Sicherheits-Streben

Lieber Krishna,

Seit diesem Jahr ist ein Begriff in unserer Welt wieder ganz stark geworden:
Innere Sicherheit....

Der grundlegenden Seins-verunsicherung möchte man sich nie richtig stellen. Die gesamte säkuläre Gesellschaft ist ein erfolgloser Versuch, ihr irgendwie auszuweichen.
Aber diese Seins-Verunsicherung ist ein wunderbares Tor, das ich bisher immer als negativ eingestuft habe, denn das "Ich" (das, mit dem ich mich bisher identifizierte) SOLL sich unsicher fühlen. Dies ist der Beginn eines inneren Erwachens. Es weiss im Kern ganz genau, und spürt es latent, dass seine als so wirklich angesehene Realität falsch ist.
Deshalb tätigt es eine beständige Anstrengung, Meinungen und eigene Ansichten zu vertreten, um immer wieder die Position des Ichs zu verteidigen und zu definieren, aber der Drang, mich als "Ich" zu lokalisieren ist bereits Ausdruck einer Unsicherheit. Mein "Ich" ist nur ein Zusammentragen von leeren Identifikationshüllen, zusammengesetzt aus meinem Sicherheitsbedürfnis heraus, das ich in Dir finden würde, aber nun auf meine durch oberflächliche Wünsche geschaffene Scheinwelt projezierte.
Die gesamte existentielle Seins-Unsicherheit wird nun ersetzt und überdeckt durch eine Scheinsicherheit, die die Gründung einer eigenen Familie und die Ausübung eines Berufes, der Erfüllung gibt, sowie Tausende andere Ablenkungen, die unseren Alltag durchziehen, mit sich bringen. Doch genau in diesen Versuchen verleugne und ignoriere ich die Tatsache, dass dies alles zum Scheitern verurteilt ist, denn ich verliere alles, was ich festhalten kann. Alles, für das wir uns anstrengen müssen, es nicht zu verlieren, ist eine Investition in eine vergebliche Mühe - ist bereits verloren.

jatasya hi dhruvor mrtyur (BG 2.27)

Die Bestrebungen in meinem momentanen Menschsein möchte ich deshalb dahingehend ausrichten, Ewigkeit - Dir persönlich - zu begegnen.

"Menschen ohne atma-tattva (Erkenntnis ihrer Selbst) fragen nicht nach
Wirklichkeit, denn sie hängen zu sehr an den fehlbaren Soldaten (von denen
man sich so viel Schutz erhoffte) wie dem Körper, den Kindern und dem
Partner. Obwohl sie genug Erfahrung besitzen, sehen sie die bevorstehende
unvermeidliche Zerstörung nicht. (pasyanapi na pasyati- obwohl sie sehen,
sehen sie nicht) (Srimad Bhagavatam 2.1.4)

...und ich verbringe viele viele Leben damit, vermeitliche Sicherheit zu finden. Ein Leben aber, das sich nur um Tun und Festhalten dreht, ist sehr armselig, denn es vermeidet ewige Wahrheit, Deine Gegenwart.

Ich bin solange verunsichert, wie ich nicht wirklich weiss, wer ich bin (svarup jnana) .
Sanatan Goswami fragt Caitanya Mahaprabhu: "Ich weiss nicht, wer ich bin und was ich
hier soll?" 
Wenn ich im tiefsten Wesenskern diese in mir noch offene Frage zulasse, erhebe ich mich über die Wolkendecke meines bedingten Denkens. 
Es ist der Beginn der Kapitulation der vermeintlichen Identifikationen. Denn ich habe "Ich" zu mir selbst gesagt und "Du" zu anderen als hätte ich gewusst, um wen es sich handelt.

Der Spalt der Zweifels ist glücklicherweise geblieben in meinem weltlichen Leben, obwohl ich ihn seit Urzeiten zu asphaltieren versuchte.

Es ist gnadenreicher, sich an diese existentielle Seins-Unsicherheit zu erinnern und ständig darüber bewusst zu sein. Wir aber investieren einen Grossteil unserer Lebensenergie darin, sie heilen zu wollen. Diese Heilung wird aber immer unvollständig sein. Ich muss ganz tief in mir zulassen, dass ich nicht geheilt werden muss und soll, denn meine Verunsicherung ist noch die einzige Erschütterung in meinem zu eingebetteten Dasein.
Spirituelles Leben ist nicht nur von der Theorie zur Praxis, sondern noch viel tiefer: von der Theorie zur Wirklichkeit, zu Dir.

Und dafür ist Erschütterung notwendig. Die Grundfesten zur Welt müssen schwanken und zusammenbrechen.

Aber der menschliche Geist - vollgestopft mit spirituellem Wissen – flüchtet davor und versucht mit geistiger Wendigkeit immer neue Schleichwege zu finden sich in seiner weltlichen Geborgenheit zu wahren.

Wer nicht bereit ist, sich erschüttern zu lassen wird immer kleine Einsichten haben, ein kleines Verstehen, kleine Freuden und Erleichterung von der Welt- aber die wirkliche Frucht - die direkte Begegnung mit Syamasundar - wird ihm verborgen bleiben.

Eine ehrliche Seele zu sein bedeutet da: Ich bin im Moment der Verzweiflung - im Wissen, dass ich immer wieder in eine Sackgasse gelaufen bin. Es einmal zulassen und bis in die letztliche Konsequenz eingestehen: "Ich habe mir bisher immer glaubhaft versichern lassen - von meinem Geist – dass es wieder neue Auswege gibt - von der Konfrontation mit meiner gesamten falschen und so real geglaubten Identität."

Es war aber eine Falle. Ich muss meinen Kampf, den Kontrahenten Gottes, des eigentlichen und einzigen Geniessers, spielen zu wollen (indem ich auch nur Anspruch für mich selber forderte) ganz und gar aufgeben.

Dann finde ich plötzlich einen Halt in der vollständigen Haltlosigkeit, eine neue Sicherheit, die aber viel tiefer gründet. So erhält man eine feine, stille innere Freude, die darin besteht, dass das Herz nicht von der Leidenschaft, das eine an sich zu raffen und anderes von sich abzustossen, zerrissen wird. Es bewegt einen nicht die Freude beim Erlangen bestimmter Güter oder Umstände und nicht Leid, wenn einem dies versagt bleibt, aber man spürt ein stilles Vertrauen, das das, was Krishna einen gibt, das Beste ist.
Dies ist dann für den weltlichen Geist nicht mehr greifbar. Diese Erfülltheit liegt nicht mehr in meinem Versuch, am Vorbeiziehenden mich beglücken zu suchen, sondern in Dir allein.

Dein ewiger Diener