelwelten existiert eine Kraft Gottes, die einer Seele die Möglichkeit gibt, die Wirklichkeit Gottes auszublenden, wenn sie dies auch will.

 

In der ewigen Wirklichkeit gibt es die die Mula-Sakti, die Urform dieser Energie, die Yoga-maya Kraft, die die  Seele die Stellung Gottes vergessen lässt und so eine unvergleichlich viel intimere Gottesliebe zulässt.

 

 

 

Was ist Maha-maya?

-Gottes äussere Energie

Die Kraft, die die Verbindung der Seele zu Gott vergessen lässt und auf diese Weise Distanz schafft. Das ist der Zustand der Illusion.

Wenn man denkt, dass irgendetwas in der gesamten Existenz nicht in Beziehung stehen würde, ist das Maha-maya – die Sichtweise, die Gott einem Lebewesen schenkt, wenn es ihn vergessen möchte.

Maha-maya (die grosse Illusion) ist ein Verständnis in der Seele drin – und darf nicht auf die materielle Welt übertragen werden.

 

Was ist Yoga-maya?

-Gottes innere Energie

 

Sie schafft eine erleuchtete Illusion in der Beziehung zu Gott.

Wenn die Seele Gott als den Allmächtigen, Allgegenwärtigen und Allwissenden betrachtet, schafft dies durch die Achtung und Ehrfurcht eine gewisse Trennung. Yoga-maya ist Gottes Kraft, die einer Seele seine Unendlichkeit ausblendet, damit die Liebe noch intensiver werden kann.

Yoga-maya arrangiert Yoga (Verbindung) zwischen dem Allwissenden (sarva-jna) und Allmächtigen (sarva-saktimam) und einer Seele.

 

Die Natur dieser göttlichen Illusion ermöglicht es einer Seele, in Gott nicht einfach nur den höchsten Herrscher zu sehen, sondern als Freund oder Geliebten mit ihm umzugehen.

Durch diese Kraft ermöglicht es Krishna, intimen Umgang mit seinen Geweihten zu erleben, welche manchmal sogar das Vergessen seines eigenen Gottseins erlaubt (und doch bleibt die Allwissenheit zur gleichen Zeit auch bestehen).

 

 

 

Im Caitanya Caritamrita (1.4.29-30) offenbart Krishna:

„Der Einfluss von Yogamaya lässt die all die jungen Gopis in Vrindavan glauben, dass ich ihr Geliebter sei.

Auch ich vergesse durch diese Yogamaya-Kraft meine eigene Position als höchstes Wesen. Denn unsere gesamte Aufmerksamkeit ist nur noch entzückt und von Freude erfüllt von der Schönheit und den Eigenschaften des anderen (die Gopis sind freudetrunken in mir verankert und ich in ihnen).“

 

Als Mutter Yashoda alle Universen im Munde von Krishna sieht, wird sie von dieser Yoga-maya-Kraft bedeckt.

Wäre sie in der Einsicht der erkennenden Unendlichkeit geblieben, nämlich dass Krishna kein Kuhhirte, sondern Gott ist, dann hätte das Licht dieses Wissens sie der Erfahrung beraubt, Krishna als ihren Sohn zu erkennen. Und das wäre eine Reduzierung in der Intensität des Liebesaustausches.

In der reinen Bhakti ist die Erkenntnis seiner Grösse ein Hindernis in der Erfahrung der Liebe.

 

Deshalb wird das Gottesverständnis des aisvarya vervollständigt durch madhurya. Die Allumfassendheit Gottes beinhaltet alle Möglichkeiten.

 

 

Was ist madhurya?

“Ich dachte neulich darüber nach, ob ich von Gott etwas nehmen oder begehren wollte. Ich will es mir sehr wohl überlegen, denn wenn ich von Gott etwas nehmen würde, so wäre ich unter Gott wie ein Knecht und er im Geben wie ein Herr. So aber soll es nicht mit uns sein im ewigen Leben.“ (Meister Eckehart)

Der Begriff madhurya - wörtlich bedeutet es "lieblich" - besagt ein Empfinden, welches nichts als eine möglichst unmittelbare Nahe zu dem Beziehungsobjekt anstrebt, in der jeglicher Machtcharakter des Heiligen als ein Hindernis in der Beziehung zu dem transzendenten Heiligen angesehen wird. Das  Empfinden von madhurya kann also als ein Versuch gesehen werden, den Machtcharakter des Beziehungsobjektes zu schmälern, ja jegliche Distanz zwischen dem Erleber und dem Heiligen, wenn auch nicht - wie auf dem Pfad der Advaita-Schule - ganz aufzuheben und zu einer verschmolzen Einheit zu gelangen, so doch diese zu minimieren.

 

Gott wird in den Vedas definiert als sad-aisvarya-purna, die Verkörperung von sechs unendlichen Füllen, die er ewiglich in sich trägt.

 

 

 

Die Füllen Gottes

 

sriya ( alle Schönheit)

Die wichtigste Eigenschaft Gottes. Man ist nicht zur Allwissenheit und Allmächtigkeit angezogen, wenn es nicht Allanziehend, eben Allschön ist.

Aisvarya (alle Macht, aller Besitz)

Die Fähigkeit für immer der Grösste und der Kleinste zu sein.

Das Universum ist in Privatbesitz – alles gehört Gott.

virya (alle Kraft)

Alles bewegt sich nur aufgrund seiner Kraft. Keine einzige Bewegung, nicht einmal die unserer Körper, geschieht ohne das Zutun seiner Kraft.

yasah (Ruhm)

Da ist nicht nur Berühmtheit gemeint, sondern mangala-maya, dass er allglücksverheissend ist.

jnana (Wissen)

Allwissend

vairagya (Entsagung)

jnana und vairagya sind die Attribute (die Aura) von Ruhm. Sie sind die Grundeigenschaften von nirvishesha-brahman.

 

 

 

Aber diesem Gott, der allwissend, allmächtig und allgegenwärtig ist, fehlt eine Eigenschaft: er kann nicht der Höchste sein in liebevollem Austausch.

Madhurya-lila bedeuetet, dass dieser Allerhöchste die Eigenschaften seiner Grösse und Macht ausblenden lässt, sodass er selber und auch seine Geweihten diese gänzlich vergessen. Auf diese Weise darf ein Austausch zwischen Gott und dem Geweihten entstehen, der frei ist von der Erstarrung der Ehrfurcht. Auf diese Weise vermag er auch der Höchste sein kann im Austausch der Liebe.

 

Im aishvarya-lila ist Krishna bekannt als sarva-jna, der Alles-Wissende, der Ursprung allen Wissens oder als trikala-jna, derjenige der alle drei Zeiten, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kennt. Im madhurya-lila stellt er als ein kleines Kind seiner Mutter Yasoda und seinem Vater Nanda Fragen, so wie es ein kleines Kind tut. Im aishvarya-lila kennt man ihn als Bhagavan, als denjenigen, der alles in sich enthält, der alle bhagas, alle Füllen der Welt besitzt. Im madhurya-lila aber stiehlt er Butter aus den Kellern der Nachbarn, er weint bitterlich, wenn seine Mutter ihn nicht, seinem Wunsch gemäss, zum Stillen an ihre Brust nimmt. Im aishvarya-lila ist er der Ursprung und Besitzer aller Universen, aber in Vrindavan raubt er als junger Heranwachsender die Kleider der jungen Mädchen. In der Bhagavad-Gita trägt er den Namen ananta-virya, derjenige, der unendliche Kraft besitzt. Schliesslich ist Vishnu dafür bekannt, die letzte Zuflucht aller Devas, aller Götter zu sein. Doch in seinen lieblichen Spielen wird er von seinen Freunden, den Kuhhirtenjungen, im Ringkampf besiegt.

Hier liegt die religiöse Empfindung allein in dem Moment der Lieblichkeit. In der madhurya ist kaum etwas von Majestas, vom Tremendum, vom Mysterium zu spüren.

Krishna ist gerade der Nicht-Grosse, der Gewöhnliche, der nichts zu tun braucht und sich im Reigen der Liebe mit den Seinen vergnügt. Im Zurücktreten des Allmachtscharakters des Numinosen liegt der Reiz von madhurya.

Alle Gottesmacht ist in ihm immer gegenwärtig, doch wird sie von der seiner Lieblichkeit überstrahlt, sodass sie nicht mehr wahrnehmbar ist.

 

Ein weltliches Beispiel mag dazu vielleicht eine Ahnung dafür erwecken:

Wenn ein Bankdirektor an einem Fest eine Frau trifft, mag seine Position Eindruck vermitteln. Doch wenn sie sich dann kennen lernen, die Vertraulichkeit zunimmt, und dieser Mann nach 20 Ehejahren nach Hause kommt, vermag seine berufliche Position keinen Eindruck mehr verschaffen bei seiner Frau.

Madhurya meint also ein Gottesverständnis, in welchem der Bhakta in eine solche Vertrautheit im liebevollen Umgang mit Gott eintritt, dass das „Gott-Sein“ Gottes für den Bhakta keinerlei Rolle mehr spielt. Er liebt ihn einfach ursachenlos, weil all seine Liebe spontan zu dieser Freude und Schönheit hinzielt, und nicht weil er Gott ist. 

 

Wenn Krishnas Mutter Yasoda erfährt, das ihr kleiner Lala (Bub) Butter gestohlen und dabei die Töpfe zerbrochen hat, droht sie ihm, ihn mit einem Stock zu bestrafen, worauf der Winzling Krishna bitterlich zu weinen beginnt.  In der völligen Machtlosigkeit des numens wird der Geschmack von madhurya erfahren. Ebenso wie von der Majestas ist auch vom Fürchterlichen (Tremendum) oder Geheimnisvollen (Mysterium) kaum eine Spur zu finden. Wenn Krishna den Dorfbewohnern, bevor er sich anschickt einen schweren Gegenstand hochzuheben, sein Oberärmchen präsentiert, um ihnen seine Stärke zu beweisen, erntet er nichts als schallendes Gelächter.

 

Die madhurya-Erfahrung umfasst eben all dies nicht, was einen Machtcharakter trägt, was fremd, anders, gross und beängstigend ist. Sie umfasst das Heilige als das Nahe, das Bekannte, eben das Liebenswerte, das Vertraute und Intime.

Niemals aber kommt es vor, dass im Erleben des Lieblichen der Machtgehalt, dass aishvarya gänzlich verschwindet, denn das würde den Verlust des Heiligen bedeuten und was zurückbliebe wäre nur noch eine Schilderung mit rein materiellem Charakter. Ohne aishvarya wäre die madhurya nur prakrta-bhava, nur eine weltliche Gemütsstimmung und die Lila nur gewöhnliche menschlich Aktivität.

Ist es madhurya, als wir kleine Kinder waren und schutzlos und hilflos waren? Es ist sicher herzig und anmutig, aber niemals madhurya, denn es ist nichts anderes als das Geschick einer Seele, die durch die Gewalt ihres vergangenen Tuns wieder inkarnieren musste.  Aber wenn diese Person, welche alle Kraft besitzt, und der in einem Moment alle Universen auflösen kann und sie wieder neu zu schöpfen vermag, währenddessen wir glaubten, es sei nur das Blinken der Augenlieder gewesen – wenn also diese Wesenheit so spielt, wie es auch ein Mensch in der materiellen Welt tut - dann nennt man dies madhurya.

In Vrindavana ist Krishnas lila „madhurya“, das bedeutet "nara-vat"- es erscheint so wie eine gewöhnliche menschliche Tätigkeit.

Aber man muss verstehen, dass alle aishvarya dennoch auch da in ihm enthalten ist.

In Vrindavan bedeckt die Lieblichkeit so stark die aishvarya, dass da niemand auf die Idee käme, die aishvarya nur ansatzweise zu sehen oder zu bemerken.

Srila Sridhara Maharaja gibt dazu ein schönes Beispiel: einen Löffel voll Salz ist in einem Glas Wasser sofort wahrnehmbar. Aber wenn man in der Gangaquelle einen ganzen Sack Salz hineinwirft, wird man es in Haridvar (300 Km weiter flussabwärts) nicht einmal mehr nachspüren können, denn die Wassermenge ist unendlich viel grösser.

Genauso ist die aishvarya in Vrindavan eigentlich noch grösser als in den Gottesreichen der Vaikuntha-Sphären, aber die madhurya, die Lieblichkeit (das Wasser der Ganga) ist so überwältigend, dass die aishvarya völlig davon bedeckt wird und nicht mehr wahrnehmbar ist.

 

In der madhurya geschieht eine Verbindung der Macht mit dem Machtlosen, was den speziellen Charakter der madhurya erzeugt. Hierbei überdeckt das Machtlose, Liebliche den Machtcharakter, so dass dieser nur noch leicht hindurchschimmert.

 

In einer Episode beklagen sich die Freunde bei Yashoda über Krishna, indem sie behaupten, er habe vom Boden ein Stück Erde aufgehoben und verschluckt. Yashoda, der nichts so sehr am Herzen liegt, wie Krishnas Wohlergehen, tadelt ihren Sohn und begutachtet das Innere seines Mundes. Dort sieht sie aber keinen Lehm, sondern das gesamte grob- und feinstoffliche Universum.  Nachdem sie für kurze Zeit mit sich selber hadert, wird die kurzzeitig erlebte aishvarya wieder von madhurya überdeckt:

 

ittham vidita-tattvayam

gopikayam sa ishvarah

vaishyavim vyatanon mayam

putra-snehamayim vibhuh

 

(Srimad Bhagavatam 10.8.43)

 

„Indem die Kuhhirtin, nachdem ihre Vision gewichen war, den Gott auf ihren Schoss nahm, war ihr Herz voller mütterlicher Liebe genau so wie zuvor.“

 

Als Krishna den Berg Govardhan hochhob, dachten die älteren Einwohner Vrindavans nie darüber nach, wie dieser kleine Krishna, der von ihrer Pflege und Fürsorge abhängig ist, der mit den Kuhhirten ringt und oft verliert, diesen ganzen Berg tragen könne. Sie alle waren einfach von seinem Anblick bezaubert und manchmal riet Yashoda dem Krishna, er solle sich ein wenig ausruhen und die anderen Kuhhirten könnten den Berg weiter tragen.

Das Phänomen der madhurya-Bhakti kann wohl als ein Versuch gedeutet werden, diese Andersheit, Fremdheit, Übermacht und Ferne des Heiligen aufzuheben. Das Mysterium, das Geheimnisvolle, soll dem Menschen vertraut gemacht werden, das Ferne soll ihm nah werden, das bisher so Andere soll er als etwas Ähnliches, als etwas dem Menschen in seiner Empfindungsfähigkeit gleiches verstehen.

In madhurya ist keinerlei Angst, sondern nur reine Liebe zu Gott die Erfahrung.

Sri Krishna drückt selber seine Sehnsucht danach aus:

 

 “Die ganze Welt ahnt etwas von meiner Macht und ehrt mich deshalb mit Ehrfurcht und Achtung. Aber die Hingabe, welche durch solche Verehrung geschwächt ist, zieht mich nicht wirklich an.“ (Caitanya Caritamrita, 1.3.16)

 

 

 

Wer spielt?

– Krishna und seine Geweihten

 

In den Upanisaden wird der Höchste Herr so beschrieben:

"Er ist oben. Er ist unten. Er ist im Westen. Er ist im Osten. Er ist im Norden. Er ist im Süden. Er ist die gesamte kosmische Manifestation. Wahrlich, wer Ihn sieht, an Ihn denkt, Ihn erkennt, wer seine Freude in Ihm hat, sein Entzücken in Ihm findet, Liebesspiel mit Ihm hat, Zufriedenheit in Ihm hat, der strahlt im SELBST, der hat unbegrenzte Freiheit in allen Welten..." (Chandogya-Upanishad 7,25,2)

        

Nun wird in der Upanishad das Leben Gottes im Reich der Fülle angedeutet:

 

"Und er wandelt dort umher,

essend, spielend, sich ergötzend." (Chandogya-Upanishad 8,12,2)

 

Der einzige Held dieser Lila (göttlichen Spiele) ist Sri Krishna, der in vielen Seinsweisen Seiner Selbst (in unzähligen Formen und Gestalten) auf vielen Schauplätzen gleichzeitig spielt und dessen Gestalt immer aus ewigem Sein, reiner Erkenntnis und aus unbegrenzter Glückseligkeit (sac-cid-ananda) geformt ist.

In der Bhagavad gita offenbart Krishna selbst:

„Die Verblendeten verstehen mich nicht, wenn ich mich in meiner ewigen Form im Bereich der Menschen offenbare. Sie kennen meine ewige Seinsweise nicht und wissen nicht, dass ich der Ursprung aller Existenz bin.“ (9.11)

 

“In Vrindavan werde ich erscheinen, all meine ewig Beigesellten mitnehmend, und wir werden auf vielerlei erstaunliche Weise spielen, was selbst in Vaikuntha (dem Gottesreich der Achtung und Ehrfurcht) unbekannt ist. Mein Anliegen ist es, diese Spiele in der Welt bekannt zu machen, von denen sogar ich selber immer wieder erstaunt bin.“ (Caitanya Caritamrita 1.4.27-28)

 

Das Spiel in Bhagavans innerem Reich (der ewigen spirituellen Welt) oder - wie es in den Texten heisst - das Spiel in Bhagavans zahllosen unendlichen Reichen - ist tief verborgen. Der Vorhang, der das Mysterium der Lila dicht verhüllt, ist ein Vorhang aus blendendem Bewusstseinslicht, gestaltloses Brahman genannt.

Die Lehrer in der Traditionsfolge der Chaitanya-Bhakti sehen das gestaltlose Brahman nicht als das Letztliche an, sondern nur als eine Vorhalle Gottes. "Halte dich nicht in diesen Vorhallen auf", mahnt der Bhakti-Guru ernst seinen Schüler. "Denn dort erlischt das Köstlichste - die Gottesliebe. Und der wahre Krishna, Bhagavan, in seiner ganzen Fülle, betritt diese Stätte nie."

Und selbst die personifizierten Veden beten in den Upanishaden:

hiranmayena patrena     satyasapihitam mukham

„Mein lieber Herr, bitte entferne doch das Blendwerk Deiner Brahmanausstrahlung, die Dein wunderschönes Antlitz verhüllt.“ (Isopanisad 15)

 

 

Unverständlichkeit und Unbegreiflichkeit des lila

 

So lange das Wahrnehmungsvermögen gebunden ist in materieller Dualität, kann es suddha-sattva, die spirituelle Natur nicht berühren. Wenn es sich dennoch streckt und versucht, die eigenen Limitation zu überschreiten und das Heilige zu verstehen sucht, überlagert es materielle Formen und Eigenschaften auf das Heilige und stellt sich nun materielle Formen als die Transzendenz vor.

Diese Einbildungen haben natürlich nicht die Grundeigenschaften des Heiligen (sat, cit, ananda – ewig, voller Bewusstheit und glückselig), sondern man erfährt Sättigung in ihnen (es ist eine materielle Kopie von etwas Transzendentem) und gibt sie wieder auf. (Da das Element der Faszination der Ewigkeits-Substanz nicht wirklich in ihnen ist).“ (Jaiva Dharma, Kapitel 13)

 

"Wenn das Endliche das Unendliche verstehen könnte, würde das Unendliche aufhören unendlich zu sein. Und wenn sich das Unendliche nicht dem Endlichen offenbaren könnte wäre das Unendliche nicht unendlich." (Srila Bhakti Rakshak Sridhara Maharaja)

 

Nur weil die irdischen Worte versagen, scheinen die Erzählungen von Gottes spielendem Tun in seinem eigenen unvergänglichen Reich oftmals irdischen Berichten zu gleichen. Wo immer Bhagavan, der höchste Herr, auch spielt, dort ist sein ewiges Reich, dort ist der Mittelpunkt aller Existenz. Nur auf der Unzulänglichkeit der irdischen Sprache und der Relativität der Begriffe im Vergänglichen ist es zurückzuführen, dass man sagt: „Bhagavan steigt herab“ oder „Bhagavan kehrt in Sein eigenes Reich zurück“. Bhagavan ist ja jener, der kein Vorher und Nachher hat, kein Oben und Unten; der aber das Oben und Unten und das Vorher und Nachher des Weltalls ist. Bhagavan vereinigt in sich in wunderbarer Weise Gestalt und Gestaltlosigkeit, Ruhe und Bewegung.

 

 

Jakob Böhme schildert diese Erfahrung folgendermaßen:

"Was aber für ein Triumphieren in dem Geiste gewesen ist, kann ich nicht beschreiben noch darüber reden. Es lässt sich mit nichts vergleichen als nur mit dem, wo mitten im Tode das Leben geboren wird, und es vergleicht sich der Auferstehung der Toten."

 

Johannes von Kreuz stellt fest, dass keine Vergleiche, keine Mittel und keine Ausdrücke zur Verfügung stehen. »Wir empfangen diese mystische Erkenntnis Gottes nicht in irgend einer bildlichen Form, nicht in die sinnlichen Vorstellungen gekleidet [...] Man denke an einen Mann, der ein bestimmtes Ding zum ersten Mal in seinem Leben sieht. Er kann es erkennen, benutzen und geniessen, aber er kann es nicht benennen und auch keine Vorstellung von ihm vermitteln [...] Das ist die Eigenart der göttlichen Sprache: je tiefer sie eingedrungen ist, je intimer, spiritueller und übersinnlicher sie ist, desto mehr übersteigt sie die inneren wie die äusseren Sinne und legt ihnen Schweigen auf.« Den Widerfahrnischarakter betonend, heisst es bei der heiligen Theresa: »Eines Tages wurde mir im Gebet plötzlich wahrzunehmen gewährt, wie alle Dinge in Gott gesehen und enthalten sind. […] Die Schau war so fein und zart, dass der Verstand sie nicht fassen kann.« (Zit., in: James, W.: Die Vielfalt religiöser Erfahrungen, 1997, S. 408)

 

Iksyate nasate byasat (Vedanta sutra)

“Die Absolute Wahrheit ist unbegreiflich.“

Selbst wenn man mit Tausenden von Mündern für Millionen von Jahren beschreiben würdest, käme man nie zu einem Ende.

Nicht nur, dass sie unbeschreibbar wäre, sondern sie ist so unbegrenzt, dass man sie niemals vollständig zu fassen bekäme.

Dieses Sutra entzieht dem Fundamentalismus die Grundlage.

Die Suche nach dem Unbegrenzten bleibt unbegrenzt.

 

Srila Raghunatha das Goswami, der all seine letzten Jahre am Radha kund verweilte und in seinem ewigen spirituellen Körper (siddha deha) Radha Krishna als Tulasi Manjari diente, schreibt in einem Werk, das er in diesem Zustand der Trance (dem direkten Einblick ins Lila) verfasste:  mukha asvadan vat

„Ich fühle mich wie ein Stummer, der etwas Wunderbares erlebt und davon sprechen möchte, aber es geht nicht. Ich bin voller Erfahrung, aber stumm, sie zu vermitteln.“

Das Problem dabei ist, dass wir bei jedem Wort, welches wir aufnehmen, bereits eine Erfahrung damit verbinden. Diese jedoch wurde sinnlich im Verlaufe vieler Leben irgendwann einmal aufgenommen und prägt nun die eigene Vorstellung von diesem Ding.

Wenn Raghunath das Goswami von Vrindavan als einem „Dorfverband“ mit Hainen spricht, dann haben wir gleich ein inneres Bild davon. Diese aber entstammt aus unserer Erfahrung, aus der Berührung mit der täuschenden äusseren Energie, die wir durch die Sinne aufgenommen und im Geist gespeichert haben. Diese Einsicht stellt also ein Dilemma dar, dem nicht so leicht entgangen werden kann. Durch diesen Verschleierungs-Mechanismus, durch den die heiligen Offenbarungen in uns in ein sinnlich konstruiertes Bild hineingedrückt werden,  verlieren sie ihre transformative Kraft. Sie wurden nun reduziert zu Worten dieser Welt.

Deshalb betonen die Bhakti-Lehrer immer wieder, wie essenziell wichtig es ist, in der lebendigen Gemeinschaft einer Person zu sein, die effektiv die innere Erfahrung hat. Mit einer selbstverwirklichten Person. Durch das Hören über das Lila aus ihrem Mund werden nicht nur die Worte und die damit in der Vergangenheit verknüpften Bedeutungen erinnert, sondern es werden wie neue Eindrücke entstehen, die dann den Worten komplett neuen Sinn verleihen. Durch das Hören von einer Person, die das Lila im Innern sieht und erlebt, wird ein Hauch, eine Ahnung in einem selber erweckt. Diese Faszination wird dann zur Treibkraft des gesamten inneren Lebens. 

 

 

 

   "Der Höchste Gott ist immer unsichtbar, aber durch die Hilfe seiner transzendentalen Kraft (bhakti) mag man ihn erkennen können. Wie wäre es ohne diese Kraft des Herrn möglich, den Herrn von Angesicht zu Angesicht zu sehen?" (Priti Sandharbha Anuccheda 7)

 

Schon wiederholt hat man versucht, das unaussprechliche Mysterium der inneren Lila, doch gleichnishaft in Worten auszudrücken. Eigentlich ist es sogar unrichtig, von Gottes Lila zu sprechen. Sein Wesen IST Lila, Er Selbst ist das unendliche Spiel.

 

Wie will man denn von Gott sprechen? Die Philosophie kennt die dreifache Rede von Gott.

 

 

 

Dreifache Rede von Gott

 

 

 

positive

 

 

Hymnisch, ekstatisch, jubelnd, verehrend, bittend, beschreibend….

 

Ist oft pantheistisch, da man Gott irgendwie mit der Welt gleichzusetzen oder zu vergleichen beginnt, und auch anthropomorph.

 

 

 

Negative

 

Alles, was gesagt werden kann, muss man auch verneinen. Er ist viel mehr. Unverständlich und ausserhalb der Vorstellung. Der Gott der Imagination muss ganz losgelassen werden, auch wenn man schöne Gefühle mit ihm verbindet.

Man muss sich von ihm ins Unendliche mitreissen lassen und kann sich nicht an die kleinlichen Definitionen der Welt festklammern, denn das würde Stagnation bedeuten.

 

 

 

Dopplete Verneinung

 

Er ist nicht Person und auch nicht Nicht-Person – er ist sat-cit-ananda-vigraha.

Er hat keine Form, aber ist auch nicht formlos – er hat eine ewige transzendente Form.

Er hat keinen Namen, aber ist auch nicht namenlos – er hat transzendente Namen.

Er ist nicht die Vorstellung, aber auch nicht die Negation der eigenen Vorstellung.

Er tut nichts (hat keine Aufgaben) und ist dennoch in ewigem Tun – eben lila – beschäftigt.

 

 

In Krishna fallen die Gegensätze zusammen. coincidentia oppositorum.

Obwohl Krishna scheinbar Dinge tut, ist er frei von Wünschen - der Antriebskraft sämtlichen Handelns. Wer keine Wünsche hat, tut nichts. Wenn man dann aufsteht und Dinge tut, dann sind diese offensichtlich von anderer Natur (eine doppelte Verneinung). Obwohl Krishna ungeboren ist, nimmt er Geburt, obwohl er der Kontrollierende der unbesiegbaren Zeit ist, flieht er voller Angst vor Mutter Yasoda, und obwohl er immer im Selbst erfüllt ist, heiratet er in Dvaraka 16'000 Königinnen.

 

 

„Sri Krishna ist sarva-saktiman (Besitzer aller Kräfte) und auch iccha maya (voller neuer Wünsche). Durch seinen süssen Willen manifestiert er sein erstaunliches Lila auch innerhalb der materiellen Sphäre, obwohl es unbegrenzt, unergründlich und schwer zu verstehen ist.

Dieser weltliche Bereich ist unbedeutend und verschwindend klein in Gottes Schöpfung, doch Krishna als der höchste Autokrat wünscht sich die vertrautesten Bereiche der spirituellen Welt, vrindavan-lila, in diese Welt hineinzubringen. Das ist seine erstaunliche Gnade.“

(Jaiva dharma Kapitel 40)

Wie kann das Begrenzte etwas vom Unbegrenzten erfahren? Eigentlich eine Unmöglichkeit. Es benötigt die Offenbarung. Im Vedanta sutra heisst es: vishesha anugrahas ca „Eine aussergewöhnliche Gnadeneinwirkung.“ Das ist Lila.

 

 

 

Die Geburt des Ungeborenen



 

anugrahaya bhaktanam

manushya deham ashritam

bhajate tadrishu krida

yac shrutva tat-paro bhavet

 

„Krishna manifestiert sein ewiges Sein in dieser Welt und vollbringt erstaunliche Spiele, um allen Wesen seine Gnade zu schenken. Wenn man über solche Spiele hört, erwacht die schlummernde Sehnsucht der Seele, und man möchte ihm dienen.“ (Srimad Bhagavatam 10.33.36)

 

Niemand könnte vom Geheimnis der inneren Lila etwas ahnen, leuchtete das göttliche Spiel nicht von Zeit zu Zeit auch auf Erden auf. Es geschieht dann, wenn die ewigen Gestalten der Avataras "herabsteigen".

Unter Avatara versteht man das "Herabsteigen" Gottes aus dem unendlichen Reich der Freiheit in die Welt von Zeit und Raum der Maya, ohne dass das Wesen Gottes sich dabei in irgend einer Weise substantiell verändert. Es handelt sich nicht um eine Inkarnation oder Fleischwerdung. Gott unterliegt in keiner Weise den Gesetzen der Mayawelt, auch wenn Er in sie herabkommt, noch benötigt er eine fleischliche Hülle. Das wird von den Schriften über die Avataras ausgesagt.

Avatar bedeutet, dass Gott selbst zu uns herabsteigt um uns Anteil zu geben an seiner göttlichen Existenz. Religion ist nicht der mühsame Pfad einer Selbsterhebung, sondern immer Gottes Sehnsucht nach einer Seele, die er nicht mehr unterdrücken kann. Somit stellt sein Erscheinen in dieser Welt eine Einladung an die Seele dar.

Krishna, der Ursprung aller Avataras, erklärt hier auf Erden in seiner ewigen Cit-Gestalt:

 

"In Yogamaya eingehüllt, bin ich nicht jedem offenbar. Die Verblendeten können mich nicht verstehen, den Ungeborenen und Unwandelbaren." (Bhagavad gita 7.25)

 

Krishna spricht hier von der Yogamaya, nicht von der grossen Maya der Welt. Die Yogamaya ist eine der ewigen Seinsweisen der Cit-Sakti (seiner ewigen inneren Kraft), die Spielleiterin des göttlichen Lilas; jene Kraft Gottes, welche die Dramatik der Lila gestaltet und ins Grenzenlose steigert.

Der Wohnort jedes der Avataras ist eine eigene Unendlichkeit im Cit-Reich, in der ewigen spirituellen Welt, welche immer und überall ist. Von dort steigen all die verschiedenen Avataras zusammen mit den befreiten Seelen aus Mitgefühl in diese Welt des Vergessens hinein.

Im Buddhismus gibt es das Verständnis von Boddhi-sattvas, befreiten Seelen, welche einfach aus Mitgefühl wiederkommen. In der christlichen Anschauung geht es sogar noch weiter, da Jesus ein ewige Mitspieler Gottes, ein ewiger Gefährte Gottes in der spirituellen Welt, in diese Welt hineinkommt.

Lila bedeutet aber, dass sogar Gott  selber die „boddhi-sattva“ Natur hat. Dass er selber das Interesse an seiner Schöpfung nie verloren hat und immer wieder sein Lila, den Liebesaustausch mit seinen ewigen Gefährten, in der materiellen Welt aufleuchten lässt.

 

Doch in Wirklichkeit steigen sie nicht herab. Denn in der Welt des unendlichen ewigen Seins gibt es ja kein oben und unten, kein aussen und innen und kein vorher und nachher (Bhagavatam 10.9.13). Es wird in der Welt der Maya bloss ein Schleier weggezogen. Der überall und ewig seiende Gott und sein unendliches Reich und sein Spiel leuchten dann für eine kurze Weile auch im Bereich der Maya auf, der nur das Schattenbild der ewigen Wirklichkeit ist.

Wenn ein Avatara zur Erde oder in eine andere Himmels-Welt hinabsteigt, so nimmt er sein ewiges Reich mit sich. Der Boden, den er betritt, die Wälder und Wiesen, in welchen er spielt ist dann alles - solange er anwesend ist - nicht mehr Teil der materiellen Energie, nicht mehr Erde, Lehm oder Stein, sondern cit-sakti (spirituelle Natur), ein Land ohne Begrenzung, wo Zeit und Raum nicht die Herren, sondern die dienenden Helfer der Lila sind. Es wird zum Dham, zum Weihekreis, auch inmitten dieser Welt (wie zum Beispiel Vrindavan dham).

So wie inmitten der Schweiz eine Enklave von Indien existiert – die Botschaft – so manifestiert Krishna alle paar Millionen Jahre seinen Dham inmitten der Vergänglichkeits-Welt.

 

Alle Lilas Krishnas sind ewig, und alle seine Spiele sind unbegrenzt von Raum und Zeit. Wenn er will, sind sie, obgleich sie raum- und zeitlos sind, zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Platz sichtbar, von wo der Vorhang von Zeit und Raum fortgezogen ist. Und wenn er will, dann schliesst sich der Vorhang von Raum und Zeit wieder und verhüllt wie ein dichter Nebel den Blick in die ewige Wirklichkeit. Die Wunder in der Lila Gottes auf Erden bestehen keineswegs darin, dass die Naturgesetze durchbrochen werden, sondern darin, dass dank der Kunst der Yogamaya sich der Rhythmus des ewigen Spiels oftmals - aber durchaus nicht immer - den Gesetzen des Erdenlaufs anzupassen scheint. Dadurch wird verhindert, dass das göttliche Geheimnis von Unberufenen erkannt wird, es ist auch ein Bewahren der Vertraulichkeit.

Der Avatari, der Ursprung aller Avataras, ist Krishna, der sein Wesen in der Bhagavad-gita beschreibt:

„Obwohl ich ungeboren bin und unvergänglich und obwohl ich der Kontrollierende aller Wesen bin, erscheine ich in den Welten durch meine eigene göttliche Kraft (yoga maya) in meiner ursprünglichen ewigen Gestalt. (4.6)

 Es heisst, dass Krishna nur einmal während eines Tages von Brahma (das heisst alle 8'640 Millionen Jahre) niedersteigt und sein eigenes Reich mit sich nehmend, für eine bestimmte Zeit sein innerstes Lila bei den Menschen spielt.

 

Krishna erwähnt auch den Grund für sein Erscheinen:

 

„Wann immer das Dharma (die Weltordnung) im Niedergang begriffen ist und sich das Nicht-dharma erhebt, zu der Zeit erscheine Ich (in Meiner ewigen Form, so wie Ich bin).

Um den Heiligen Zuflucht zu geben und die Böswilligkeit zu bezwingen und zur Wiederherstellung des Dharma (wahren Glaubens), erscheine ich Zeitalter für Zeitalter.“

(4.7-8)

„Meine Geburt und meine Taten (Lilas) sind transzendental. Wer sie in Wahrheit kennt, wird nicht erneut Geburt nehmen, nachdem er diesen Körper aufgibt, sondern wird mit Sicherheit zu mir gelangen.“ ( 4.9)

Wenn alle Universen zerstört würden, empfindet dies Krishna nicht als einen Verlust. Aber um eine einzelne Seele kümmert er sich mit grosser Behutsamkeit und Fürsorge.

Sie ist ihm wichtiger als die gesamte Schöpfung.

(Caitanya Caritamrita 2.15.178)

 

Krishna will die Seele nicht mit moralischem Zwang zur Rückkehr bewegen, sondern ihr eine Ahnung der Freude der Gottesliebe und der Gottesbeziehung schenken. Deshalb offenbart er der Seele das Lila.

 

 

Einheit mit Vielfalt

 

Das Bhagavatam (10.33.36) selber erklärt, dass Lila einen Geschmack des Unvergänglichen vermitteln möchte, auch an Seelen, die im Vergänglichen gefangen sind. Lila vermittelt den Geschmack des Ewigen (rasa-amrita), sodass man nie wieder zufrieden sein wird mit Zuständen im Stadium der Bindung oder Befreiung und das Sehnen zieht einen ins Ewige.

Wenn man glaubt, man müsse eine Wahl treffen zwischen Monismus (advaita) und Theismus (dvaita), dann befindet man sich bereits in der Dualität, welche nicht alles zu umfassen vermag. Die spirituelle Wirklichkeit kann beide Aspekte miteinander auf eine Weise verbinden, dass es als Hinweis auf eine ganz andere Wirklichkeit verstanden werden kann. Innerhalb der weltlichen Vielfalt  dieser Welt gibt es nicht Koexistenz zwischen sich widersprechenden Gegensätzlichkeiten. Sie lösen sich auf.

Advaita bedeutet nicht exakt Monismus, aber „nicht-dual“. In dieser Welt erleben wir Einheit und Dualität. Advaita bedeutet: weder noch. Es weist auf eine höhere Wirklichkeit hin, in welcher die Gegensätze in einer umfassenden Einheit zusammenfallen (coincidentia oppositorum). Es ist eine Koexistenz, die sich nicht gegenseitig auflöst, sondern bereichert. Das ist die harmonisierende Qualität der absoluten Realität.

Dann braucht man nicht irgendwelche Aussagen der Vedas zu betonen und andere zu bekämpfen, sondern erkennt, dass in der Gegensätzlichkeit der verschiedenen Aussagen nur auf eine höhere Harmonie hingewiesen wird. Diese Ganzheit ist für den Verstand nicht zu fassen. Wenn man das Heilige mit den eigenen Vorstellungen überlagert, resultiert nicht die Wahrheit daraus, sondern die eigene Vorstellung der Wahrheit. Die eigene relative Erfahrung des Absoluten darf nicht verabsolutiert werden, denn das wäre die Stagnation der inneren Entwicklung.

Die Advaita-Erfahrung ist Vielheit ohne Konflikt, Einheit in der Zweiheit – das ist die Liebe. Die Absolute Wahrheit ist advaya, nicht dual, nicht zwei-haft. Das bedeutet, dass es in ihr keine Dualität gibt, dass sie nur eins ist. Unio und comunio – Einheit und Beziehung. Eine Einheit, die auch die Vielheit in sich integrieren kann, und in der sich die Gegensätzlichkeiten ergänzen.

Die Höchste Absolute Wahrheit hat transzendentale Gestalt, Eigenschaften und Charakter. Da sie nichts zu tun braucht – da alles nur von seiner iccha Sakti, seiner Wunsch-Kraft geschieht – spielt sie. Dieses dramatische Liebesspiel des letztendlichen Bewusstseins nennt man Lila. Die heiligen Schriften beschreiben dies, um uns die Faszination der Wirklichkeit zu vermitteln.

 

Krishna, die Absolute Wahrheit, spielt in Vrindavan wie ein Kind. Seine Freunde beklagen sich bei Yasoda, da Krishna Erde gegessen habe. Sie kommt und bezichtigt ihn. Er, der die Ursache von allem ist, der selbst von der Angst in personifizierter Form gefürchtet wird, ist nun wirklich ängstlich vor seiner Mutter. Mutter Yashoda will Sri Krishna von der Erde befreien und bittet ihn, seinen Mund zu öffnen – und erblickt in ihm Millionen von Universen, die gesamte Schöpfung.

Das ist die Bedeutung von Advaita, „nicht dual“. Diese Höchste Wahrheit ist eine Person und in ihr existiert keine Dualität. Es gibt in ihr keinen Unterschied zwischen innen und aussen. Von ihr gehen alle Universen aus und zur gleichen Zeit sind sie auch in ihr. (Bhagavad gita 9.4) Seine nicht-duale Gestalt vereint innen und aussen. Er ist ein Wesen ohne Dualität.

Yashoda aber ist geblendet von ihrer elterlichen Liebe (yoga maya) und denkt, Krishna sei unter dem Einfluss von einem Geist und ruft Brahmanas, um diesen Geist auszutreiben und um Krishna zu beschützen. Sie denkt, dass aufgrund dieses Einflusses ihr Kind so unruhig sei und deshalb von Haus zu Haus schleiche und Butter stehle.

Krishna hat überall in Vrindavan Butter gestohlen…. Seine Mutter hat ihn einmal dabei erwischt. Krishna hat sein wunderbar schwarzes Gesicht noch voller Butter und ganz ängstlich sagt er: „O maiya, ich habe kein Butter gestohlen.“

Äusserlich sieht es so aus wie eine ganz gewöhnliche Alltagsszene in einem indischen Dorf, eine Erzählung, die da seit Generationen erzählt wird. Aber da Krishna die Höchste Wahrheit ist, und auf Erden spielt mit seinen ewig Beigesellten, ist darin die tiefste Weisheit des Vedanta verborgen.

Ist es Lüge, wenn Krishna sagt, er hätte kein Butter gestohlen? Alles kommt aus der Absoluten Wahrheit aus und ihr gehört alles. Man kann nichts stehlen, was einem selbst gehört.

Das ist Advaita, Nicht-Dualität, das Zusammenfallen aller Gegensätzlichkeit. Die Lüge wird Wahrheit.

Krishna spielt mit unzähligen Kuhhirten in den Wäldern Vrindavans. Er spielt auf der Flöte und sein Wesen ist nur Lieblichkeit, Romantik und Schönheit. Alle Eigenschaften, die einen in der zeitweiligen Welt anziehen haben ihren Ursprung in der Wahrheit. Mit all seinen Kuhhirtenfreunden sitzt er nun im Wald von Vrindavan. Sie lachen miteinander und essen. Jeder von den Millionen von Freunden denkt, Sri Krishna sitze direkt vor ihm und er spreche direkt mit ihm und teile mit ihm die Nahrung. Ein Freund sagt zu Sri Krishna: „Bitte esse auch von diesem Samosa, welches meine Mutter wunderbar zubereitet hat“, und steckt es Sri Krishna in den Mund. Alle von den Kuhhirten haben diese Erfahrung.

Das ist die Bedeutung von Advaita. Die Wahrheit ist unlimitiert und muss deshalb auch allgegenwärtig, alldurchdringend sein. Aber in seiner Unbegrenztheit ist sie auch individuell. Wenn sie nur überall und alldurchdringend wäre und nicht auch gleichzeitig lokalisiert, dann würde ihr einen Aspekt fehlen. Das Unbegrenzte muss also gleichzeitig beide Aspekte umfassen, sonst wäre es limitiert.

Die Erfahrung von Form in der physischen Welt ist immer nur an einem Ort, begrenzt und limitiert. Aber in der Transzendenz koexistieren gegensätzliche Eigenschaften. Aus diesem Grund sitzt er mit Millionen Freunden zusammen und jeder erfährt, dass er direkt neben ihm sitzt und eine intime Beziehung mit ihm hat. Das ist Advaita.

Krishnas Gestalt ist allgegenwärtig. Sie kann immer und überall geschaut werden. Eigentlich ist es nur aufgrund seiner äusseren verblendenden Kraft, der maha-maya, zuzuschreiben, dass er einer Seele, die von ihrem Recht auf Unwissenheit Gebrauch machen möchte, die Ausblendung seiner Gestalt schenkt.

 

In den theologischen Systemen findet man immer die soziale Struktur des Patriarchats in das Gottesbild hineingewoben („Gott ist der „Vater“). Es existiert so viel männliche Dominanz im Gebiet von Theologie. Aber warum sollte Gott männlich sein? Das Bhagavatam erklärt, dass die absolute Wahrheit auch weiblich ist. Die Mann-Frau-Dualität ist ein fundamentales Prinzip, das fast die gesamte materielle Existenz durchdringt. Da diese Welt eine Spiegelung der Wirklichkeit ist, muss dieser Aspekt auch im Ursprung seine Grundlage, einen Grundentwurf, seinen Archetyp aufweisen.

Die Veden offenbaren Radha und Krishna als die Absolute Wahrheit, die sich ewig in zwei geteilt haben und Einheit in der Liebe erfahren. Diese Einheit wird Prema-bhakti genannt. Der Schimmer dieser Erfahrung der nicht-dualen Welt ist auch hier erfahrbar als Bhakti Yoga, in der liebenden Hingabe zu Gott.

In Radha und Krishna existiert eine Einheit, obwohl sie zwei sind. Das ist Advaita.

 

Wenn Krishna Vrindavan verlässt und Radhika in den Wäldern Vrindavans weinend zurückbleibt, dann erinnert sie sich an das wunderbare Lächeln Krishnas, wie er singt, wie er so bezaubernd auf der Flöte spielt und alle bewegenden und nicht bewegenden Lebewesen damit betört – Vögel und Bäume sind absorbiert in Trance.

In den Trennungsgefühlen absorbiert in die Erinnerung an Krishna spürt Radha plötzlich ganz sanfte Hände, die ihre Augen bedeckten. „Ist es Lalita? Oder Vishakha?“ „Nein, ich bin es!“ Und Sri Krishna steht direkt vor ihr. Radhika kann es noch nicht glauben und Krishna wischt ganz sanft mit seinem eigenen Pitambara (Krishnas gelben Dhoti) ihre Tränen ab. „Wieso weinst du? Ich werde dich nie verlassen.“ Im nächsten Moment verschwindet dieses Sphurti (Vision) und Radhika fällt bewusstlos zu Boden.

In dieser Welt sind wir mit einer Person zusammen oder getrennt von ihr. Trennung (vipralambha) und Begegnung (sambhoga) sind nie gleichzeitig. Aber in der transzendentalen Sphäre gibt es keine Dualität darin. So gibt es Begegnung in Trennung (prema-vivarta) und auch Trennung in der Begegnung (prema vaicittya). Das ist die Erfahrung von Advaita, Nicht-Dualität.

In dieser Welt ist Klang und Form voneinander verschieden. Durch Klang ist die Form nicht direkt erfahrbar. Aber Absoluter Klang, der Heilige Name Gottes, vermag alle Wahrnehmung zu vermitteln. Berührung, Geruch, Geschmack, Begegnung und Beziehung. Aus diesem Grund ist die Erfahrung der transzendentalen Wirklichkeit in dieser Welt zugänglich durch das Medium von spirituellem Klang. Durch Absorption in den Heiligen Namen erweitert sich dieser in die Gestalt der Absoluten Wahrheit, in den Geruch des Absoluten, in das Flötenspiel des Höchsten. All das ist erfahrbar durch Nicht-dualen Klang – der Heilige Name Gottes. Das ist die Erfahrung von Advaita.


Erst wenn man wirklich die ontologische Position Gottes versteht, wird aus dem Lila ein transformierendes Ereignis. Ohne dieses Grundverständnis bleiben es Geschichten, die aus dem weltlichen Standpunkt ausbetrachtet nicht einmal sehr spannungsgeladen sind und nicht einmal eine Moral, eine Lehre für eine neue Lebensgestaltung vermitteln.

 

Schlussgedanke:


Gedanken sind zeitweilige momentane Sichtweisen. Wenn man sie als solche versteht, sind sie wunderschön.

Nur wenn man vergisst, dass sie nur eine einzige von unzähligen Möglichkeiten darstellen, die Welt zu betrachten, dann verwechselt man seine eigene Moment-Perspektive als die Wirklichkeit. Dann leidet man nicht an der Welt, sondern nur an seiner Betrachtung zur Welt, an der Vorstellung, wie sie zu sein hätte.

 

 

Die Verteidigung meiner Gedankenwelten und Weltanschauungen wird erst möglich, wenn man sich mit ihnen identifiziert. Denn erst dann werden die Ich-Rolle und die eigene Geschichte bedeutsam. Dann nenne ich sie nicht mehr „meine momentane Wahrheit“, sondern „die Wahrheit“.

Die klare nach innen gerichtete Wahrnehmung ist dankbar, wenn die Gedankenwelten und alle bisherigen Perspektiven umgestossen werden. Denn dies bedeutet, dass die Sichtweise erweitert werden darf.

 

Das Ich-Konstrukt, das sich von der Welt her definiert, hat keine Identität. So muss es sich durch Abgrenzung definieren. Es zieht willkürliche Grenzen und sagt dann „Ich“ dazu. Irgendwann merkt man, dass es Isolation war.

„Jemand, der die Perspektive wirklichen Wissens hat, sieht sich selbst, ein Tier und andere Menschen mit der gleichen Schau.“ (Bhagavad Gita 5.18)

 

Die Idee, Recht haben zu wollen, ist ein Symptom der falschen Identifizierung.

Wenn jemand zu einen hin tritt und sagt, dass ich mit meinen Anschauungen komplett falsch sei, empfindet man dies als existenziellen Angriff auf „mich selber“.

Unbewusstheit bedeutet die Identifikation mit eigenen Gedanken-Prozessen und seiner mentalen Positionierung. Diese eigentlich komische Konstellation hat sich einfach eingebürgert über hunderttausende von Jahren und wird deshalb als so reell empfunden.

Philosophie (Wahrheitsliebe) ist die Fähigkeit, unterschiedlichste sich widersprechende Ansichten ganz still in seinem Innern anzunehmen. Dies kann man tun, weil die konditionierte Weise, die Welt zu betrachten, seinen Absolutheitsanspruch verloren hat. Man darf seine Fragment-Perspektive verlassen und sich staunend dem Umfassenderen stellen.

In einer solchen Seelenhaltung vermag man sich dem Mysterium des Lila stellen.

 

Die Mystiker geben den Mythen einen verborgenen Sinn, sie lesen sie esoterisch. Und diesen erkennt man durch direkte innere und kontemplative Erfahrung und nicht in irgendeinem äusseren Glaubenssystem. Vaishnavas sind keine Mythengläubigen, sondern kontemplative Phänomenologen.

Mytische Religion vermittelt endlose Reihen von Glaubenssätzen und nichts entspringt der eigenen Erfahrung.

Innere Religion ist eine Sache der direkten Erfahrung und des persönlichen Gewahrseins. Dabei wird nicht verlangt, an etwas zu glauben und irgendwelche Dinge anzunehmen oder Dogmen zu schlucken. Es werden nur Experimente im Labor des eigenen Bewusstseins durchgeführt. Man stützt sich dabei auf direkte Erfahrung, die mit Offenbarung korreliert und nicht auf blosse Gläubigkeit oder Wunschdenken.

Srila Sridhara Swami warnt:

„Diese transzendentalen Themen sind sehr hoch und wir sollten sie nicht unvorsichtig und gleichgültig unbesonnen annähern.

Wenn wir Eigenerfahrung und weltliche Eigenschaften in diese höchste Ebene hineinprojizieren, wird unsere zukünftige Verwirklichung blockiert und verunmöglicht.

Unsere weltliche Erfahrung hat die Tendenz, unser Erleben zu verabsolutieren. Deshalb ist grosse Vorsicht angebracht. Alles, was wir uns zurzeit ausdenken und vorstellen, ist nicht zu finden auf der Ebene von Krishnas Spielen, denn diese sind auf einer weit höheren Existenzebene als alle Bereiche der Erfahrung in den materiellen Welten. Unsere Sichtweise ist verfälscht. Wir haben nur eine ganz verschleierte und verzerrte Ahnung vom Wirklichen (welche uns durch die Heiligen und die Schriften geschenkt wird).

Dies muss immer in der Erinnerung behalten werden, wenn man sich der Welt des Lila nähert. (Golden vulcano of divine love, S.119):

Dennoch weist das Jaiva dharma auf die reinigende Kraft der Erinnerung an Lila hin:

“Das lila des Herrn mag auch von bedingten Seelen aufgenommen und erinnert werden, die noch im Einfluss der materiellen Energie sind, auch wenn sie noch nicht die wirkliche Verwirklichung der absoluten Göttlichkeit dieser Lila haben.“ (Jaiva dharma Kapitel 40)

 

 

 

Anhang:

 

 

Sri Krishna ist nicht vor 5000 Jahren erschienen…

-eine Betrachtung

 

Indische Götterbeschreibungen sind für gewöhnliche Menschen sehr verwirrend. Da tauchen Wesen mit grüner, roter oder eben blauer Hautfarbe auf. Manchmal mit mehreren Köpfen. Es werden Wesen beschrieben, die tausende von Jahren leben, in den Himmeln fliegen und ihre äussere Erscheinungsform nach Belieben zu verändern vermögen.

Es ist umso erstaunlicher, wenn man von den Geweihten Krishnas erfährt, dass die innere Reflektion und das Gedenken an solche offenbarten Beschreibungen (lila-katha), die Essenz der Theopraxis (der spirituellen Übung) der Krishna-Bhakti darstellt.

 

Vor einigen Jahren wurde ich an der Universität Zürich von einem Professor gefragt, ob ich denn wirklich an diese Beschreibungen glaube. „Sind diese Beschreibungen symbolisch oder ist das wahr? Ist dies alles eine Allegorie, die ein Etwas jenseits von Worten beschreibt? Oder glaubst du als aufgeklärter Mensch mit einer westlichen Schulbildung effektiv an all diese vielköpfigen Geschöpfe mit vielen Armen aus deren Nabel Lotosblumen wachsen?  Ich habe mich dazumals geschämt, „Ja“ zu sagen.

 

Das ist aber eine wunderbare Frage. Die Frage muss jedoch in einen Zusammenhang gestellt werden.

Wenn wir an etwas denken, dann tun wir das in Kategorien unserer Erfahrung: Wahrheit, Tatsache, Fiktion, Mythologie, Wirklichkeit, Symbolismus…und wir glauben, eine genaue Vorstellung von diesen Denk-Kategorien zu haben.

Aber all unsere Gedanken-Kraft und unser gesamtes Vermögen zu verstehen und all unsere Gedanken-Prozesse, unsere Standpunkte basieren auf Grund-Annahmen, die nicht wirklich sind.

 

Am Anfang des inneren Weges steht deshalb immer die Einladung zur radikalen Entgrümpelung unserer Vorstellungen und Denkmuster (Bhagavad gita 2.11). Auf unserer Suche nach Begrenzung, die wir „unseren Standpunkt“ nennen, suchen wir immer wieder nach Orientierungspunkten, nach Bezugsmöglichkeiten, nach Strohhalmen, an denen sich das Ich wieder festhalten kann. Somit wird Vertiefung verunmöglicht. Wir haben gar nicht gemerkt, wie das bedingte Ich die Begriffe „wahr“ und unwahr“ für sich vereinnahmt hat.

 

Ich möchte ein paar Beispiele geben.

 

Dieser Körper ist nicht das Selbst. Wir sind eine Seele, die kein einziger Berührungspunkt mit allen Erlebnissen und Erfahrungen in dieser Welt hat. Aber Tag für Tag – und dies seit unvorherdenklicher Zeit – identifizieren wir uns mit diesem Rollenspiel des Körpers und denken, wir seien Mann oder Frau, gesund oder krank und wir glauben, wir würden älter werden. Die Seele wird nicht von Zeit berührt, aber weil dieses Denken angewöhnt ist, leben wir weiterhin ausserhalb unserer Identität und dies bedeutet: in einer verzerrten Wahrnehmung. Unsere Vernunft ist zusammengesetzt aus Ideen, die nicht der Wirklichkeit entsprechen.

 

 

Wir glauben, etwas zu besitzen. Das Ich hat alles in Besitz genommen: meine Beziehung, meinen Partner, mein Kind, meine Gedanken, meine Gefühle, mein Haus, meine Güter, meine Heimat, meine Welt.

Wenn man innerlich das Gefühl hat, mehr zu wiegen als eine Feder, so trägt man eine Last, die einem nicht gehört. Und erstickt unter dem Gewicht, das schwerer wiegt als ein Fels.

Hat man sich selber wirklich schon einmal die Wahrheit darüber gesagt, wie man sich fühlt mit all diesem Besitz?

Mit Sicherheit schwerer als eine Feder.

Das Gefühl von Besitz ist völlig falsch – aber diese Idee durchzieht unser Bewusstsein und unser Denken und die Perspektive zur Wirklichkeit ist genau davon vernebelt.

Isavasyam idam sarvam (Isopanishad 1) „Alles im gesamten Universum, mich selber inbegriffen, gehört Gott.“ Aber wir stellen Besitzansprüche und leiden an der Bewusstseinsverzerrung.

 

Wir haben ein materielles Identitätsgefühl und denken, wir würden so viel tun. Aber Krishna erklärt in der Gita (3.27):

„Durch die Erscheinungsweisen der materiellen Natur werden alle Handlungen überall vollzogen.

Wer vom Ich-Gefühl (von Identifikation mit dem Körper) verblendet ist, meint, er selbst sei der Vollbringer einer Handlung.“

 

Die Erscheinungsweisen der materiellen Natur fluktuieren und kreieren unbegrenzte Blasen (alle Phänomene der Zeitweiligkeit) auf dem Ozean materieller Energie – aber das verwirrte Lebewesen denkt, es sei selbst der alleinige Ausführer von Handlungen. Wir gleichen ein paar Strohhalmen, welche in einem grossen Fluss vor sich hintreiben. Wie komisch wäre es, wenn sie denken würden „Ich gehe nun hier oder dort hin und erreiche so viel, habe Errungenschaften und Gewinne, die ich für mich beanspruche….“

Illusionäre Wahrnehmung verunmöglicht aber den Einblick in die Realität.

 

Wir denken, wir seien der Bhokta, der Geniesser und unser Leben sei für unseren persönlichen Genuss bestimmt. Dies ist das grundlegendste aller Missverständnisse.

Krishna erklärt in der Gita, dass alle Tätigkeiten letztlich nur für seine Freude bestimmt sind völlig unabhängig vom eigenen Freud und Leid, das dabei resultieren möge. Und nur in der tiefen Akzeptanz dessen und dem praktischen Applizieren dieser Erkenntnis ist Friede möglich. (5.29 / 9.24)

In den Religionen wird Gott meistens betrachtet als Schöpfer und Erhalter dieser Welt, dem keine separate Existenz jenseits seiner Schöpfung zugestanden wird oder welche zumindest nicht im Hauptfokus steht.

 

Radha-krishna-bhakti setzt genau da an. Da ist Gott nicht mehr Schöpfer. Zwar durchdringt er alles, aber der Aspekt seiner Allmacht und Allgegenwart ist nur ein äusserlicher. Sein wahres Sein ist in Vrindavan – dort, wo er geboren wurde. Dort geniesst er den Austausch der Liebe. Gott ist unendlich glücklich.

Es geht nicht primär darum, Gott in sein eigenes Leben hinein zu beziehen, sondern vielmehr sich selbst in das Leben Gottes zu beziehen. Als der österreichische Schriftsteller Walter Eidlitz in den 30 er Jahren des letzten Jahrhunderts die indische Gottesliebe kennen lernte, sprach er von einer "erstaunlichen und für den westlichen Menschen erschreckenden Theozentrik". Es geht um die Freude Gottes unabhängig von seinem eigenen Wohl oder Weh und man ist selber nicht der Bhokta, der primäre Geniesser, der Welt und ihren fluktuierenden Phänomenen.

 

 

Unser gesamtes Denken und unsere Weltwahrnehmung sind durchdrungen und zusammengesetzt von Denkweisen und Grundannahmen, die nicht real sind. Die Denkvorgänge sind konditioniert durch die materiellen Erfahrungen aus unzähligen Leben.

Im täglichen Leben bemühen wir uns, frei von Vorurteilen zu sein, aber jeder einzelne Gedanke, der sich in diesen Bahnen bewegt, ist nichts anderes als ein Vorurteil.

 

Wenn nun jemand fragt, ob dieses Krishna-lila (die Gespräche über Krishna) Mythologie und Allegorie seien, oder ob es „wahr“ sei - dann müssen zuerst die gesamten Kategorien des Verständnisses von Wahrheit grundlegend in Frage gestellt werden.

Sind all die Ideen, welche man in seinem Geist trägt, wahr?

 

Wir haben unsere Erfahrung der Zeit – Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit.

Sri Krishna erklärt in der Gita (2.16):

„Es gibt keine Existenz in dem, was vergeht. Zeitweilige Dinge existieren nicht.

Und nie hat es Inexistenz gegeben von dem, was ewig ist.“

Im Alltagsbewusstsein orientiert man sich aber praktisch die ganze Zeit am Nicht-Ewigen und ist aufgewühlt an vorbeiziehenden Phänomenen und deren Bewertungen.

Ist Krishna-lila wahr? Was ist das Verständnis von „wahr“, welches die Person in sich trägt? Es sind Ideen der Verbindung mit dem Zeitweiligen, die gemäss Sri Krishna eben nicht existieren, also nicht „wahr“ sind.

 

Krishna-lila ist nicht Allegorie, da es ein Hereinbrechen der Ewigkeit in unsere Welt hinein ist. Und es ist auch nicht Historie, da es nie im Fluss der materiellen Zeit statt gefunden hat.

 

Als ich vor vielen Jahren in Vrindavan war, erlebte ich starke Gefühle der Ergebung, als ich mich erinnerte, dass Sri Krishna hier vor 5000 Jahren erschienen sei.

Sadhus haben mich dann belehrt, dass Krishnas Lila nie stattgefunden hat im Fluss der materiellen Zeit, der weltlichen Geschichte und Krishna nicht vor 5000 Jahren hier auf Erden gewesen sei. Es machte mich traurig zu hören, dass es also gar nicht stattgefunden hatte. Sie sagten dann weiter: „Krishnas Lila findet ewig statt in jedem Moment, gerade jetzt – denn es ist ewige Realität. So wie jeder Moment unseres Lebens vorbeigeht und irreversibel der Vergangenheit angehört, so ist Krishnas Lila nie vorbei, sondern jeder einzelne Moment im Krishna-lila bleibt ewig bestehen.“ Krishnas Geburt ist der Einbruch der Ewigkeit inmitten unserer Zeit hinein.

Es ist nicht staubige Geschichte, sondern ewige Realität und es wird zugänglich, wenn man von verwirklichten Heiligen darüber hört.

 

Was ist der Effekt der Erinnerung daran? Alle Misskonzepte, die der Mensch in sich trägt - die Idee, etwas zu besitzen, der Glaube, Dinge zu kontrollieren, die Identifikation mit dem Körper und den Gedankenstrukturen, in welchen man glaubt, man existiere innerhalb der materiellen Zeit und sei der Geniesser der Umstände – werden aufgelöst.

Dies war der Nebeneffekt.

 

Die eigentliche Wirkung besteht darin, dass die schlummernde brennende Liebe, die in jeder einzelnen Seele latent existiert, auflodern und erweckt werden kann, wenn sie in Berührung gelangt mit dem Objekt der Liebe:

Mit Radha und Krishna.