Der Weg des Zweifelns

 

Die Suche nach Echtheit und Tiefe

 

Religiöser Glaube und Zweifel scheinen sich auf den ersten Blick gegenseitig

auszuschliessen. Wer wirklich glaubt und vertraut, zweifelt nicht. Und wer ernsthaft zweifelt, kommt nicht zum Glauben.

Für diejenigen, die an Gott glauben, scheint der Ansatz, Gottes Existenz grundlegend in Frage zu stellen, irrelevant, ein Zurückgehen oder vielleicht sogar Apostase - den Abfall vom wahren Glauben. Zweifel wird als die Gefährdung des im ersten Gebot geforderten Gehorsams gegen Gott verstanden.

 

Dieser Ausschluss des Zweifels aus dem Feld des Heiligen führt zu einer Verkrampftheit in religiösen Anschauungen. Und weil aufgeweckte Menschen unserer Zeit diese Last nicht mehr tragen möchten, hat es sie in die religiöse Gleichgültigkeit getrieben. Wenn die Zweifel nicht willkommen waren, dann nimmt man halt Abstand von dem Bereich, welchen man so sakrosankt und erhaben nicht sehen konnte.

Die Folgen von Denkverboten sind ja bei vielen Religionen offensichtlich: Das Denken wurde mehr oder weniger durch das Glauben ersetzt.

 

Das Ergebnis sind Dogmen und Wahrnehmungen, die mit der Realität immer weniger zu tun haben. Da wurde die Religion, eigentlich intendiert als Instrument zur Ablegung aller Täuschungen, selber zu einer Vernebelung. Wenn die Vernunft die Offenbarung nicht mittragend unterstützt, existiert eine Tendenz zur Unvernünftigkeit. Da scheint der Ruf der Aufklärung (sapere aude!) irgendwie verhallt zu sein.

 

In vielen Religionen wird dann die Leichtgläubigkeit (unüberlegtes Akzeptieren) als verdienstvoll angesehen und Zweifel und kritische Zurückhaltung gelten dagegen als sündhaft.

 

Die ersten Schritte der Gotteshingabe beinhalten gemäss Bhagavatam zwei essenzielle religiöse Prinzipien: Demut und das Streben nach Wahrheit. Demut ist das Eingeständnis, dass mein momentanes Bewusstsein und all meine Erkenntnis der Wahrheit noch ein Provisorium darstellen.... und die Suche nach Wahrheit hält einen für die Weiterführung auch effektiv offen.

 

Die echte religiöse Geisteshaltung weiss sich nicht nur der Vergangenheit verpflichtet (der eigenen Tradition), sondern auch der Gegenwart (der Weiterentwicklung des Glaubensinhaltes).

Ein religiöser Mensch ist nicht jemand, der immer und auf alles eine Antwort bereit hat. Dieses Phänomen existiert nur in der Anfangsphase, wenn der spirituell Reisende noch nicht das Ausmass der Wahrheit jenseits von Konzepten erfasst und berührt hat.

Er bleibt immer auf der Suche, ein Pilger, der seinen Weg zu finden hat, der auf keiner Karte verzeichnet ist. Die vor ihm liegende Spur ist noch jungfräulich und unberührt. Der religiöse Mensch erlebt jeden Augenblick als neu und ist umso mehr erfreut, wenn er darin das erregende Schöne einer persönlichen Entdeckung und zugleich die Tiefen eines bleibenden Schatzes findet, den seine Glaubensvorfahren an ihn weitergegeben haben. Die Offenbarung wird durch die Eigenerfahrung bestätigt.

 

Das Feld der inneren Reise zu betreten stellt immer ein Wagnis und eine Herausforderung dar. Der religiöse Mensch betritt eine Arena ohne Vorurteile und ohne vorgefasste Konzepte. Er ist sich voll im Klaren darüber, dass er möglicherweise bestimmte Teile seines Glaubensbekenntnisses oder gar eine bestimmte Religion überhaupt aufgeben und verlieren wird. Er könnte dermassen anders werden, dass das angewöhnte Schlupfloch eigener Bequemlichkeit nicht mehr sein Zuhause sein könnte. Er vertraut der Wahrheit vollkommen. Sie führt ihn weiter. Er stellt sich ihr unbewaffnet, bereit, selber ein anderer zu werden. Vielleicht wird er seine bisherige Identifikation verlieren, vielleicht wird er sein Leben verlieren – vielleicht wird er auch neu geboren werden.

Die Möglichkeit einer Bekehrung muss zugelassen werden – und sie kann so tiefgreifend sein, dass die Überzeugungen und Bekenntnisse, an denen man bisher festgehalten hat, sich vielleicht in Luft auflösen oder doch einem grundlegenden Wandel unterzogen werden. Das Unternehmen ist gefährlich und kaum jemand wäre dem gewachsen, wenn nicht aus dem Drang des Glaubens selbst heraus, der uns ermuntert, unser Leben furchtlos aufs Spiel zu setzen.

 

Der Imperativ der Infragestellung

 

Das Gegenteil von der Demut ist der Stolz - der Glauben, im Recht zu sein und die Fragezeichen nicht zu benötigen. Und das Gegenteil der Wahrheitssuche ist die Annahme, dass das eigene gemachte Bild, wie man die Wirklichkeit verstehen will, etwas abgeschlossen Sakrosanktes sei.

Denn wäre das Antonym von Wahrheit die Falschheit, wäre es einfach. Dann wüsste man ja, dass es nicht der Wahrheit entspräche. Schwieriger wird es mit den Annahmen, die wir vielleicht sogar für wahr halten und sie als solche verteidigen. Philosophen (Wahrheitsliebende) haben uns immer wieder aufgefordert, sich von eigenen Annahmen und Vorurteilen zu distanzieren, die einem den Blick zur Wahrheit vernebeln.

 

Die Annahme, dass man jenseits von Zweifeln sei, widerspricht dem Geist aufrichtiger Wahrheitssuche.

René Descartes betrachtete im grundlegenden Anzweifeln des Subjekts (seiner Selbst) die

Grundlage alles Philosophierens und aller Wissenschaft einschliesslich des Verstehens des Gottesbegriffs.

 

Sri Chaitanya gab die Anweisung, sich vor seinem Lehrer als unwissend zu verstehen. Alles immer wieder neu zu erfassen. Denn wenn man wirklich akzeptiert, dass alles Wissen, was man erlernt hatte, vielleicht nur Vorurteile und Annahmen sein könnten, dann betritt man einen fruchtbaren Boden für den Vorgang, sich von Illusion zu befreien.

Die Grundhaltung eines Geweihten Gottes ist immer die, dass er sich als unbedeutend und unwissend versteht. Madhavendra Puri scheute sich vor Ehre, da er wirklich glaubte, sie nicht zu verdienen.

 

Arjuna spricht am Ende der Gita, dass seine Zweifel effektiv gelöst seien (18.73). Das ist ein Zustand kraftvoller Ermächtigung und nicht feigem Ausweichen von kritischen Punkten, aus Furcht, man könnte in der Konfrontation damit vielleicht seinen Glauben verlieren.

Viele sind einfach auch zu faul, sich den Zweifeln zu stellen, sie zu analysieren und dann eine Konsequenz darauf folgen zu lassen.

 

Eine realistische Selbsteinschätzung muss zumindest eingestehen, dass alles, was ich bisher als wahr befand, auch eine wirklichkeits-verzerrende Annahme der bedingten Natur sein könnte.

Dass dazu noch die Möglichkeit besteht, dass mein Verständnis einer göttlichen Offenbarung flach, dogmatisch und mit unsichtbaren Zweifeln gespickt ist, zu denen man erst einmal vordringen muss.

 

Das fordert mich auf, konstante Offenheit für Weiterführung, für die Wahrheit in mir zu tragen.

Reality check ist immer wieder gefordert… sonst geht es ganz schnell, dass man in Vorstellungswelten der Wahrheit gefangen bleibt, welche vielleicht gar nichts mehr mit ihr gemein haben.

 

Religiöses Zweifeln als Weg

 

Skeptizismus hat sich den absoluten Zweifel an der Erkenntnisfähigkeit des Menschen zum Prinzip gemacht. Es ist praktisch ein a priori Nicht-Glauben-Wollen. Dahingegen versteht die Methode des religiösen Zweifelns, des grundlegenden Infragestellens, einfach nur, dass all unsere Vorstellungen des Heiligen sich im Bereich des Provisoriums befinden und durch den Zweifel erst die Möglichkeit zur Vertiefung erfahren.

Ein wesentlicher Teil davon ist das „Zu-Ende-Denken“ des Zweifels. Man lässt sich ganz auf ihn ein und fragt sich, wohin er einen denn führen möchte.

Wenn ich alleine beim Rezitieren der Heiligen Gottesnamen verweile, dann kommen manchmal Zweifel:

"Stimmt denn das alles, was ich mir von Krishna denke, oder ist es nur Hoffnung, Projektion, Einbildung?

Stelle ich mir das so vor, weil es schön ist, weil ich damit besser leben kann, und weil ich sonst keine Aufgabe mehr hätte?

 

Wenn Zweifel nun so auftauchen, so müssen sie nicht gerade geklärt und beantwortet werden (die, die dies wollen sind die religiösen Dogmen, die gar nicht zuhören können, eingehen, sondern nur schnell - und damit auch vereinfacht - Lösungsvorschläge geben wollen). Echtes Vertrauen soll so stark sein, dass es auch die grössten In-Frage-Stellungen, eben Zweifel, aushalten kann und darf.

 

"Ja, es kann sein, dass alles nur Einbildung ist; alle religiöse Literatur ist der Ausweichversuch vor dem Nichts, die Beruhigung des Menschen, dass er die latente Sehnsucht auch irgendwie einordnen und erklären kann."

 

Im Zulassen wird auch der Zweifel kritisch untersucht, relativiert. Oft gehen wir anders mit ihnen um: sie werden sofort verdrängt, denn ich möchte ja glauben, es für wahr haben. Damit verdränge ich ihn in das Unbewusste, und ich spalte mich ab von einem Teil meines eigenen Selbstes.

 

Doch wenn ich selbst die existentiellsten Zweifel zu Ende denke, erkenne ich, dass ich eine noch tiefere Erkenntnis als nur oberflächliche Bekenntnisse suche. Er treibt mich in die wirkliche Auseinandersetzung mit dem Göttlichen. Dann kommt eine tiefe Gewissheit in mir auf, dass ich überall Absicht, Gottes Hand, erkennen kann, und dass alles "Leben" nicht einfach ein kurzes Aufschreien in ein ewiges Nichts ist.

Ich beginne zu spüren, dass all die Heiligen nicht einfach Illusionen nachgelaufen sind, und dass alle Kultur nicht nur Nervenberuhigung ist.

 

Wenn ich aber die Zweifel, selbst die Option der völligen Absurdität zulasse, beginnt sich nicht nur diese innere Gewissheit zu manifestieren, sondern dann entscheide ich mich wieder bewusst für die Ergebenheit zu Gott, für die Hingabe zu Radha Krishna.

Ich möchte auf diese Karte setzen, ich möchte den selbstverwirklichten Sadhus folgen, die die Wahrheit gesehen haben, und nicht den Skeptikern, die in der Absurdität des Daseins eine Art und Weise finden, ihre Zeit herum zu bringen.

 

Dann ist mir der Zweifel zu einer Erneuerung meines Glaubensverständnisses geworden; er hält mich auf der Suche nach dem wahren Gott lebendig, und hilft mir, mich nicht vorschnell mit meiner Beziehung zu Krishna zufrieden zu geben, sondern ein wirklicher Suchender zu bleiben.

Wohin wollte mich der Zweifel verweisen? Auf Tiefe.

 

 

Religiöser Glaube und Zweifel

 

Die Gegensätze dieser Welt ergänzen sich in einer höheren Wirklichkeitssicht. In einer tieferen Wirklichkeit fallen die Gegensätze in eine umfassendere Einheit zusammen. Im Lateinischen nennt man dies „coincidentia oppositorum“.

Dies bedeutet praktisch, dass man sich von einseitiger Funktionsbestimmung der Religion frei zu machen hat: Religion dient nicht nur zur Stabilisierung des Denkens, sondern ist immer auch Provokation. Sie dient nicht nur der Bewältigung von Krisen, sondern kann auch schwere Erschütterung und Prüfung evozieren.

 

In spirituellen Kreisen wird oft angenommen, dass das Ziel eines Gottesweges die Eliminierung des Zweifels sein wird.

Doch wenn man sich wirklich auf die Einladung Gottes einlässt, erfährt man, dass

sowohl der intellektuelle als auch der existentielle Zweifel an religiösen Glaubenssätzen ein unaustilgbares Element der Vertiefung darstellen.

 

Erst wenn der Zweifel und die radikale Infragestellung im Weltbild seines religiösen Glaubens konstruktiv aufgenommen werden, führt der innere Weg wirklich zur Vertiefung und nicht einfach in die Vereinfachungen einer abgesteckten Überzeugung, welche Obhut vermitteln soll. Wenn in einem aber die Hoffnung existiert, durch den inneren Pfad Sicherheit zu erhalten, und diese sogar der Wahrheit vorzieht, schlummert in einem tief bereits die Ahnung, dass das Glaubens-Gebäude eigentlich nicht wirklichkeits-tauglich ist. Deshalb bedarf es einer inneren Anstrengung und der Tendenz der ideologischen Abgrenzung, um eine heile Welt zusammenhalten zu können. Da ist die Destabilisation des Zweifelns natürlich nicht gefragt und störend.

 

Da der transzendente Gott in seiner Unendlichkeit und Ewig-Neuheit nie vollständig erfasst und erkannt werden kann, ist der Zweifel die dialektisch am nahesten stehende menschliche Antwort, welche sich mit dem bisher Erkannten und Verwirklichten nicht zufrieden geben möchte und immer wieder tiefer ergründet. Nur schon damit ist ein nicht zu unterschätzender Fortschritt gegenüber Programmen erreicht, die den Zweifel ignorieren oder verbieten wollen.

 

Wenn versucht wird, den existenziellen Zweifel mit unhinterfragbar gültigen Glaubensgrundlagen still gelegt zu werden, dann ist das bereits ein Alarmzeichen der inneren Unsicherheit. Diese krallt sich dann noch intensiver an die Form, die zum Selbstläufer wird, und der wesentliche Inhalt, auf den ja hingewiesen werden wollte, wird verdeckt.

Srila Bhaktivinod Thakur erklärt in der Krishna Samhita, dass alle Beschreibungen der heiligen Texte Hinweise auf eine momentan noch gar nicht erfassbare Dimension sind und provisorischen Charakter haben. Sri Krishna offenbart selber in der Gita, dass alle Phänomene in der Welt nichts Abgeschlossenes und in sich Fertiges oder Eigen-Stehendes darstellen, sondern nur auf seine Unendlichkeit hinweisen (10.41-42).

 

 

Man darf religiöse Aussagen nicht gegenüber Zweifelsmöglichkeiten immunisieren. Der Ausdruck davon wäre der Fundamentalismus.

Im Folgenden will ich durch eine von Wittgenstein inspirierte Überlegung zeigen, dass dieses Immunisierung nicht nur unerreichbar, sondern auch vollkommen verfehlt und der religiösen Grundhaltung entgegen gestellt wäre.

 

Ein Paradebeispiel für die Möglichkeit eines solchen internen Zweifels an religiösen

Glaubenssätzen scheint mir das Gebet zu sein. Denn im Gebet ist es möglich, in der Anrede an Gott alle Glaubensgewissheit hinter sich zu lassen und effektiv dem existentiellen Zweifel an Gott Ausdruck zu verleihen.

 

 

„Lieber Syam

Ich höre sie beten – als gäbe es keinen Zweifel.

Billigtrost liegt griffbereit im Regal. Das Angebot der Religionen.

Draussen stehe ich mit stummen Lippen und mit leeren Händen.

Tief fragend und zweifelnd, hilflos angesichts deiner Verborgenheit.

Dann aber plötzlich in ihr aufgehoben.“

 

Der Zweifel an allen religiösen Glaubenssätzen ist auch dann möglich, wenn die Existenz Gottes faktisch aufgrund der Anrede Gottes bejaht wird. Denkt man an das Ringen Ijobs mit Gott (vgl. Ijob 19,25)oder an das Gebet Jesu in der Ölbergnacht (auch. Mk 15,34), so wird deutlich, wie Glauben und Zweifel nebeneinander existieren dürfen.

Das Gebet ist der Ort der Wahrheit, die Stunde der Wahrheit - und gerade deshalb nicht der Ort der fraglosen und fragenlosen Gewissheit.

 

Wittgenstein macht deutlich, dass der Zweifel den Glauben voraussetzt.

"Der Zweifel kommt nach dem Glauben" (Wittgenstein 1997, Nr. 160;.

S. 170, 449).

 

Selbst-Zweifel

 

Nicht nur Gott und die Offenbarung sollen der genaueren Prüfung unterliegen, sondern natürlich auch das eigene Konstrukt, welches man Selbst nennt.

Viele Menschen auf dem inneren Weg landen nach einer gewissen Zeit in einem diffusen Raum, in einer Art Antriebslosigkeit, Motivationslosigkeit. Es ist ein Symptom, dass man zwar glaubte in der Wahrheit zu sein, aber es vom Innersten her nicht wirklich ist.

 

Die grosse Gefahr einer unvollständigen spirituellen Erfahrung ist, dass sich das Ego dessen bemächtigt. Was ursprünglich vielleicht eine authentische Offenbarung, ein Durchdringen Gottes zu mir hin war, wird nun als Mittel einsetzt, seine eigene Dominanz zu bewahren. Das ist die Haltung, die letztlich die Aufrechterhaltung des Egos gewährleistet.

 

 

Viele Unterdrücker und Diktatoren, wie zum Beispiel Erich Honegger oder sogar ein Adolf Eichmann, glaubten wirklich bis ans Ende ihres Lebens, dass sie nur das Beste für die Menschen getan hätten.

Was ist Einsicht? Es ist ein Moment scheinbarer Demütigung, weswegen sie der Uneinsichtige vermeiden will. Ein Eingeständnis, dass die Art, wie es bisher war, nicht in der Wahrheit gegründet ist.

Wahrheit ist anfangs eine Demütigung. Allerdings nicht für das, was wir sind, sondern für das, was wir angenommen und übernommen haben und nun glauben, dass wir dies seien. Wenn man durch diese erste Empfindlichkeit, dieses Aufbegehren des Alten einmal durchgetaucht ist, bleibt nur noch Erleichterung. Das alte System wollte sich bewahrheiten wie alles, was keine wirkliche Substanz hat. Das Festkrallen an etwas, was in der Ewigkeit keinen Bestand hat, ist die innere Not.

Ist man für die Einsicht bereit? Erst das grundlegende Fragezeichen des Zweifels durchdringt die Selbstzufriedenheit an der Oberfläche.

 

Sicher fühlen kann man sich nicht in dem, was man weiss. Das Ich sammelt Trophäen auf dem Weg. Aber dadurch kommt es nicht zu sich selbst, es ist darin nicht zuhause.

Man hat gelernt, sich in seinem Scheinwissen sicher zu fühlen. Wir nennen es Fassung. Die radikale Infragestellung des Zweifels darf dieses Überkleid der Fassung abstreifen. Was ist nun in dieser Nacktheit? Was bleibt übrig, wenn man alle Hoffnungen auf Aufgehobenheit des Ichs ablegt?

Das innere Leben ist nicht die Romanze, an schönen Bildern festzuhangen, die einem von den Religionen überliefert werden. Es ist die ganz tiefe Gewissheit, dass wenn man alle Übertünchungen abstreift, eine wunderbare Wirklichkeit ewiglich schon da ist und einen immer schon umgeben hat: Sri Krishna.

Der Zweifel ist ein wesentlicher Weg dahin.

Man kommt mit reinem Herzen und sucht wirklich Gotteserkenntnis. Aber der Geist hat auch eine andere Absicht: Überleben, Selbstschutz und Abwehr zu allem, was dieses Überleben in Frage stellen oder bedrohen können.

Und diese Zwiespältigkeit ist in jeder bedingten Seele. Erst die aufrichtige Infragestellung, der Zweifel, trennt die Vermischungen.

 

Der menschliche Schatten existiert auch, wenn er unentdeckt oder unterdrückt bleibt, nicht anerkannt oder überschminkt wird mit dem falschen Schein des gesellschaftlich akzeptierten Benehmens. Aber man kann ihn auch übergehen mit dem Denken, heilig zu sein und darüber zu stehen. Das ist die Scheinheiligkeit.

 

Im Unbewussten vermischen sich die Ursehnsüchte der Seele mit alten innerweltlichen Tendenzen. Diese imitieren schnell den inneren Weg, um ihn für ihre Eigeninteressen abzubuchen. Dann hat man Schein-Seelisches und somit Schein-Heiliges im Gepäck.

Ganz im Inneren drängt aber die Dringlichkeit, die Mischzustände nicht einfach ignorieren oder spirituell beschönigen und damit rechtfertigen zu wollen.

Das Innere ruft auf zur konstanten Suche, das Reinere und Echtere aufzuspüren.

Dazu ist aber auch die Bereitschaft vonnöten, sich in solch tiefen Angelegenheiten in Frage stellen zu lassen.

 

Wage zu zweifeln – entflamme den Glauben!

 

Innerhalb dieser Welt gibt es die verschiedensten Weltanschauungen. Und was mich persönlich dabei beschäftigt ist, dass eine Seele, die sich nach effektiver Transzendenz sehnt, sich der ungeheuren Vielfalt von Perspektiven stellen muss ohne dabei irritiert zu werden. Es ist praktisch eine Offenheit auf 360 Grad - nach allen Seiten hin. Aus dieser Konfrontation frei von Angst, etwas zu verlieren, was einem lieb war, kann Krishna einen erst weiter führen. Sonst liegt man dem "Betrug der Überseele" auf, den Krishna in der Bhagavad Gita beschreibt (7.21) - dass er nämlich einfach die Weltsicht unterstützt, die man gerade haben möchte... auch wenn diese gar nicht der Wahrheit, der Absicht Gottes, entspricht.
Das abgeschlossene sakrosankte Weltbild ist die Perspektive der Verhaftung und nicht im Geiste der Wahrheitssuche (Srimad Bhagavatam 2.9.36).
In dieser konzeptionellen Flexibilität muss Paramatma, der Immanenz-Aspekt Gottes, nicht einfach nur das unsichere Gemüt stabilisieren, sondern nun darf Krishna wahrhaft intervenieren.

 

Ein saragrahi Vaishnava (Essenz-Sucher der Wahrheit) ist nicht verwirrt oder angehaftet an einer bestimmten Theorie oder religiösen Doktrin. Denn Gott ist immer mehr als Alles, immer der „gänzlich andere“, derjenige, der alle Widersprüchlichkeiten in sich zu vereinen mag.

So gerät der Suchende, nicht in Schwierigkeiten in seinem Vertrauen und in seinem Glauben (der Art, die Welt zu betrachten), wenn es widersprüchliche Aussagen gibt.

Der Zweifel ist ein grundlegender Antrieb, da er sich nicht mit unserem Wohlbehagen (Wohlfühl-Spiritualität) zufrieden gibt, sondern uns auch unbequemer Wahrheit stellt.

 

Die Seele auf dem Weg vereint die beiden Randpositionen – einerseits lässt sie den Zweifel zu und lädt genaueres Verstehen ein, und andererseits kann sie noch immer tief an Gott glauben und sein Leben ihm anbieten.

Darin verbindet sich der aufrichtig spirituelle Sucher mit dem Rationalisten. Bertrand Russells erstes Gebot in den „Zehn Geboten eines Liberalen“ heisst: „Fühle dich keiner Sache völlig gewiss.“