Offener Brief an denkende


Menschen

 

 

"Biologische" Tierzucht ist für die betroffenen Tiere zweifellos besser als das Leben in Tierfabriken, aber so etwas wie eine "biologische" Schlachtung gibt es natürlich nicht. Und was vom Hinweis, die Tiere hätten doch immerhin ein schönes Leben gehabt, moralisch zu halten ist, möge die Verteidigung eines Serien-Mörders veranschaulichen: Er habe immer nur Opfer ausgewählt, die ein glückliches Leben gehabt hatten…

Bei der „artgerechten Haltung“ von Tieren, welche dann anschliessend verspeist werden, schwingt einfach noch ein heuchlerischer Verrat mit hinzu… Der Mörder hat seine Opfer vor der Liquidation noch liebenswürdig behandelt.

 

Die Fleischproduktion ist ein legalisierter Massenmord, der von dem grossen Teil der Gesellschaft geduldet wird.

Wenn man beobachtet, dass sich die Menschen untereinander nur deshalb halbwegs zivilisiert aufführen, weil sie grossteils die eigene Beeinträchtigung davon (Strafe und Gefängnis) fürchten, ist das Bild einer besseren Welt ziemlich getrübt. Die Klima-Debatte hat für eine weitere Desillusionierung gesorgt: Selbst egoistische Argumente können die Menschen kaum zum Fleischverzicht motivieren. Was bleibt, ist der Appell an Konsequenz und Mitgefühl: Nicht allen Menschen ist es egal, wenn sie ethischer Inkonsequenz überführt werden – wenn sie z. B. einem Schwein zumuten, was sie ihrem Hund nie zumuten würden, obwohl sich beide Tiere in Bezug auf alle moralisch relevanten Merkmale gleichen. Und nicht alle Menschen lässt das Leiden, das sie verursachen, völlig kalt, wenn sie unmittelbar damit konfrontiert werden.

Tierliebe versus Tieropfer. Die Fleischindustrie trägt diesem anthropologischen Dilemma Rechnung, indem sie Massenhaltungsanlagen und Schlachthöfe "unsichtbar" macht, und sie in Randgebieten und ausserhalb von Bevölkerungszentren betreibt. Diese Verdrängungsstrategie ist existenziell für die Sicherung des Profits. Denn die "Verbraucher" sollen tunlichst nicht bei jedem Bissen daran erinnert werden, dass das Fleisch, dessen Verzehr "natürlich" sein soll, von einem Ort kommt, der keinen "natürlichen" Tod kennt.

Wie dieser "Opfer-Altar" im Zeitalter der Massentötungen beschaffen ist, beschrieb mir vor Kurzem eine Veterinärstudentin:

"Mehr als die Hälfte des Praktikums ist vorüber, als ich endlich in die Tötungshalle gehe, um sagen zu können: ›Ich habe gesehen.‹ Hier schliesst sich der Weg, der vorn an der Laderampe beginnt. Der kahle Gang, durch den die Delinquenten zu gehen haben, verjüngt sich und führt durch eine Tür in einen kleinen Wartepferch für jeweils vier oder fünf Schweine. Sollte ich je den Begriff ›Angst‹ bildlich darstellen, so würde ich diese Schweine zeichnen, die sich hier gegen die hinter ihnen geschlossene Tür zusammendrängen. Es sind Augen, die ich niemals mehr vergessen kann. Augen, in die jeder sehen sollte, den es nach Fleisch verlangt."

 

Der Gewöhnungseffekt und die Selbstverständlichkeit, in welcher selbst in unserer nächsten Umgebung unsere Freunde und Bekannten Fleisch essen, haben zu einer Verrohung geführt.

Nichtwissen ist letztlich nur möglich durch Nichtwissenwollen. Dieser Mechanismus ist keineswegs neu. Friedrich Nietzsche hatte kurz vor seinem geistigen Zusammenbruch im Jahr 1889 erwogen, ein Werk mit dem Titel "Philosophie des verbotenen Wissens" zu verfassen. Dabei hatte er nicht Wissen im Auge, dessen Verbreitung Autoritäten oder Herrschende zu unterbinden versuchen, sondern Wissen, vor dem sich die Mehrheit der Menschen selbst zu schützen trachtet, weil das Übertreten dieses Verbotes tatsächlich die Vertreibung aus dem Paradies einer selbstillusionären Gewissheit bedeuten würde.

Zweifellos gehört das Wissen um das "Produkt Fleisch" dazu. Wer zu viel weiss, dem kann dieses Wissen nachhaltig den Appetit verderben. Hinzu kommt die Empathie, die Fähigkeit,

sich in andere Wesen hineinzuversetzen. Eine natürliche Eigenschaft des Menschen, die immer wieder für innere Konflikte sorgt, wenn der Mensch konfrontiert wird oder

sich selbst konfrontiert mit dem elenden Leben und Sterben der Kreaturen, deren traurige Überreste auf seinem Teller liegen.

 

Was der Philosoph Martin Heidegger die "Herrschaft des MAN" nannte, passt perfekt auf die moderne Schlachthauskultur. Das Gewissen, das für Heidegger eine zentrale Funktion beim Ausbruch aus dieser Herrschaft besitzt, wird durch die scheinbare Unanfechtbarkeit einer institutionalisierten Normalität (wie dem Fleischessen) eingeschläfert.

 

Die Wahrheit, die der griechische Philosoph Plutarch vor über 2000 Jahren formulierte, hat es auch in unserer abendländischen Hochkultur nicht geschafft, in uns einen ethischen Massstab zu setzen: "Für einen Bissen Fleisch nehmen wir einem Tier die Sonne und das Licht und das bisschen Leben und Zeit, an dem sich zu erfreuen seine Bestimmung gewesen wäre."

 

Versuche, Albert Schweitzers Ethik der "Ehrfurcht vor dem Leben" und das mosaische Gebot "Du sollst nicht töten" zu einer universalen, alle Kreatur umfassenden Grundethik zu einen, münden oft in stumme Bitten, vor der sich die Mehrheit verschliesst. Diese Menschen sind ja nicht böse – nur gleichgültig.

 

Schweizer Tierschutzgesetz (Artikel 1)

"Niemand darf ungerechtfertigt einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, es in Angst versetzen oder in anderer Weise seine Würde missachten. Das Misshandeln, starke Vernachlässigen oder unnötige Überanstrengen von Tieren ist verboten."

Nur:

Die Befriedigung des Gaumens wird offiziell als gerechtfertiger und notwendiger Grund angesehen, um Tiere in Ställen einzusperren, zu mästen und dann umzubringen…

 

Du stehst im Supermarkt vor einer schönen Wurst... und hast die freie Wahl, sie zu kaufen oder nicht. Aber nur solange man ausblendet, dass diese vermeintlich freie Entscheidung mit dem Verlust der Existenz anderer Lebewesen erkauft wird. Natürlich kann ich diesem Salami nicht mehr verhelfen, wieder zu einem Schwein zu werden. Aber ich kann durch mein Verhalten verhindern, dass in Zukunft noch mehr Schweine als Wurst enden.

 

„Ich esse ja nur wenig Fleisch…“. Ja, kann denn das Tier weiterleben, wenn ich nur ein kleines Stück davon esse?

Nicht ZUVIEL Fleisch ist falsch, sondern jeder Bissen Fleisch ist grundsätzlich falsch.

 

Wir fordern ja auch nicht "Weniger Foltern!" oder "Weniger Vergewaltigen!" Warum? Weil Foltern und Vergewaltigen prinzipiell falsch sind. Und Tiere zu essen, ist ebenso grundsätzlich falsch - egal, wie wir sie aufziehen und an welchen Wochentagen wir sie essen.

Deshalb ist das Gerede von "Bio" und "weniger Fleisch essen" und "bewusst Fleisch essen" absurd - weil es ganz einfach um etwas viel Wesentlicheres geht: Leidensfähige Lebewesen für einen kurzen Gaumenkitzel umzubringen ist ein durch nichts zu rechtfertigendes Verbrechen.

Dein Schritt, Vegetarier zu werden, ist ein wesentlicher. Bitte gehe ihn.