Offener Brief an denkende


Menschen

 

(Gedanken nach einem Besuch im Schlachthof)

 

Wir nähern uns der Weihnachtszeit, in deren langen Abenden wir oft in gemütlicher Wärme genüsslich zu Tische sitzen und essen. Dass das, was jetzt „anmächlich“ in der Sauce schwimmend auf meinem Teller liegt, vor sehr kurzer Zeit noch ein Teil eines lebenden Wesens war, wird verdrängt. Vielleicht ist es ein Stück Muskel (Steak), ein Zwischenrippenstück (Entrecote) oder ein Teil von einem Rücken (Filet).

 

Szenen im Schlachthof:

Um fünf Uhr früh herrscht bei den Abladerampen des Schlachthofes Hochbetrieb: das angstvolle Rufen von Rindern durchdringt gespengstisch die sonst ruhige Morgenatmosphäre.

Das sind alles unschuldig zum Tod verurteilte, Tiere, und ich muss tatenlos zuschauen....denn Tiere sind nach unserem Gesetz nur rechtlose Sachen ohne Anspruch auf Leben – für das Gesetz ist das Quitschen eines Schweines dasselbe wie das Quitschen einer ungeölten Türe, einfach ein Klang. Dass hinter dem einen verzweifelte Emotionen, ein Rufen nach Freiheit und Lebenswille steht, ist für sie irrelevant....

Ihrer Angst und ihrem Leid können sie nur noch durch Schreien Ausdruck verschaffen – es verhallt ungehört im noch schlafenden Zürich. Die einzigen Zeugen sind die von der Angst erzeugten Gifte, die sich tief in der durch Mord gewonnenen Nahrung festsetzen.

Zu meiner Verzweiflung sind diese Szenen da alltäglich. Wo ein Unrecht zu einem tolerierten Recht geworden ist, ist Widerstand Pflicht.

 

„Jeder Mann aus dem Haus Israel oder jeder Fremde in eurer Mitte, der irgendwie Blut geniesst, gegen einen solchen werde ich mein Angesicht wenden und ihn aus der Mitte seines Volkes ausmerzen.“  Leviticus 17,10

 

Die Schweine schrecken vor den fremden Gerüchen von Tod, Blut und Fäkalien zurück und werden vom Metzger mit Stromschlagstöcken und Fusstritten in die Warteboxen zurückgetrieben. Strom ist für die Tiere ein unbekannter und deshalb noch viel angstvollerer Feind.

 

Als feste Regel gelte bei euch von Generation zu Generation an allen euren Wohnstätten: Ihr dürft weder Fett noch Blut geniessen.“  Leviticus 3,17

 

Die Kuh wird schonungslos in ihre Todesbucht gedrängt – flüchten geht jetzt nicht mehr – wo sie wehrlos und bei vollem Bewusstsein einen 5 cm langen Eisenstab durch die Schädeldecke ins Hirn geschossen bekommt. Sie fällt mit glasigen Augen zu Boden, wo ihr ein Arbeiter eine Stahlkette um ein Bein wickelt, und sie dann mit einem Kran hochzieht. Erhöht auf einer Plattform steht der Schlächter, schlitzt Tier um Tier mit einem tiefen Schnitt den Hals auf, und lässt das dampfende Blut in eine riesige Wanne laufen. Die Zunge hängt aus dem halbabgeschnittenen, blutüberströmten Kopf heraus, die vor ein paar Sekunden noch flehenden Augen sind bereits für immer geschlossen, aber noch Minuten nach dem Ausbluten zuckt der grosse, an einem Bein aufgehängte Körper und der Mund bewegt sich stumm.

„Jemand, der einen Ochsen schächtet ist wie einer, der einen Menschen erschlägt.“

Jesaja 66,3

 

Schnell wird ihnen die Haut vom Körper gerissen, uns schon bald wandern die zerschnittenen Tierhälften ins Kühlhaus. Die blutigen, abgetrennten Köpfe der Kühe hängen zu Dutzenden auf Stahlhaken – Trophäen unserer Barbarei – und nicht viel erinnert daran, dass dies vor kurzer Zeit lebendige, sensible Gesichter waren.

 

„Du sollst nicht töten.“  Ezechiel 20,13

 

Eine Schlachtung ist, neben der Hinrichtung und dem gewaltsamen Tod eines Menschen, sicher das scheusslichste und empörendste Schauspiel und nichts ist für einen aufgeweckten Menschen leidvoller, als dem beiwohnen zu müssen. Wer sich in dieser Weise von der Tragik umgeben sieht, der muss in dem Vegetarismus ein innig gewünschtes Ziel erblicken.

Dort im Schlachthof, im Angesicht der Schreie der Opfer menschlicher Genusssucht, sollte sich der Fleischesser ehrlich fragen, ob er es wirklich über das Herz bringen würde, dem vor Verzweiflung tobenden Tier den Todesstoss zu versetzen. Wer würde das tun? Und wie weit wäre ein solcher noch vom Verbrechen entfernt? Pythagoras fragte in diesem Zusammenhang: „Was sollte sonst ein Verbrechen sein?“

Wird diese Vernichtungsmaschinerie in Zukunft einmal als das Auschwitz der Tiere geächtet werden?  Der Wahnsinn wird durch meinen Fleisch-Konsum in der gemütlichen Stube erst ermöglicht. Es wird verdrängt, dass der Hedonismus in der gemütlichen Stube mit dem Grauen des Schlachthofes in kausalem Zusammenhang stehen.

In der Bibel steht jedenfalls: „Was ihr dem Geringsten antut, das habt ihr mir angetan.“

 

Es gibt Menschen, die unter Kultur nicht nur schöngeistigen Kulturgenuss verstehen, sondern auch das Engagement gegen ethisch unerträgliche und verwerfliche Missstände.

 

„Und Gott sprach: Siehe, ich gebe euch alles Kraut, das Samen trägt, auf der gesamten Erde, und alle Bäume, an denen Früchte sind; das soll eure Speise sein.“ Genesis 1,29

 

Die Schlussfolgerung dieser Beobachtung fasst Ovid in seinen „Metamorphosen“ zusammen: „Wirklich, während die Erde, die beste aller Mütter, so grosse Schätze gebieret, hast du nur Freude mit grimmigem Zahne düstere Wunden zu kauen, barbarischen Brauch zu erneuern? Dies wagt ihr zu essen, ihr sterblichen Menschen, so mächtig hungert euch nach der verbotenen Speise. O tut es, ich bitte euch, tut es nicht! O öffnet die Herzen den mahnenden Worten! Wenn ihr den Gaumen lechzt an den Gliedern erschlagener Ochsen, wisst: ihr kaut eure eigenen Ackerbauern.“

 

„Was soll ich mit euren Schlachtopfern? Spricht der Herr. Die Widder und das Fett eurer Rinder habe ich satt; das Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke ist mir zuwider. Wenn ihr eure Hände ausbreitet, verhülle ich meine Augen vor euch. Wenn ihr auch noch so viel betet, ich höre es nicht. Eure Hände sind voller Blut.“ Jesaja 1.11,15

 

Weil die barbarische Brutalität unseres Umgangs mit Tieren noch nie so offenkundig war, waren auch Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit des Nichtwissens um diese Brutalität noch nie so gering. Wer weiterhin Fleisch isst, tut dies nicht, weil er nicht weiss, was er damit Tieren antut, sondern weil er es nicht wissen will- weil es ihm einfach egal ist. Je grösser das Wissen eines Menschen um ein Verbrechen, das er duldet, ist, desto roher und abgestumpfter wird er. Viele Pazifisten bestätigen, dass diese Indifferenz den Leiden anderer gegenüber schon mehr Opfer erzeugt hat, als der rohe Zorn oder die Gewaltsucht.

 

Soll ich Weihnachten weiterhin gedankenlos im Blute sterbender Kreaturen feiern, und mich der stummen Bitten seitens der Tiere verschliessen?

 

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