Der seidene Faden

Was passiert, wenn ich spüre, dass mein Leben nur noch an einem kleinen Faden hängt?
Wenn ich mich mit meinem grob- und feinstofflichen Körper gleich setze - diese sich aber in einem ständigen Wandel befinden - und Wandel ist gemäss dem Bhagavatam eine Form von Zerstörung (nitya pralaya SB 12.4.36) - hängt meine ganze Identität ständig an einem ganz dünnen Faden.
Und das spüre ich - ganz fein und unbewusst.
Deshalb tätige ich aus Angst heraus eine latente und intensive Gegenbemühung - diese nenne ich "mein Leben" - um die Position des "Ich" zu sichern.
Doch was geschieht, wenn ich die lächerliche Bemühung dieses "Ich" zu verteidigen, vollkommen ablegen würde?

Es ist so fruchtlos, immer wieder zu versuchen, diesen Faden zu verstärken - Arrangierungen zu tätigen für Erhalt, Ansehen und Unterhaltung in dieser Welt. Narada Muni spricht uns ins Herz:

"Ein nachdenklicher Mensch sollte nur nach diesem Ziel streben, das nicht zu erlangen ist, selbst nachdem man alle Planeten in dieser Welt durchwandert hat (Nachdem man alles ausprobiert hat). Weltliches Glück erlangt man im Laufe der Zeit von selbst, ebenso wie einem die Zeit Krankheiten beschafft, obwohl man sie sich gar nicht wünscht" (SB 1.5.18)

Denn es ist gar nicht wirklich das Leben (das wirkliche Leben), das an diesem dünnen Faden hängt. Es ist nur das Leben und Sterben (samsara), das Festhalten-Wollen an äusseren Identifikationen, die an diesem Faden hängen.

krsna buli sei jiva anadir bahir mukha

"Da das Lebewesen Krishna vergessen hat, fühlt es sich seit unvorherdenklichen Zeiten zu seinem äusseren Aspekt (der materiellen Energie) hingezogen. Deswegen leidet es unter der täuschenden Energie des Herrn." (CCM 20.117)

Alle verschiedensten Erfahrungen und der ständigen Bewertung derer, die ein Lebewesen in den drei Bewusstseinszuständen (Tiefschlaf, Traum und Tagtraum - das, was ein Mensch dieser Welt als "Wach-Zustand" bezeichnet) erlebt, sind nichts anderes als Täuschung (am wahren Leben vorbeigelebt)."
(SB 12.4.25)

In meinem Wahn der falschen Identifikationen verschwende ich Leben für Leben, um Illusionen zu schützen.
Ich in Meiner wirklichen Identität hänge überhaupt nicht an einem seidenen Faden.

ajo nitya sasvatam yam purano na hanyate hanyamane sarire (BG 2.20)

"Für die Seele gibt es zu keiner Zeit Geburt oder Tod. Sie ist ungeboren, ewig, immerwährend und urerst. Sie wird nicht getötet, wenn der Körper getötet wird."

Aber die Existenz, die ich bisher als "mein Leben" angenommen habe, hängt sehr wohl an einem seidenen Faden. Was ist denn dieser Faden? Die Beziehung zu dem Gedanken "ich", jedes Identitäts-Gefühl ausserhalb meines siddha-deha (des ewigen spirituellen Körpers).
Und alles, was daraus resultiert ist Angst, Getrenntheit, Schmerz und Arroganz.
Und wenn ich an diesem feinen Faden angelangt bin, dem Vermögen meiner Bedingtheit (des ahankara), sich als ein Teil dieser Welt fühlen zu wollen, berühre ich meine verdrehte Grundbeziehung mit dieser Welt, die völlig zerstört werden muss, wenn ich wirklich leben will.

Genau deswegen erscheint der Herr als Narasimha, als Löwen-inkarnation, denn der Löwe ist zärtlich zu den eigenen Löwenkindern, aber zerfetzt alles, was ihm nicht zugehörig ist. Herzlichen Dank für Deine transzendentale "Gewaltbereitschaft", die meine Ignoranz zu rücksichtslos angreift.
Von Dir kommt die Kraft, welche meine Beziehung zum Schein durchtrennt. Dann entsteige ich meinem Gefängnis der Kleinheit des Geistes.

In dankbarer Verneigung, eine ewige Seele.