Transformation unseres Wesens

Die wundersame und fast erschreckende Verwandlung, die wir bei manchen Insekten, besonders bei der Raupe wahrnehmen, dient uns als Sinnbild für die Erhebung und Umgestaltung in andere Daseinsform – die unserer Bestimmung entspricht.

Die Raupe, plump, wenig gegliedert, träge und dumpf, ganz erdhaft, und an den Boden gebannt mit ihren vielen Beinpaaren. Sie ist nur Leib und Mund, und ihre einzige Beschäftigung ist Stoffaufnahme und Weiterwachsen ihrer Körpermasse. Zuweilen hat sie schon ein wenig Schönheit an sich, Farben, Punkte und Streifungen, aber auch viel Hässliches, und gelegentlich sogar Giftiges in ihrer Behaarung. Manchmal, wenn sie sich weit hinaufverirrt hat, scheint sie über sich hinauszugelangen, sie reckt sich, tastet, aber sie findet nichts und kehrt zum Gewohnten und Gewöhnlichen zurück.

 

Bis sie eines Tages wirklich an ihrer eigenen Grenze angelangt ist. Eine seltsame Unruhe bemächtigt sich ihrer, als gehöre sie nirgendwo mehr richtig hin. Das feinste Futter, sonst gierig aufgenommen, wird verschmäht, und nie wird sie wieder zu ihm zurückkehren. Sie rennt mit erstaunlicher Geschwindigkeit umher, hinauf und hinab, als sei ihr die Erde widrig und unwohnlich geworden. Dann bohrt sie sich in die Erde hinein oder spinnt sich in ein Gehäuse, den Kopf nach unten, als sei sie gerichtet, verfemt und ausgestossen, dem Tode geweiht. Sie wird hässlicher als je zuvor, ganz unansehnlich, regt sich kaum noch, man könnte sie tatsächlich für tot halten.

Nur dann und wann krümmt sie sich wie in Schmerzen. Bis plötzlich die Haut von oben nach unten aufspringt und gleich einem alten und zu eng gewordenen Kleid abfällt: siehe, da hängt die "Puppe", ein gänzlich anders aussehendes Gebilde!

Diese Puppe hat keine Beine und keinen Fressmund mehr, sie benötigt sie ja auch nicht. Sie bewegt sich nicht mehr vom Fleck; wo sie einmal ist, dort bleibt sie, und würde man sie mit Gewalt hin und her schleppen, würde sie nur Schaden nehmen. Wehrlos ist sie allem ausgeliefert, nur ihr feiner Chittinpanzer schützt sie vor Feinden. Meist erscheint sie völlig bewegungslos. Man könnte sie für gestorben halten. Nur bisweilen macht sie ein paar heftige Bewegungen, wendet sich hin und her, wirft sich herum, dann ist alles wieder still.

Das kann lange währen, Wochen, oder auch über viele Wintermonate hindurch.

 

Dann zeichnet sich leise eine Veränderung in ihr ab. An gewissen Stellen beginnt etwas wie Farbe durch den grauen, langweiligen und unschönen Panzer hindurchzuschimmern. Die Farben werden deutlicher, man unterscheidet Linien und Flecken und sieht, dass sie zueienander geordnet sind. Hautfalten treten stärker hervor: ein geheimnisvolles und doch noch undeutbares Leuchten aus der immer starrer, lebloser und todverfallener dreinschauenden kleinen Puppe...

Endlich ist die Stunde da, wo auch diese Hülle aufspringt. Sie wird bald ganz abfallen, als wäre sie nichts. Bedeutungslos. Und ein völlig neues, verwandeltes Wesen entsteigt ihr. Hätte man die Puppe gewaltsam geöffnet, ehe jene Farben sichtbar wurden, so hätte man nur eine gleichförmige, gelblichgrüne Masse entdeckt, unorganisiert, unbestimmbar in ihrer Bedeutung: alles war aufgelöst und harrte einer Macht, die daraus wieder etwas gestalten möchte. Das ist nun wirklich geschehen.

Ein neues Wesen, dem kein Mensch die ehemalige Raupe ansehen vermöge, entsteigt dem "Grabe". Zuerst sehr vorsichtig, unbeholfen noch. Das Wesen klettert hinauf, lässt sich hangen, und siehe, die merkwürdigen Hautfalten mit den Farbenstreifen und -punkten, die ganz verknittert und zusammengerollt an dem Körperchen zu kleben scheinen, beginnen sich zu entfalten, sie dehnen sich und werden glatt und schön. Flügel sind es nun. Der sehr feine und lange Rüssel, mit dem das Wesen nicht mehr "fressen" wird, sondern nur Blütensaft schlürfen, wird auf-und zusammengerollt und gleichsam eingeübt, und mit einem Male ist alles bereit: das Wesen erhebt sich, und mit raschen Flügelschlag fliegt es, voll Farbe, Schönheit, leichtester Bewegung und Leben davon, zu den geliebten Blumen, zu seinesgleichen, und alle Erinnerung an einst ist so vollkommen ausgelöscht, dass es sich niemals mehr um eine Raupe auch der eigenen Art kümmern würde.

Es lebt aus den Blumen.

 

Wer würde da nicht staunen, wenn er das einmal zu verfolgen sich die Zeit nahm, ob der Weisheit und der Genialität Sri Krishnas: der in diesem kleinen Geschöpf das Schicksal der von Ihm geliebten Seele geheimnisvoll vorgebildet hat!

 

Denn da ist ein Bild der Seele, die hinüberverwandelt wird in etwas Neues und Kostbares, fort von ihrer Weltverbundenheit. Sie bleibt sich selbst durch all ihre Verwandlungsstufen hindurch, aber ihr ist später so, als könne sie "das da unten" kaum gewesen sein, sie erkennt sich nicht mehr wieder und ist dennoch "sie" und keine andere.

 

Hier geht es nicht nur um eine Wandlung von kaumaram yauvanam jara (Bhagavad Gita 2.13), der ständigen Umwandlung der Körper von Kleinkind bis Greis, sondern um eine viel grundlegendere: Die Verwandlung von dem, was einen durch Millionen von Körpern schon hindurchgeschoben hat: das innerlich träge Bewusstsein. Es geht um das vollständige Abstreifen der übergestülpten Identifikationen, die man so lange Zeit mit seinem "Ich" verwechselte.

 

Die Seele lebte dort, wo alle anderen auch waren, in der Konformität. Manches an ihr war sicher schön und anerkennenswert; aber viel mehr noch war unerfreulich, abstossend, für die anderen und für sie selbst schwer zu ertragen, und selbst das Gift der Bosheit, des Neides und des Stolzes fand sich immer wieder in ihr. Das Gift der Überhebung über andere und des Selbstbezugs. Sie spürte es wohl, dass alles in dieser Welt "zu wenig" für sie sei. Sie hatte ihre nachdenklichen und bekümmerten Zeiten, wo sie nicht mehr weitermochte, weil sie ursprünglich etwas ganz anderes suchte und eigentlich eine andere Lebensbestimmung erfühlte. Aber wenn die Momente des nachdenklichen Nichtweiterwissens und -mögens vorüber waren, dann war sie wieder dieselbe wie zuvor, nur noch hungriger und gieriger.

 

Dann hielt sie es nicht mehr aus in der bisherigen Daseinsform. Ihr bisheriges Leben wurde ausbruchsreif. Erst durch die fundamentale Unzufriedenheit wird die Reformation geboren.

Ihr Wesen war in Revolution, sie spürte es deutlich; sie war innerlich müde, erledigt, mochte sich nicht mehr rühren und konnte es auch nicht mehr. Still musste sie sein, unbeweglich, wartend und sich sehnend nach etwas, das sie sich noch nicht einmal vorzustellen vermochte. Sie wusste eigentlich gar nicht, wohin sie wollte. Sie hing zwischen verschiedenen Welten--hier war sie vertrieben, dort noch nicht angelangt. Wohin gehörte sie? Alles ist wie ausgeschaltet, wie dem Tode ausgeliefert. Dies ist kein einfacher Zustand! Dabei war sie merkwürdig unzugänglich für alle Einflüsse von aussen, und so auch seltsam gesichert, als könne ihr trotz allem ja doch nichts zustossen. Ein Gesetz waltete über ihr, das sie nicht begriff, von dem sie aber erhalten und behütet wurde. Lange musste sie in ihrer Blockiertheit verharren, vielleicht Jahre... Sie schien zu nichts mehr brauchbar zu sein. Da war weder ein brennendes Innenleben noch die Motivation, sich dem alten Leben zuzuwenden. Die Seele konnte nur immer wieder warten und stillehalten, innehalten. In ihr war ein unendliches Chaos. Nichts konnte sie mehr in sich unterscheiden. Wo waren ihre Fähigkeiten geblieben, die sie zu haben geglaubt hatte? Wo ihre spirituellen Verdienste, ihre Verwirklichungen? Was war aus ihren reichen Erfahrungen geworden, die jetzt so völlig zu versagen drohen? Wer ist sie nun? War das der Tod, der innere Tod, der Tod der eigenen Falschheit, der sich viel schrecklicher und grauenvoller gestaltet als alles körperliche Sterben?

 

Manchmal schien etwas in ihr aufzuleuchten aus der Tiefe, eine Erinnerung an Sri Krishnas Worte, ein wenig Geschmack am Heiligen Namen, der nun ganz anders war als zuvor, oder ein Durchbruch während des darshans, jedoch verschwand es immer gleich wieder.

Aber wenn die letzte Stufe des inneren Sterbens erreicht ist, der Untergang und die Absterbung der Umhüllungen vollständig zu sein scheinen und niemand mehr etwas für sie geben möchte--dann ist sie nahe ihrer Vollendung. Alles in ihr ist umgestaltet worden, ihre frühere Weise zu denken, zu urteilen, zu beten, ihr Vertrauen, ihre Motivation - alles ist von Grund auf anders. Eingeschmolzen und neuerschaffen, aus der waltenden Macht, die alles in ihren Händen trägt. Nun ist die Existenz geschaffen zu Ihm hin, nicht mehr für Sein Vergessen.

 

Das gierige Aufnehmenmüssen, der Durst nach Vergänglichem hat aufgehört. Sie begnügt sich mit einem Vers aus den heiligen Texten, einem Gedanken, und in langen Zügen saugt sie die neuentdeckte Köstlichkeit des Heiligen Namens in sich hinein. Früher musste sie immer Neues und Anderes abweiden, jetzt kehrt sie gern zur gleichen Lotosblüte zurück, denn Er ist unerschöpflich. Sein Name allein genügt ihr nun.

Mit ihren Facettenaugen nimmt sie das "Einzelne" nicht mehr wahr, es geht sie nichts mehr an: sie schaut auf das "Ganze".

Sie kann zur Erde zurückkehren, jedoch als geflügeltes Wesen, mit anderen Wünschen und anderer Weise sich zu bewegen: alles kommt aus ihr aus einer Leichtigkeit, einer inneren Beschwingtheit. Es ist die Übereinstimmung ihres Willens mit dem Willen, der alles bestimmt.

Um des Gebens willen lebt sie nun. Sie wird nicht mehrvon der Gier und der Lust, dem Habenwollen, bestimmt wie einst. Sie ist frei von sich selbst, Ihm zugewendet. Sie ist hingegeben nicht mehr zur Eigenbefriedigung, aber zur Wahrheit.

Sie hat also ganz neue Organe des Wahrnehmens, des Aufnehmens und des Wirkens, und selbst jene, die den früheren entsprechen, sind völlig verändert--wie die feinen und gegliederten Schmetterlingsbeine gegenüber den kurzen und plumpen Greifstumpen der Raupe.

 

 

Und wie der Schmetterling erst fruchtbar ist, und nicht die Raupe, so hat auch die Seele erst jetzt ihre wahre Entwicklungsfähigkeit erlangt: in Ihm und durch Ihn.