Offener Brief

         an denkende Menschen

 

"Die Frage ist nicht: können sie denken? Oder: können sie sprechen? Sondern ganz alleine: können sie leiden?"

Die Diskriminierung aufgrund der Art oder Spezies, der Speziezismus, ist ebenso willkürlich wie die Diskriminierung aufgrund der Rassen- oder Geschlechtszugehörigkeit.

Der Rassist denkt: "Weil du eine schwarze Haut hast, darf ich dich als Sklaven halten." Der Sexist sagt: "Weil du eine Frau bist, darfst du nicht zur Wahl gehen."

Und der Speziezist sagt: "Weil du ein Tier bist, kann ich dich umbringen und aufessen."

 

Natürlich sind Menschen und Tiere verschieden - so wie auch Menschen untereinander verschieden sind. Menschen und Tiere haben, wie die Menschen untereinander, unterschiedliche Interessen. Deshalb verlangt auch niemand ernsthaft, dass Menschen und Tiere gleich behandelt werden sollten.

 

Unterschiedliche Interessen erfordern und rechtfertigen eine unterschiedliche Behandlung. Tiere brauchen zum Beispiel im Unterschied zum Menschen keine Religionsfreiheit, da sie keine Religion haben - so wie Männer im Unterschied zu Frauen keinen Schwangerschaftsurlaub brauchen, weil sie nicht schwanger werden können.

Was das moralische Gleichheitsprinzip fordert, ist schlicht dies: Wo Menschen und Tiere gleiche Interessen haben, da sollen diese auch gleich berücksichtigt werden.

Wir behandeln Tiere als wären sie leidensunfähig. Zu ihrem Unglück sind sie es nicht. (ein Säugetier hat sämtliche Schmerzsymptome, die von der Physiologie definiert wurden, ebenfalls: Aufschreien, Pulsbeschleunigung, Muskelverspannung, Temperaturanstieg....) Das Recht auf Leben steht jedem Lebewesen zu – Mensch und Tier. Fleisch zu essen ist eine Zuwiderhandlung von diesem Grundrecht. Wir essen das Tier ja nicht aus einem existentiellen Bedürfnis heraus auf, da wir sonst verhungern würden, sondern nur wegen den wenigen Sekunden der Sinnesagitation auf der Zunge.

 

Mit verschiedenen Strategien versucht man das Unbehagen dieser Ungerechtigkeit zu unterdrücken: "Eigentlich essen doch alle Fleisch. Die Freunde und die Nachbarn tun es, eine globale Wirtschaft bestärkt uns darin, wie könnte ich mich darin irren?“

Die blassen, eingeschweissten Quader Tiefkühlzeug sind eine Ware. Es grenzt an Taktlosigkeit, sich nicht an gewisse Abmachungen zu halten und offen zu sagen, dass es sich dabei um Körper einstmals lebendiger Tiere handelt, die um meinetwillen getötet wurden.

Unter dem sozialen Druck dieser Gewohnheit, dass ja "alle" Fleisch essen, verliert das sterbende Opfer für den Esser seine Individualität. Es wird plötzlich zu einem "Nahrungsmittel" deklassiert. Entpersönlicht, damit ich das Unfassbare tun kann, dass Nicht-zu-Rechtfertigende rechtfertigen.

 

Wir kaufen "Poulet" und Fischstäbchen- denken wir dabei noch an den Tod des Lebewesens, das wir verspeisen, und wenn wir es tun, sind wir dann noch fähig, gewissenlos weiter zu kauen?

 

„Vor einigen Jahren verbrachte ich einige Zeit im Frachtraum eines schottischen Fischfang-Schiffes im Nordatlantik. Er enthielt ein riesiges Durcheinander verschiedenster Fischsorten - einige kommerziell zu verwenden, andere nutzloser Beifang, der wieder über Bord geworfen wird - und alle warteten darauf, ausgenommen zu werden. Besonders trafen mich die portugiesischen Hundshaie, kleine, etwa einen Meter lange Haie mit rasiermesserscharfen Zähnen und struppigen braunen Fellen. Ihre schönen gelbgrünen Augen leuchteten im finsteren Chaos des Frachtraumes wie Neonlampen. Viele andere Fische zeigten Anzeichen akuten Druckverlustes. Ihre Augen quollen hervor, und die Schwimmblasen traten ihnen auf groteske Weise aus dem Maul. Die Hundshaie konnten den Schock, aus einem Kilometer Wassertiefe hochgerissen worden zu sein, anscheinend besser verarbeiten, und mehrere von ihnen zappelten oder zuckten noch auf den Kadaverbergen. Einer lag fast gelangweilt auf dem Rücken und rekelte sich im Gleichtakt mit dem Donnern des Schiffes. Unter krampfhaften Zuckungen kam er plötzlich nieder. Das Baby war schwarz und etwa sechzehn Zentimeter lang, und seine Augen waren kleine leuchtende Knöpfe von derselben Färbung und fluoreszierenden Intensität wie die seiner sterbenden Mutter. In den nächsten drei Minuten erhielt es noch fünf Geschwister, die sich auf der Suche nach dem lebensspendenden Meer blindlings in die Haufen toter Fische hineinwühlten.

Die Welten hätten nicht verschiedener sein können: hier die Welt lebender, schmerzfähiger Wesen, und da die Welt des kommerziellen Fischfangs, in der sie ungerührt verarbeitet wurden.“ (James Hamilton in der Weltwoche nr.43)

Inwieweit verdrängen wir die Tatsache, dass jahraus, jahrein Milliarden von Fischen so abgeschlachtet werden und in inwieweit übersehen wir die Schlachthöfe, hinter deren anonymen Mauern Massaker stattfinden -  natürlich alles gemäss EU-Richtlinien, die wir für ganz human halten.....

 

Auch ohne moralische Gleichsetzung von Hundshaien und Menschen darf man hier wohl an die Völkermorde in unserer Geschichte denken.

„Solche Wesen sterben keine echten Tode, weil sie nie so gelebt haben wie wir. Wir haben die wahren Empfindungen und das subtile Einfühlungsvermögen, was sie doch nicht haben. Wenn dem wirklich so ist, warum können wir dann bewusst diesen Genozid an Tieren weiter täglich mitverursachen durch jeden einzelnen Fleischkonsum??) Leute wie wir haben die komplexen Nervensysteme, Erinnerungen und autobiographische Fähigkeiten - und anscheinend einen erschreckenden Sinn für Grausamkeit, den wir zivilisatorisch zu rechtfertigen suchen...

 

Diese Menschensicht hat eklatante Unvereinbarkeiten, Heuchelei zur Folge: "Meine Katze, mein Hund liebe ich so". Es sind Individuen zu denen ich ein persönliches Verhältnis habe. Die Anonymität der verspeisten Opfer macht einen unsensibel für ihre Schmerzens-Schreie.

 

Im Mai 2003 gab es einen Aufschrei der Empörung als ein dänischer Künstler die Besucher einer Ausstellung einlud, lebende in einem Mixer schwimmende Goldfische zu zerhacken. Man brauchte nur auf den Knopf zu drücken. Er erhielt eine Geldstrafe wegen Tiermisshandlung.

Der Zynismus rechtfertigt die Massentötung für unseren Verzehr, aber irgendwie scheint der Gedanke, Tieren das Recht auf Leben zuzugestehen eben doch nicht ganz verdrängbar zu sein. Nun ist man empört über ein zerhackter Goldfisch – und übergeht die Tausenden von Kühe, die täglich verspeist werden...

 

Ethische Unstimmigkeiten sind bei praktisch jedem Menschen an der Tagesordnung. Kaum jemand begrüsst das Konzept der Grausamkeit, aber die meisten haben keine Lust, das konsequent sehen zu wollen. Ein wenig später sitzt man am Tisch und der Hedonismus lässt die vorangegangenen Qualen des Tierkörpers, den man gerade am Verspeisen ist, vergessen...

Es ist nicht zu erwarten, dass die gegenwärtige Kampagne gegen Hetzjagden und Hahnenkämpfe in England zur Abschaffung des Angelns führen wird, welches schliesslich das britische National-Hobby ist. Und würde es abgeschafft, wäre es eine absurde Ungerechtigkeit, das Verbot nicht auch auf die Fischindustrie und Schlachthäuser auszudehnen.

Vor kurzem bekam ich ein Plakat einer englischen Tierschutzbewegung, auf dem ein Hund mit einem Angelhaken im Unterkiefer gezeigt wurde mit dem Text: "Wenn sie das keinem Hund antun würden, warum dann einem Fisch?"

 

Das Bewusstwerden einer Grausamkeit ist vielleicht ein erster Schritt derer Überwindung. Wir essen die Tiere aus Gewohnheit, und die Einzelschicksale werden aus dem Bewusstsein evakuiert. Der Verzehr unserer Mitgeschöpfe ist ein toleriertes Verbrechen.

Aber: Wo Recht zu Unrecht degradiert, wird Widerstand Pflicht.