Krank-Sein


„über die innere Auseinandersetzung mit unserem körperlichen Zerfall

 

Eine der allergrössten Bemühungen menschlicher Energie wird in die ars medicina, in die Erkennung, Vorbeugung und Behandlung von Störungen im körperlichen Organismus, investiert. Sie hat unzähligen Menschen geholfen.  

Aber es ist einseitig, wenn nicht auch eine Versöhnungsarbeit mit unserem Zerfall getätigt wird.
Das innere Leben will nicht magisch in das Weltgeschehen einwirken, sondern durch eine neue Interpretation der Dinge den Zugang einer ganz neuen Erfahrung eröffnen.

Dazu dient diese Kurz-Betrachtung.

 

Wenn der Körper mehr oder weniger aus seiner selbstverständlichen Sicherheit im Diesseits aufgestört ist, liegt darin die Chance einer Begünstigung. Ein robuster, gesunder und nirgendwo angebrochener Organismus ist manchmal ein zu wohnliches Gefäss für die mit körperlichen Welten identifizierte Seele.

Es wäre natürlich falsch zu denken, dass der Weg der inneren Beschauung das Privileg der Gebrechlichen ist, aber die Aufscheuchung dient manchmal als Riss im Weltbild einer angenommenen Scheinharmonie. Es braucht die Verstossung aus dem irdischen "Paradiese.

 

Wie kann man doch in geliebten Menschen, in Freuden, in Büchern, in Musik, in der Natur, in Zuneigung, in Arbeit und Erfolg "leben" - als ginge all  dies niemals zur Neige, und selten und schwer nur erhebt sich der Blick einmal über diese Dinge hinaus.

Und auch wenn das spirituelle Leben in seinem gewohnten Rhythmus läuft - so ist es doch mehr ein "Auch", ein Zubehör, eine unter vielen verschiedenen Pflichten, und sie wird mit derselben Sicherheit sozusagen "erfolgreich" erfüllt, wie die gewöhnlichen anderen bürgerlichen Aufgaben auch.

Aber zur Leidenschaft des Herzens, zur "grossen Liebe" wird es im erfolgreichen Alltags-Funktionieren selten.

Dafür braucht es brennende Intensität, deren Fünkchen erwachen, wenn alles Bisherige in Frage gestellt und unter die Kritik und Vergleich des Absoluten genommen wird. Zum Entflammung gelangen sie dann in der Gemeinschaft von Sadhus.

 

Die Seele muss also in gewisser Weise entwurzelt werden. Die schöne Gesichertheit, das Geborgensein, das Zufriedensein im bisherigen Lebensverlauf muss aufgestört werden. Weder soll einem der Körper die Gewissheit der Kraft, des Könnens und Leistens gewähren, noch die Umwelt einem das Gefühl des Aufgehobenseins (in einer vergänglichen Welt) und "genug seins" vermitteln.

 

Zwar kann die Sehnsucht nach dem Mehr, der Hunger und Durst nach Wahrheit, nach der Gottesbeziehung auch aus einer Seele gnadenhaft aufbrechen, die wohleingeordnet ist in diese Erde, aber es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass dies geschieht. Erst darf man an die Grenze kommen, sogar an möglichst viele Grenzpunkte.

Das Aufwachen ist dann aber so grundlegend, dass ein ursprünglicher Leidens-Anstoss vom völlig aus der Wertung fällt. Die Hinwendung zu Gott lässt alle Ablehnung, auch die Abwendung von einer schmerzerfüllen Welt, in einem zerschmelzen.

 

Mit dem ansteigenden Alter erscheinen nicht nur schwere, langdauernde Körperbeschwerden, es sind oft gerade immer andere, immer neue, deren Kette nicht abreisst. Ist das eine zu Ende, so hat ein anderes bereits begonnen. Ich bin mir zwar gewahr, dass ich die möglichen Heilmittel nicht nur anwenden darf, sondern auch soll; aber ich weiss ebenso, dass ich damit nicht der Abfolge dieser Kette entgehen kann.

 

Oft dreht sich bei Erkrankten alles nur noch um die Reparatur des Körpers. Auch die Gespräche mit Besuchern kreisen nur noch um diese Nebenangelegenheit des momentanen körperlichen Aggregatzustandes.

Wer sich nicht an letztlichen Grundwerten orientiert, wird sich bewusstseinsmässig gerade mit dem beschäftigen, was von aussen als Ereignis gerade hineinströmt.

Diese Geschehnisse wirken wie Bewusstseinsmagnete, welche Aufmerksamkeit binden.

 

Das englische Wort für „Wert“ heisst „value“. Es kommt vom lateinischen Wort „valere“, das „stark sein“ und „gesund sein“ bedeutet.

Wer sein Leben auf den Sand von Illusionen und unreflektierte Werte setzt, auf Trugbilder, wird mentale Unstabilität erfahren. Auf Dauer kann nur das Wirkliche, das Ewige bestehen.

 

Gerade wenn der Körper schwach und krank ist, dass man nichts mehr zu leisten vermag, wird klar: Auch in gesunden Tagen lag der Eigenwert nicht in der Leistung. Er besteht in der Würde als Seele, die von Krishna grundlos geliebt ist (Bhagavad gita 5.29).

Dieser Wert und diese Würde gehen nicht verloren, wenn wir alt und baufällig, bettlägerig oder arbeitslos sind. Dieses „wertvoll-sein von Gott her“ schenkt einem die innere Kostbarkeit, welche nicht mit allergesündesten Körpern aufzuwiegen wäre.

Das Wesentliche ist das innere Gemütshaltung..... auch wenn es in den Balken manchmal ein wenig krächzen mag...und wird.

 

Oft genug bleibt uns der Sinn der Krankheit verschlossen, oft bringt sie nur unerträgliche Schmerzen mit sich. Auch wenn wir mit ihr in den Dialog treten und sie befragen, wohin sie uns bringen möchte, auf was sie uns hinweisen will, verrät sie uns nichts. Es gibt eben nicht nur die Krankheit als Ausdruck einer ungesunden psychischen Haltung, welche sich auf den groben Körper niederschlägt, sondern auch die karmisch gebundene Schicksalskrankheit, die wir durchgehen müssen.

Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als uns mit der Krankheit auszusöhnen. Sie zwingt uns dann, unsere Pläne und Vorstellungen, wie unser Leben zu verlaufen hätte, aus der Hand zu legen und vor Gott zu kapitulieren.

 

Der erste Schritt, auf die Krankheit zu reagieren, beginnt mit der Annahme der Krankheit. Gott, die Umwelt oder andere Menschen dafür anzuklagen, oder mit dem Schicksal zu hadern,  wäre nur unnötige Auflehnung, welche kostbare Lebenskraft verbrauchen würde.

Der Zerfall des physischen Organismus steht nie im Widerspruch zum Behütet-Sein von Krishna.

Im Annehmen fragt man sich, was für eine Chance nun darin liegt, dass die bisher so gesunde Existenz nun plötzlich durcheinander gerät. Jesus spricht in der Bergpredigt: „Leistet dem, der euch das Üble antut, keinen Widerstand.“ (Matt 5,39)

Und das Bhagavatam ergänzt dazu (ein Vers, den Brahma zu Indra spricht, als dieser eine bestimmte Opferdarbringung nicht machen konnte und sehr erbost reagiert hatte): "Mein lieber König, sei nicht erregt und besorgt, weil deine Opfer durch schicksalhafte Hindernisse nicht richtig ausgeführt werden konnten. Nimm meine Worte gütigerweise mit grosser Achtung an:

Wir sollten uns immer daran erinnern, dass wir nicht betrübt sein sollten, wenn etwas durch eine Fügung der Vorhersehung geschieht.

Je mehr wir versuchen, solchen Rückschlägen entgegenzuwirken, desto mehr treten wir in den finsteren Bereich materialistischen Denkens ein." (4.19.34)

 

Weiter lehrt Jesus: „Und wenn einer dich zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann gehe zwei mit ihm!“

Jeder römische Soldat hatte das Recht, einen Juden zu zwingen, mit ihm eine Meile mitzugehen – als Wegführer oder Gepäckträger. Man kann sich vorstellen, dass viele Juden dies als grosse Demütigung empfunden haben und nur verdriesslich mitgelaufen sind. Wenn man stattdessen zwei Meilen mit dem Römer geht, kann man sich mit ihm unterhalten. Es überrascht ihn, wenn man weitergeht als es die Pflicht verlangt. Man macht ihn zum Freund. Man betrachtet ihn nicht mehr als Eindringling und Widersacher, sondern einfach als Mitmensch. Schon ist die Unterdrückung des Besatzungsrechts aufgehoben und die Kluft zwischen Besatzern und Besetzten überwunden. Das tut doch beiden gut.

Dies ist eine schlaue Strategie, nicht dagegen drückend weiter zu leiden, sondern durch die Annahme in eine ganz neue Beziehung zu treten. Es ist ein kreativer Lösungsweg.

 

Man braucht sich nicht zu sehr nach den Ursachen oder der Schuld fragen.

Sigmund Freud hat dies die „kausal-reduktive Deutung der Krankheit“ genannt. Es ist eine Rückwärtsorientierung des Bewusstseins und hat Ohnmacht zur Folge. Man ist nun Opfer der Vergangenheit. In der Viktimisierung, sich immer als Ausgelieferter der Umgebung und der Umstände zu fühlen, gibt man ihnen die Macht über einen.

Denn die karmische Vergangenheit ist endlos. Der Theologe Karl Rahner meint: Nur wenn wir die Unbegreiflichkeit des Leids annehmen, können wir etwas von der Unbegreiflichkeit Gottes erahnen.

 

C. G Jung plädiert dagegen für die finale Deutung. Man schaut nicht in die Vergangenheit zurück, um dort eine Ursache zu finden, sondern in die Zukunft.

Was ist einem nun wirklich wesentlich? Was ist die Spur, die man mit diesem Leben in die Welt eingraben wollte? Definiere ich mich nur von meiner physischen Kraft und dem Stadium körperlicher Gesundheit her? Was ist meine wahre Identität, welche jenseits von den fluktuierenden Zuständen wie Krankheit oder Gesundheit, und Zerfall oder Wohlbefinden ist?

 

 

Der zweite Schritt ist die innerlich gelöste und nicht am Ergebnis orientierte Bemühung um Heilung.

Der Schritt des Annehmens darf nicht rein passiv geschehen. Das wäre die Resignation. Sie führt nicht in einen freien Zustand, denn sie entmündigt und saugt nur alle Energie auf. Es wäre der Tamas-Zustand.

In der ergebnisoffenen Bemühung um Heilung versteht man die Krankheit als Herausforderung. Nicht im Sinne, dass die physische Apparatur unbedingt wieder in den funktionablen Zustand zurückkehren soll, sondern im Versuch, auch in der Bemühung um Gesundheit nicht von diesem Impuls gänzlich eingenommen zu werden.

 

Die Bemühung um Heilung soll aber auch realistisch sein. In einer schweren Krankheit können der Impuls und das Mühen um Gesundheit auch eine unnötige Leidensverlängerung darstellen.

Da wird man sich aussöhnen dürfen, nie wieder so gesund wie zuvor zu sein. Natürliche Abschreibungen sind in Kauf zu nehmen.

Aber all diese körperliche Einschränkungen und Einengungen des Aktionsfeldes halten einen nicht von innerer Lebendigkeit ab. Man kann versöhnt auch mit der Beschränkung leben.

Und wenn mich die Krankheit in den Tod begleiten möchte, braucht man sich nicht an unrealistische Heil-Hoffnungen zu kleben, sondern lässt sich von ihr führen.

An diesem Punkt ist es heilsam, sich von allen Hoffnungen auf Gesundung und Besserung zu verabschieden.

Das körperliche Gefüge wird immer Niederlagen erleiden… aber sie können absolut spurlos an uns vorbeigehen. In süsser Demut beugen wir uns vor den Vorstellungen, die sich körperliche Unversehrtheit wünschten.

Wir sind aufgefordert, neu geboren zu werden, zu erwachen in die Seele hinein. Da wohnt ein tiefer lächelnder Friede inne auch wenn äusserlich alles zerfällt. Wir bleiben unberührt vom Wandel.

Wenn ich aller Struktur, Gewohnheit, mir geliebten Menschen und von den Dingen, denen ich selber Wichtigkeit zugeschrieben habe, entrissen bin, und dann nichts Inneres mehr habe, das mir Substanz verleiht, sollte das Grund genug sein, die Konzeption meines momentanen Identitäts-Gefühls grundlegend zu überdenken.

 

 

 

Gerade heilige Menschen beantworten das Jammern und Wehklagen mit einem Lachen… weil es im Wesentlichen darum geht, nicht den äusseren Zustand wieder zu korrigieren, sondern nur die mentale Involvierung mit dem Leiden zu unterbrechen. Das nimmt der Krankheit die Tragik und schenkt einen auch mitten in der körperlichen Unannehmlichkeit die Gelassenheit. Krankheit ist der Prozess weg vom Paradigma des Kontrollierens hin zur Haltung des Akzeptierens.

Die Aufgewühltheit und Zermürbtheit an der Krankheit stellt letztlich eine Form des Auflehnens gegen Gott dar.

Der persische Dichter Hafiz:

 

Was ist der Unterschied

Zwischen deiner Lebenserfahrung

Und der eines Heiligen?

 

Der Heilige weiß,

Dass der spirituelle Weg

Ein vollendetes Schachspiel mit Gott ist

 

Und dass der Geliebte

Gerade einen so fantastischen Zug gemacht hat,

 

Dass der Heilige nun ständig taumelt vor Freude,

In Lachen ausbricht

Und sagt: „Ich gebe auf!“

 

Du hingegen, mein Liebes,

Denkst leider immer noch,

 

dir stünden tausend folgenschwere Züge bevor.

 

 

Denn hinter den irdischen Verwesungsprozessen wäre eigentlich das Unvergängliche zugänglich. Ein Licht, in dem unsere menschlichen Dunkelheiten nur wie der Schatten einer Fliege auf einer weissen Mauer sind. Das Kranksein wird dadurch relativiert und verliert dabei das Einvernehmende. Wenn das Bewusstsein nicht mit der Banalität der Oberfläche beschäftigt ist – und die Erkrankung und Lahmlegung eines Körpers ist ein Bestandteil dieser Trivialität - , sondern bewusst hingelenkt wird auf Sri Krishna, ist es absolut unbedeutend, ob die wechselnden Zustände für das kleine Ich gerade angenehm oder unangenehm sind. Das ist genau, was Krishna in der Gita meint: yada gantasi nirvedam…(2.52)

„Dann wird man gleichgültig zu allen erlebten Zuständen innerhalb des Unwirklichen, innerhalb dessen, was sich verändert….“

 

So lange man den Zustand körperlicher Unversehrtheit dem Zustand von physischer Krankheit und Leiden bevorzugt, ist man ein Gefangener der äusseren Dualität.

Das ist doch das Drama, in dem wir drin stecken: dass wir immer wieder äussere Situationen, die irreversibel auf uns zukommen werden, bewerten, und dann der Chance des Darübergehens nicht wirklich genug Raum schenken, da uns die Bewertung derer ein Grossteil der Bewusstseinskapazität raubte.

 

Der dritte Schritt ist das Gebet. Im Dialog mit Krishna erfragt man nun nach der Spur der Lebendigkeit, da nun ja äussere Lebenspläne durchkreuzt wurden. Man lässt sich aufbrechen. Vorstellungen von einem selbst dürfen vor ihm hingelegt werden und zerfallen.

„Ich bin nicht nur der gesunde und erfolgreiche Mensch. Ich bin auch hinfällig und schwach. In aller Machtlosigkeit und Gebrechlichkeit bin ich von der eigentlichen Lebensaufgabe nicht ausgeschlossen und kann sie noch immer gleich verfolgen wie in den Phasen vitalster körperlicher Kraft.

Du bist nun nicht mehr der Gott der einem von materiellem Unheil schützen sollte.

In der Bereitschaft, deiner Spur zu folgen, verschwindet die bisherige Eigeninterpretation von Unheil. Das Heil, das du mit mir vorhast ist nicht das gleiche Heil, das ich mir in körperlicher Identifikation ausmalte. Nun erahne ich das unbegreifliche Geheimnis deiner Gnade.“

 

Durch den Dialog mit Gott, in welchem man Gott nicht für Eigenbedürfnisse instrumentalisiert, erwächst der Weg, den Aufbruch in ein intensiveres Leben zu wagen.

Ein Leben, in welchem nicht mehr erlebt wird und Dinge zu geschehen haben, sondern in welchem man sich mehr einlässt und ergibt.

 

Das Kranksein, die körperliche Schwäche, wird einen auch auf dem Weg zur Gottesbegegnung begleiten.

Doch wenn sich der lebenslange Kampf dagegen einstellt und man sich von der Krankheit demütig in die Ergebenheit führen lässt, erahnt man da ein neues Freudengefühl, welches aus tieferen Bereichen stammt als die Genugtuung, in einem gesunden Körper souverän zu wirken. Man muss die Schwäche gar nicht loswerden. Sie wird zur Begleiterin in die eigene Tiefe. 

Im Akzeptieren der Begrenzungen erfasse ich das Geheimnis des Lebens neu – eine Qualität des Seins, in welchem sich das unbegreifliche Geheimnis Gottes öffnet. 

 

Die Krankheit, die Behinderung, das Leid, die Verletzung oder die Kränkung wird nun einfach als Gelegenheit angenommen, sich durch den Schmerz hindurchfallen zu lassen, um auf den Grund zu stossen.

Dort, unterhalb von Schmerzen und Hilflosigkeit, unterhalb von Verzweiflung und Trauer über den nun irreversiblen Abbau der physis und auch unterhalb der Rebellion dagegen, existiert eine Aufgehobenheit, welche ungemein substanzieller ist als das momentane Wonnegefühl in einem gesunden Körper drin.

 

Das körperliche Gefüge wird immer Niederlagen erleiden… aber sie können absolut spurlos an uns vorbeigehen. In süsser Demut beugen wir uns vor den Vorstellungen, die sich körperliche Unversehrtheit wünschten.

Wir sind aufgefordert, neu geboren zu werden, zu erwachen in die Seele hinein. Da wohnt ein tiefer lächelnder Friede inne auch wenn äusserlich alles zerfällt. Wir bleiben unberührt vom Wandel.

 

In diesem stillen Raum ist man frei von der Macht von Menschen und auch vom Einfluss körperlicher Zustände. Dort erreicht einen keinen Schmerz mehr und man ist heil und ganz. Weder eine Krankheit, Unheil, noch irgendeine Enttäuschung könnte an diesem Ort Kratzer hinterlassen.

Alle Bilder von Selbstentwertung und Selbstüberschätzung, die man sich selber übergestülpt hatte, lösen sich auf. Man ist als Seele vollständig und jenseits von Stärken und Schwächen, jenseits von Wohlgefühlen und Beschwernissen, jenseits von Gesundheit und Krankheit.

Hier bin ich in der Seele, meiner Identität. Alles Zerbrochene, alles Scheitern, alle Entbehrungen, ja sogar alles Sterben kann einem diese Identität nicht streitig machen. Alle Trübungen und Schwernisse haben keine Erinnerungsspur zurück gelassen.

Die Seele bleibt im ursprünglichen Glanz als das einzigartige Gegenüber Krishnas, die Ihm etwas zu geben vermag, was keine andere Seele Ihm schenken könnte.

Dort bin ich, klar und beglückt… kein einziges Erlebnis aus Millionen von Leben hat hier Zutritt. Alle Prägungen und Rillen, die zur Wiederholung von Handlungsmustern drängten, sind nie zu diesem inneren Raum vorgedrungen.

 

Auch trotz Krankheit, trotz Schmerzen und trotz der Ablenkungen von den Sorgen der Menschen, die sich um einen herum um die Intaktstellung der Gesundheit bemühen, sogar trotz aller Erfolglosigkeit solchen Mühens, kann man im Grund der Seele Heimat erfahren.

Der Weg nach Innen löst den Schmerz, die Krankheit, das Ungemach nicht auf, aber nimmt ihm die Macht und die Einflusskraft, die sie über einen hatten. Die Schmerzen müssen aufgrund dieses Fallenlassens in die Tiefe keine Reaktion im Geist auslösen und damit zu „Leiden“ werden. Hier ist man schutzlos glücklich, da es nichts mehr zu schützen gibt.

 

Inmitten von schwierigen Phasen in der eigenen Biografie kann es einem dennoch wunderbar gut gehen… weil tief in einem Unversehrtheit existiert, die nicht geschaffen werden muss und deshalb auch nicht verschwinden kann.

 

Lieber Krishna

 

Ich bat um Kraft - damit ich grosse Resultate erzielen möge-

Aber ich erhielt Krankheit - und wurde demütig und verlor alle Ansprüche.

 

Ich wollte Gesundheit - um Grosse Dinge zu vollbringen.

Aber ich bekam Schmerz - und sah die Wahrheit: Ich bin ganz klein.

 

Ich bemühte mich für Position - um Ansehen zu erwerben,

aber als ich so weggeschleift wurde vom Feld meiner Tätigkeit, meine Kontrollunfähigkeit wirklich annahm,

erwachte einen intensiven Wunsch nach Deiner persönlichen Gemeinschaft. O Syamasundar!

 

Lieber Krishna! Ich danke Dir von ganzem Herzen, dass Du meine kleinlichen Wünsche, Begierden und Anfragen, meinen Durst nach der Welt, einfach ignoriertest,

und mir das wirklichste gabst - Absorption in Dich.“

 

Wenn man Wohlbefinden als physische Schmerzfreiheit und Unversehrtheit versteht, wird man immer gestört bleiben, da Krankheiten und physisches Unwohlsein zur Existenz des Körpers dazugehören.

Im Verlassen der Perspektive des Ichs taucht selbst inmitten der Krankheit eine Gelassenheit auf, welche wertvoller ist als die Gesundung.

 

Wenn Menschen auf die Frage, was ihnen am wesentlichsten im Leben sei mit „Gesundheit“ antworten, ist das das sicherste Anzeichen dafür, sich im Unwesentlichen verloren zu haben.

Wirkliche Gesundheit ist das Zurücktreten des Ich-Geistes, der alles manipulieren, kontrollieren und besitzen will und körperliche Gesundheit als willkommener empfindet als körperlichen Zerfall.

Auf dem Medizin-Schrank in unserem Ashram steht ein upanishadischer Gedanke:

Wenn ich den Zustand der körperlichen Unversehrtheit, der Gesundheit, dem Zustand des Krankseins bevorzuge, ist das bereits eine Projektion ins Zeitweilige hinein, die in sich schon Leiden ist.

Das Leiden bedarf der unserer Aufmerksamkeit, um existieren zu können.

 

Es gibt einen Glauben in uns, der meint, er könnte den Körper retten. Man müsse den Körper erst heilen, bevor man frei und glücklich sein könne.

Worauf will man eigentlich warten? Bis man vollständig befreit ist von jeder Zellerinnerung? Der Körper wird niemals frei sein von Verletzungen oder Krankheit. Er ist eine ständig bedrohte Art und die Unversehrtheit wird niemals eintreten. Selbst die allergrössten Sicherheitsarrangierungen würden nicht die andauernde Bedrohtheit lösen.

Das Recht auf Freiheit nimmt keine Rücksicht auf äussere Umstände.

Sich im Zustand des Zerfalls der physis Krishna auszuliefern ist genau gleich freudvoll, wie im Zustand momentaner physischer Unversehrtheit (Gesundheit).

 

Das Wort „Heilung“ hat überhaupt keinen Sinn für ein isoliertes Ego, für ein körperliches Wesen, das sich mit der Vergänglichkeit identifiziert. Niemand ist wirklich geheilt solange er sich nicht wieder an diesen innersten Raum erinnert, und von dem aus an seine individuelle Beziehung zu Gott.

 

„Lieber Krishna

es ist normal, dass körperliche Zustände sich immer verändern und dass die ihre Funktionsweise immer wieder einmal reparaturbedürftig ist...mein Körper ist auch immer wieder mal partiell "ausser Betrieb".  Es ist für mich eine gute Übung, innere Absorption auch in diesen Zeiten gleich aufrecht zu erhalten. Dies bedeutet, das Provisorium körperlicher Existenz wirklich annehmen.
Wenn innere Verankerung erlebt wird, ist das Sitzen unter dem Damokles-Schwert genauso glückselig wie alles andere, da man erkennt, dass das Wirkliche nie bedroht werden kann.

 

Sind die körperlichen Bedingungen schwer, so dass man sich dadurch unwohl fühlt und weiss man sich dann vollständig in deinen Willen zu ergeben, indem man dir die Entscheidung über Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit überlässt, so tritt das gesamte Wesen sogleich in Harmonie mit deinem Gesetz der Liebe und des Lebens. Die Beschwerden hören alle auf und machen einer ruhigen, tiefen, friedvollen, durch Nichts zu störenden Zufriedenheit Platz.“

 

Bhakti ist eine Lebenshaltung, welche darauf abzielt, Sri Krishna zu erfreuen, absolut unabhängig davon, was die eigene Lebensspur gerade für Erlebnisse liefert. Krankheit wird genauso angenommen wie Gesundheit, Verlust nicht als minder bewertet als der Gewinn. Denn in allem geht es um eine solch fundamentale innere Ausrichtung, welche einen dermassen ins Staunen versetzt, dass man die Eigenwertung der zeitweiligen an einem vorbeiziehenden Phänomen verliert.