Spirituelle Rücksichtslosigkeit

Der Körper wird sterben. Ob er durch Krebs stirbt oder durch irgend etwas anderes, ist letztlich nebensächlich. Das eigentliche Drama, das entsteht, wenn eine schwere körperliche Krankheit ausgebrochen ist, ist der tiefe Terror, dass ich meine, der Körper zu sein, und dass, wenn der Körper stirbt, "ich" sterbe. Weil ich noch immer zutiefst glaubte, mich als ewige Seele gäbe es nicht, versuchte ich die Identität zu ersetzen durch das Erwerben von Dingen und Erlebnissen im Äusseren. Das hat aber nur meine Angriffsfläche gegenüber der materiellen Energie vergrössert.
Es geht darum, diesem Terror ins Gesicht zu sehen, anstatt ein Drama um die Krankheit zu machen. Die Krankheit ist ja nur eine Möglichekeit aufzuwachen, so wie alles eine Möglichkeit dazu sein kann.

Und dazu bedarf es der vollkommenen Sehnsucht - der Bereitschaft, alles andere zurückzuweisen. Das ist die spirituelle Rücksichtslosigkeit. Das ist genau das, was die wenigen unterscheidet von der Masse der Menschen, die Kompromisse eingehen und sich in dieses Gemauschel des Geistes einlassen.
Sie wollen frei sein - aber: "ich habe auch noch andere Dinge zu tun. Wie soll ich denn...? Ich habe Freunde, ich habe einen Mann, ich habe Kinder..."
Der Geist findet immer irgend etwas.

Raghunnatha das Goswami hat ein schönes Leben gehabt. Es gab überhaupt keinen Grund für ihn, das Schloss zurückzuweisen, seine Frau zurückzuweisen. Es gab nichts, was äusserlich dazu irgendeinen Anlass gegeben hätte. Aber dennoch gab es irgend etwas Unbegreifliches, einen tiefen Drang, einen Sog, der ihn drängte, frei zu sein und all das zu tun, was jener Moment dafür verlangte.
Auch Buddha.
Nityananda das Babaji sass am Fusse von Giriraja in der Stille, vollkommen versunken in der Meditation über astakaliya lila.
Da kam seine Mutter, nachdem sie ihn Jahre später endlich gefunden hatte, und hat ihn angefleht und geweint, er solle doch nach Hause kommen und zu seiner Familie zurückkehren. Er ist einfach da sitzen geblieben, nam chantend, ohne ein Wort mit ihr zu sprehen.
Jahre später ist sie dann seine Schülerin geworden und hat vollkommene Freiheit erlangt: krishna prema.

Jede Beziehung auf Objekte und Personen dieser Welt ist letztlich eine Vermeidung vom Alleinsein mit Gott.

Dies wird von vielen Menschen missverstanden, als ginge es darum, sich von Menschen abzuwenden. Es geht tiefer.
Die anderen Menschen sind nicht das, was sie zu sein scheinen, und auch ich bin nicht das, was ich zu sein scheine. Und diese Beziehung ist nichts anderes als eine Beziehung zwischen dem Schein und dem Schein. Es ist gar nicht eine Beziehung zwischen mir und einem anderen Wesen.

Diese Kompromisslosigkeit, eben die spirituelle Rücksichtslosigkeit, ist die Kraft, welche die Beziehung - die letztlich nichts anderes ist als meine Beziehung zum Schein, meine Beziehung zu Bildern und Rollen - durchtrennt.
Und dazu gehört auch die Bereitschaft, das Gefallenwollen aufzugeben, die Bereitschaft anzuecken.
Wenn diese Kraft (letztlich eine sakti Lord Shivas) auftritt, kann das Widerstand hervorrufen, Staub aufwirbeln. Und in dieser Beziehungslosigkeit werde ich ganz natürlich den Kontakt zu Transzendentalisten suchen, durch welche Sri Krishna zu einem hindurchscheint. Das ist die einzige Beziehung, die es überhaupt gibt. Alle anderen Beziehungen sind leere Konzepte - Konzepte wie Mutter, Vater, Kind, Familie, Freund, Freundin, Verlobter, Partner, usw.

Erst in der Kompromisslosigkeit, der spirituellen Gewaltbereitschaft, ist man innerlich bereit für eine echte Begegnung.
Und dann entsteigt man aus dem Gefängnis der Kleinheit, das der Geist ständig konstruiert: "ich und meine Beziehungen, ich und meine Welt."