Lila - Vielfalt ohne Konflikt

 

Wenn Vaishnavas von „Lila“ sprechen, dann verstehen die aufgeklärten Menschen von heute die mythische Ebene der Religion.

Damit wird gemeint, dass man in einer Welt von Wundern lebt. Moses teilte das Rote Meer, Jesus wurde von einer Jungfrau geboren, die Welt wird von einer gigantischen Schlange (Ananta) getragen und der Schöpfer ist auf einer Lotosblume geboren, die dem Nabel Vishnus entsprang.

Man hat verstanden, dass man die Welt nicht kommandieren kann. Aber die Götter können es. Wenn man weiss, wie man sie für sich stimmen kann, hat man sie auf seiner Seite.

Um meine persönlichen Wünsche erfüllt zu bekommen, muss ich Gesuche und Gebete an die Götter richten, und dann werden sie die Dinge für mich erledigen und die Naturgesetzte durch Wunder ausser Kraft setzen. Man will durch diese eingeübte Mentalität auch Gott zur innerweltlichen Intervention bewegen.

 

Der emanzipierte Mensch, der einen Prozess von 200 Jahren Aufklärung hindurchgegangen ist, in welcher er sich schmerzhaft vom einschränkenden Einfluss und der Aberglauben-Dimension der Religion befreite, kann nicht mehr an Mythen glauben und sieht sie bestenfalls als Metapher (allegorisch). Man hat Abschied genommen vom naiven kindlichen Wunderglauben, welcher annahm, die Präsenz Gottes müsse sich in der sinnlich wahrgenommenen Welt durch ausserordentlichen Eingriff zeigen.

In der aufgeklärten Spiritualität versteht man inneren Fortschritt als das stille Anwachsen des Urvertrauens und der Gottesliebe, ohne dass Gott in die Naturgesetze hinein zu wirken bräuchte.

 

Wenn nun Menschen in Kontakt kommen mit dem Verständnis des vedischen Gottesverständnisses, welches vom „ewigen Spiel Gottes“ berichtet, muss man nicht erstaunt sein, dass die meisten Menschen dies als prärational einstufen und nicht wirklich ernst nehmen können.

 

Da im indischen Kulturkreis reflektiertes eigenes Denken nicht wirklich gefördert wird, erkennt man im Dunstfeld dieser Lila-Beschreibungen auch mittelalterlicher indischer Dorfglaube und fundamentalistische Züge.

Die Vaishnavas aber behaupten sehr eindringlich, Lila nicht als allegorische Darstellung zu verstehen, sondern als absolute Wirklichkeit…

Die folgenden Ausführungen sollen ein Verständnis vermitteln, was eigentlich mit „Lila“ gemeint ist.

 

In interreligiösen Gesprächen trifft man sich gegenseitig bei Gott. Man erlebt das Gemeinsame, den Geist der Verbundenheit. Aber es darf ja nicht zu einer völligen Verschmelzung führen – das wäre der Synkretismus, der besagt, dass alle Religionen identisch seien. Dies wäre eine oberflächliche Nivellierung der reichhaltigen Unterschiedlichkeit.

Da reflektiere ich und denke nach, was denn das Einzigartige und Aussergewöhnliche an der Radha-Krishna-Bhakti ist. Diese Überlegung geschieht nicht im Sinne eines Überlegenheitsgefühls oder um sich auf seinem spirituellen Weg abzusichern („die Abgrenzung ist ein Symptom der Vertrauens-Schwäche“), sondern einzig und allein nur, um die Dankbarkeit zu vergrössern. In diesem objektiven Vergleich geht es nicht um Zeremonien und auch nicht um moralische Verhaltensmassnahmen (ich verstehe sehr gut, warum im Islam der Vegetarismus für diese Wüstenvölker nicht empfohlen wurde), sondern um die Grundstimmung, die der einzelnen spirituellen Tradition inneliegt.

Da spüre ich in der vedischen Gottes-Offenbarung immer eine Leichtigkeit und Freude als Grundstimmung (susukham kartum avyayam Bhagavad Gita 9.2), wie ich sie in den abrahamitischen Religionen nicht finde, wo Gottes-Angst und Schuld immer ein zentrales Thema ist.

 

Aber das Einmaligste, was mir gerade im Dialog und im „Sich-Einlassen“ auf die Anderen (das ist meine Grundprämisse für jede Begegnung) so richtig klar wird, ist die Transzendenz Gottes. In den Religionen wird Gott meistens betrachtet als Schöpfer und Erhalter dieser Welt, dem keine separate Existenz jenseits seiner Schöpfung zugestanden wird oder welche zumindest nicht im Hauptfokus steht. Da bezieht man ihn auf sein hiesiges Leben und lernt, ihn in unseren Alltag zu integrieren.

Krishna-Bhakti ist theozentrisch – da will man sich selber absolut ungeachtet der innerweltlichen Zustände allein auf die Welt Gottes beziehen und sich in Seinen Alltag integrieren.

In der Radha-krishna-bhakti ist Gott nicht mehr Schöpfer, Erhalter und Zerstörer der Wandelwelten. Zwar durchdringt er alles, aber der Aspekt seiner Allmacht und Allgegenwart ist nur ein äusserlicher. Sein wahres Sein ist in Vrindavan. Dort ist er und geniesst den Austausch der Liebe. Gott ist unendlich glücklich.

Jeder, der sich mit der Vraja-bhakti Tradition auseinandersetzt, wird sehr bald einmal konfrontiert mit dem Thema „Lila“ und ist meistens verwirrt. Wieso sprechen diese gebildeten und aufgeklärten Menschen, die sich als spirituell suchende Menschen bezeichnen nun ständig über Geschichten von diesem Vrindavan, von Kühen und speziell immer von diesem Gopal, der die Kühe hüten soll?

Die grösste Versammlung von Heiligen des alten Indiens, Personen, die alles in der Welt verlassen haben, die sich ausgeklinkt haben aus der Dualität des weltlichen Lebens, die keinerlei Begehren im Zeitweiligen mehr kannten, hatten alle nur ein einziges Thema zu diskutieren: Die Kuhhirtenmädchen von Vrindavan.

Das Thema „Lila“ ist schwer zu verstehen und somit auch schwer zu erklären. Dieses kleine Büchlein ist ein kleiner Versuch von mir dazu. Es enthält Ansätze, die alle sicher noch weiter ausformulierbar sind. Aber es vermag einmal einen kleinen Einblick verschaffen.

 

 


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