Beharrlichkeit

Auf dem Weg des Betens macht die Seele die Erfahrung, als ob Gott es sei, der schweige. Sie bringt es gerade noch fertig, etwas zu sagen, aber es ist ihr, als rede sie wider eine Wand. Was sie hört ist einzig das Echo der eigenen Stimme. Krishnas Blick erscheint abgewendet. Er sieht sie nicht an, hört ihr nicht zu. Er schweigt einfach. Ist Er überhaupt noch da? Gibt es Ihn? Es ist eine bittere Erfahrung zu rufen ohne angehört zu werden. Für wie lange noch? Diese ungeheure Verlassenheit und Einsamkeit... Genau hier wird unser spirituelles Leben zu seinen grössten Anstrengungen aufgerufen. Die shastras erklären uns in aller Klarheit, dass Krishna immer da ist, dass Er sogar immer da ist für mich, dass Er alles hört, sieht und weiss und dass unser Rufen und Schreien nach Ihm nie vergebens ist. Das genügt, wenn es einen auch manchmal schwer ankommen mag, sich damit zu begnügen. Die Seele gelangt jedoch auf diese Weise zu einer sehr reinen Form der Hingabe und Selbstlosigkeit, zu einem echten und vorbehaltslosen Sich-lassen, Sich-hinein-Geben in die unbegreifliche, dunkle und heilige Natur des Höchsten Wesens.

Dieses reine Vertrauen ist sicherer als jede Form des Eigenerfahrens!
Das Vertrauen gibt die Grundlage und ohne dies ist die Erfahrung sehr fragwürdig, wie stark sie sich auch geben möge und wie deutlich überzeugend. Immer bleibt sraddha, das Vertrauen, der reine Glaube das letzte Mass!
Darum bringt Krishna die Seele dahin, dass sie einmal ohne die Erfahrung auskommen lerne und so erst der Glaube in ihr jene Grösse und Kraft erreiche, die die späteren Erfahrungen unterbauen und gleichzeitig von ihnen unabhängig machen werden.

"Lieber Krishna, nimm mich, verfüge über mich! Ich verstehe jetzt nichts. Ich habe in mir nur eine schlummernde Gewissheit, dass Du mich unendlich lieb hast. Das bedeutet für mich, dass Du immer, in jedem Moment, für mich da bist. Du hast mich noch nie im Stich gelassen und bist in all den Millionen von Leben, in denen ich schon durch die verschiedenen Lebensformen dieser Welt hindurchreise, noch nicht für den kleinsten Moment von mir gegangen, obwohl ich dich immer ignorierte.
So möchte ich Dir nun alles überlassen, auch das, was ich momentan noch nicht verstehen und begreifen kann, das was mich jetzt verwirrt."

Du leidest unter dem Schweigen Gottes? Dass Er dir keine Antwort gibt?
Dann lasse ich Ihn doch einfach für eine Weile schweigen - wenn Er dies für gut befindet!
Dann lerne ich im Glauben zu beten:
"Ich weiss, dass Du da bist, und mich hörst und mich auch verstehst. Auch wenn ich das alles bei Dir nicht kann.
Ich weiss es - aus Deinen eigenen Worten heraus (der Heiligen Schriften)
So stütze ich mich nicht mehr auf meine begrenzte Wahrnehmung, sondern auf Deine eigene Versicherung!

Wirklicher Glauben muss und wird sich bewähren in der Beharrlichkeit.
Und diese ruht ganz auf dem gläubigen Wissen um die Macht, Weisheit und Liebe unseres ewigen Herrn.

Die Weiterführung zu Krishna hin kommt nur von Ihm selbst. Deshalb kann ich mir eine neue Weise zu beten auch nicht anstudieren. Und noch viel weniger: mir anquälen!
Das wird geschenkt. Zuweilen wird es wieder fortgenommen, was man schon zu haben meint, um zu einem späteren Zeitpunkt anders und vertieft wiederzukehren. Eins merkt man sehr deutlich: dass es "kommt" und "geht" unabhängig von unserem Rufen.
"Lieber Krishna, selbst wenn Du mich ignorieren wirst, ich werde mit Dir nicht gleich verfahren." Dieser Gedanke vertieft sich: "Mein lieber Krishna, ich hoffe, dass Du mit mir nicht gleich verfährst, was ich mit Dir gemacht habe - Dir gegenüber völlig gleichgültig zu sein über Millionen Leben hinweg. Dies könnte ich nicht tolerieren."

Könnte ich Ihn dann verlassen wegen dem oft scheinbar langen Wartenmüssen auf die Erhörung? Hier eben setzt die Gebetseigenschaft der Beharrlichkeit ein. Das Herz muss standhalten können und vertrauensvoll weiter warten lernen.
Erst im standhaften Bitten kommt das Gebet zu seiner eigentlichen und echten Reife.
Alles um uns und in uns hat seine Entwicklungen, die oft schier endlose Zeiten in Anspruch nehmen. Der eine Gottesgedanke legt sich in eine fast unübersehbare Breite und Länge im Geschichtlichen auseinander. Krishna sagt bahunam janmanam ante... (BG 7.19) 
Selbst Ereignisse, die urplötzlich hereinzubrechen erscheinen, haben sich in Wirklichkeit seit langem vorbereitet. Der Blitz, der wie aus "heiterem Himmel" niederzuckt, setzt doch eine Unsumme von Ereignissen voraus, die unmerklich bis zu dem Zeitpunkt führten, wo die Entladung stattfinden musste.
So entwickelt sich das Gebet, meine tägliche Begegnung mit Krishnas Namen, jedes Mantra, jeder einzelne Namen allmählich bis zu der Stelle, wo es der Erhörung, der "Entladung" fähig und würdig ist. Mit Willkür seitens von Krishna hat das nichts zu tun. Gewiss ist es Prüfung, aber eben in dem Sinne, dass da etwas zur Reife und Reinheit geführt wird, um dann erst ganz zum richtigen Empfangen befähigt zu sein.

Im Srimad Bhagavatam wird beschrieben, wie Narada Muni den saksat darshan, die direkte Begegnung mit der Höchsten Personalität Gottes für einen ganz kurzen Moment geschenkt bekam. Dann sprach der Herr zu ihm:
"O Narada, ich bedauere, dass du während dieses Lebens nicht mehr fähig sein wirst, Mich noch einmal zu sehen. Dein Dienst ist noch unvollständig. Nur der aus sämtlichen materiellen Motivationen herausgereifte wird mich immer sehen." (SB 1.6.21)

Denn Ihn zu empfangen ist eine grosse Kunst. Wenn ich lange und innig um etwas gefleht habe, bekomme ich erst den ganzen Gehalt des Erbetenen, seine Wichtigkeit und Bedeutung zu Gesicht. Und so werde ich durch meine Beharrlichkeit dann ganz anders damit umgehen, als wäre es mir beim ersten Mundöffnen schon geschenkt worden. Es hat nun, da ich mich so aus ganzer Seele darum bemühen, erflehen und ersehnen musste, erst den vollen Wert für mich.
Man entgeht somit der Gefahr, die in den Heiligen Schriften sogar als eine schlimme Sünde angesehen wird, eine kostbare Gabe nicht genügend hochzuachten und somit umsonst gebeten zu haben. Dies wäre eine Geringschätzung Krishnas. Man entgeht der Undankbarkeit, die alles wie selbstverständlich hinnimmt und so zu schwerer seelischer Schädigung führt.

Im beharrlichen Gebet wird die Seele geduldig und stark, überwindet ihre eigene Weichheit und Reizbarkeit, ihr Sichübereilen (Fanatismus) und ihre Neigung, Ansprüche zu stellen. Zudem wird sie stetig gegenüber Versuchungen, selbstloser und bescheidener. All dies ist so viel Wert für die Seele, dass schon darum das Wartenmüssen eher eine Gnade als eine Prüfung ist.
Manchmal verwandelt sich auch im Laufe eines langen beharrlichen Gebetes der Inhalt der Bitte ebenso wie der Bittende (Betende) selber. Weil er reifer wird durch das Warten, wird auch das Ersehnte, das Erbetene ganz anders aussehen, es wird korrigiert, gestrichen und dazugetan, und vielleicht gelangt das Herz wie von selbst an einen Punkt, wo es jene erste Bitte völlig überholt hat, sie aufgibt und in der Nichterfüllung derer die tiefste Gottesgnade erkennt.

Dhruva Maharaja bereut: "O mein Herr, ich bat Dich um ein Glassplitter (er wollte ein Universum regieren) und habe nun einen wunderbaren Diamant gefunden, die Begegnung mit Dir und somit den ewigen Dienst zu Dir. Jetzt möchte ich nichts mehr von Dir verlangen, sondern nur das Annehmen, was Du von mir möchtest." (Hari bhakti sudhodaya 7.28)
" Der Herr, die Höchste Persönlichkeit Gottes, lässt die materiellen Wünsche Seines Geweihten, der sich mit solchen Motiven an ihn wendet, in Erfüllung gehen; wenn dies jedoch dazu führt, dass der Geweihte dann bloss um noch mehr Segnungen dieser Art bittet, wird der Herr sie nicht erfüllen.Was der Herr jedoch seinem Geweihten bereitwillig schenkt, ist die Zuflucht bei seinen Lotosfüssen, selbst wenn ein solcher Mensch gar nicht danach strebt. Diese Zuflucht wird all seine Wünsche zufriedenstellen. Dies ist die besondere Barmherzigkeit der Höchsten Persönlichkeit."
(SB 5.19.27) SB 4.9.29
Dies wird im Caitanya Caritamrta noch tiefer ausgeführt (22.37-41)

Krishna erklärt in der Bhagavad Gita (6.22) dass es für eine Seele, die einmal die Zuflucht bei Gottesdienst gefunden hat, nichts mehr geben würde, wonach sie sich nun sehnen würde.
Was aber diese Hingabe zur Liebe macht, ist die Treue, das Bleibenwollen in der Hingegebenheit und in dem Ausgeliefertsein an das einzige Du Gottes - eben die Beharrlichkeit. Krishna sagt in der Bhagavad Gita: "Wer sich nicht um eine andere Unterkunft sorgt als der Dienst zu meinen Füssen, ist mir sehr lieb." (Bg 12.19)

Beharrlichkeit (Teil 2)

Im Augenblick, wo etwas auszubleiben oder ganz anders zu geraten scheint, als ich gehofft und "erbeten" habe, darf ich erkennen lernen: In diesem "Nein" bist ja auch Du. Und zwar als denjenigen, der es sagt und arrangiert. In diesem Nichtempfangen empfange ich Dich als den, der zurückhält, der nicht gibt, aber DA ist und sich selber stattdessen gibt.


Dhruva Maharaja klagt im Srimad Bhagavatam:
"Ich bat nicht um tatsächliche Befreiung aus der materiellen Welt, doch als ich durch meinen Hingebungsvollen Dienst den Darshan Vishnus bekam, schämte ich mich meiner materiellen Wünsche.

O weh, seht mich nur an! Ich bin so unglückselig!
Ich näherte mich den Lotosfüssen des Höchsten Herrn, die sogleich die Kette der Wiederholung von Geburt und Tod durchtrennen kann, aber aufgrund meiner Torheit betete ich trotzdem um Dinge, die vergänglich sind.

Meine Tätigkeiten waren genauso wie die Behandlung, die jemandem gegeben wird, der bereits tot ist. Ich habe wieder um die gleichen Bedingungen gebeten, die mich in diese miesliche Lage gebracht haben.
Mein Fall ist genau wie der eines armen Mannes, der aus Unwissenheit nur um ein paar zerbrochene Reiskörner bittet, nachdem er einen grossen Kaiser erfreut hat, der ihm alles geben will, was er sich wünscht."
(SB 4.9.29, 31, 34, 35)


Wenn ich erkenne, dass diese höchste Liebe der letzte Sinn meiner Existenz darstellt, dann genügt das, um die Zeitspanne auf mich zu nehmen, die es noch durchzuhalten gilt, bis kommt, was vollkommen ist.


Die vollständige Wandlung und die vollendete Liebe wird mir hier nicht beschieden. Aber ich lebe auf sie zu. Und zwischen "Jetzt" und "Dann" liegen Geduld, Vertrauen - und auch Schmerz. Auch wenn wir es nicht immer fühlen mögen, so können wir es doch zumindest wissen, in Gewissheit haben: Wir sind immer aufgehoben im Herzen Krishnas. Und Seine Gegenwart hängt nicht einmal vom Registrieren Seiner Gegenwart bei uns ab.
Dann erkenne ich, dass beides nebeneinander ist: mein Elend, mein Versagen, meinen inneren Geisteszustand, die tatsächliche und zuinnerst auch erfahrene Hilflosigkeit und die ebenso wirkliche innige Liebe.
Die erkannte Hilflosigkeit tief in mir drin, sichert den Bestand der Liebe, weil diese sich nun nicht mehr auf das Ich, sondern immer nur auf dieses Höchste Du stützen wird, dem sie nun wieder zugewandt ist. Durch das Gebet wird immer tiefer klar, wie sehr man "hilflos" ist, aber "geliebt".

Es mag Jahre dauern, bis die scheinbare "Wand" durchsichtig wird, bis ich die Stimme wieder hören darf, nach der sich mein Herz im Vertrauten sehnt. (Zumindest in den Momenten, wo ich in mir gesammelt bin)
Aber was tut das? Wieviele Dinge tue ich in der Welt, die ihren Erfolg und ihre Früchte auch erst viel später verheissen! Und ich führe sie dennoch aus, weil ich spüre, dass es so richtig ist.

In dem Stadium, wo wir Geduld lernen, lernen wir auch den Sanftmut mit uns selbst. Denn in der Leidenschaft des Erfolgreich-seins entgeht mir Vieles.
Die Geduld mit mir selbst ist oft noch schwerer als die mit anderen Menschen. Denn da wird mein geheimer Stolz besonders empfindlich getroffen. Dieser strebt auch im Religiösen nach Vollkommenwerden. Ich kann mich nicht ertragen in meinen so offenkundigen Mängeln; da möchte ich sofort heraus und makellos- vor mir-stehen.
Für die rechte innere Entwicklung ist kaum etwas gefährlicher als diese Art von Nicht-Abwarten-Können, von Ungeduld des Schon-Erreicht-Haben-Wollens und in schlimmen Fällen auch Sich-Selbst-Dahin-Projezierens. Wenn ich schon nicht perfekt bin, aber ein perfektes Ideal habe, dann denke ich mich einfach als perfekt. Dies gibt dann ein sehr schmerzvolles Aufwachen - oder Aufprallen.
Krishna lässt sich Seine Gnade nicht abzwingen.
Ich kann nicht einfach in die Transzendenz hineinspringen.

Die Zeit des beharrlichen Wartens auf die Erwiderung Sri Krishnas ist auch die Zeit, in der ich Hoffnung gewinnen darf, einmal Sri Krishna vollkommen zu ehren, so wie es Ihm gefällt, und nicht einfach meine Wünsche von Ihm und durch die Gemeinschaft mit Ihm erfüllt zu bekommen.

Im Gebet gibt es manchmal Perioden, in denen man viel geschenkt bekommt, sich wirklich verbunden fühlt, und manche Phasen, in denen man fast aufzugeben gedenkt, wo alles so klebrig und mühsam nur vor sich geht.
In beiden Zuständen aber bin Krishna gleich nahe. Er ist ja gerade hinter mir. Denn wir sind Ihm in dem Masse nahe, in dem wir zu Ihm "ja" sagen.
"In dem Masse, wie sich die Seele Krishna wieder ergibt wird auch Er Sein Versteck aufheben und für die Seele wieder erkenn-und schaubar sein." (Bhagavad Gita 4.11)
Dieses "ja" wird nicht durch den Zustand der Ergriffenheit grösser und auch nicht in der Gefühlslosigkeit geringer.


Gerade in der Liebe ist die Geduld doch alles. Geduld bedeutet hier: mich in meinem eigenen Nicht-lieben-Können vor Sri Syamasundar zu ertragen.