Vegetarismus als kosmopolitische Verantwortung

Bitte stelle dir vor, du sitzt in einem Restaurant und hast ein 250 g schweres Steak vor dir. Neben dir sitzen 45 Menschen mit leeren Tellern. Für den energetischen Aufwand deines Steaks könnte man jeden Teller mit gekochtem Getreide füllen und die Mitbrüder nähren.

 

Fleisch zu essen ist ein Umweg in der Nahrungskette. Um ein Kilogramm Fleisch zu erzeugen, benötigt man16 kg pflanzliche Nahrung.

Für die Produktion von Fleisch wird pflanzliche Nahrung, die den Menschen direkt ernähren könnte, an Tiere verfüttert. Doch dieses Verfahren, pflanzliches Material in Fleisch umzuwandeln, ist über alle Masse verschwenderisch.

Deshalb ernährt Fleisch wenige auf Kosten vieler.

 

In den USA werden 90 % des angebauten Getreides an Tiere verfüttert (in der Schweiz sind 70% aller Felder Tierfutter). Oder anders ausgedrückt: Den Schlachttieren Amerikas wird jährlich mehr Getreide verfüttert, als die

Bevölkerung von Indien und China zusammengenommen zur Ernährung braucht.

(Heller: Das Brot des Siegers, S.27)

 

Weltweit wird die Hälfte des angebauten Getreides an Tiere verfüttert.

Demgegenüber sterben nach Uno-Statistik täglich 40'000 Kinder an Hunger.

 

Und dennoch wird die Fleischproduktion mit riesigen Subventionen gefördert. Jede Kuh in der Schweiz wird vom Staat mit durchschnittlich 6 Franken am Tag subventioniert. (Agrarbericht des Bundesamtes für Landwirtschaft)

2 Milliarden Menschen auf der Erde haben weniger als 2 Franken am Tag zum Leben.

 

Weltweit hungern Tag für Tag über 800 Millionen Menschen, davon 200 Millionen Kinder.

In Platons Buch „Der Staat“, das vor 2300 geschrieben wurde, spricht Sokrates mit seinem Freund Glaukon über die Problemkette, dass Fleischessen Hunger kreiert, und dies zu Krieg führen wird.

Glaukon warnt, dass mehr Kulturland benötigt werde, sobald die Menschen begännen Tiere zu töten und Fleisch zu essen. Daraufhin sagt Sokrates: „Und das Land, das ursprünglich groß genug war, um all seine Bewohner zu versorgen, wird auf einmal zu klein sein, und so werden wir in den Krieg ziehen müssen, oder?“ „Höchstwahrscheinlich“ antwortet Glaukon.

Die Erkenntnis eines Zustandes, den man vom innersten Gewissen her als unrecht betrachtet, strebt nach einer Konsequenz, nach Wandlung.

Die industrielle Revolution und auch die postindustrielle Gesellschaft hatte durchaus eine Idee (logos) von der Welt, vom menschlichen Wohnort (oikos), und wollte die Erde zum Besten nutzbar machen, nämlich dem Menschen, dem „Endprodukt der Schöpfung“ möglichst viel Annehmlichkeit zu beschaffen.

Wenn sich ein Organismus weiterentwickeln will, muss er sich an einem gewissen Punkt einer Wandlung unterziehen. Auch unsere bisherige Weltanschauung.

Der Einzeller vermehrt sich einfach durch Zellteilung. Vermehrung durch Zellteilung ist der wichtigste Inhalt des Einzellers.

Dies verändert sich, wenn der Einzeller beginnt, Geschwisterzellen zu integrieren. Sobald ein Vielzeller entsteht, muss sich die einzelne Zelle umstellen. Jede einzelne Zelle darf und muss nicht mehr alles tun.

Einzelne haben Verantwortung zu übernehmen für die Fortbewegung, andere für die Ernährung, wieder andere für die Replikation. Die einzelne Zelle hat sich den Gesamtzielen des Vielzellers anzupassen. Sie schränkt sie in ihrer Aktivität ein.

Das bisher hemmungslose Replikationsstreben, das der wichtigste Lebensinhalt des Einzellers war, würde innerhalb der neuen Ganzheit zum tötenden Impuls, zur Krebszelle.

Der Einzeller hat zu lernen: Nachbarzellen sind nicht Konkurrenten, sondern Verbündete.

 

Eine ähnliche Metamorphose hat der Mensch zu vollziehen. In ihm soll ein Sinn gebären für die Mitgeschöpflichkeit. Nicht rücksichtloses Geniessen, sondern mitfühlende Verbundenheit zu allem Lebendigen steht dann im Zentrum. Tiere sind Mitgeschöpfe, die leben und Wünsche haben, wie wir. Sie gehen auf derselben Erde und atmen dieselbe Luft. Sie verspüren Schmerzen und freuen sich ihrer Sinne – genau wie wir. Und insofern sind wir eine Familie.

Ökonomie ist nicht nur ein Thema an den grossen Handelsplätzen der Welt, sondern auch auf dem eigenen Teller.