Entfühlung

Über die Entwöhnung von der emotionalen Welt

 

Die Tendenz, das Gebet und die Beziehung zu Gott mit gefühlten Erfahrungen zu identifizieren ist tief in uns verwurzelt. Man glaubt, selbst durch den inneren Weg die sinnliche Empfindungsfähigkeit nähren oder sogar ausweiten zu  können.

Im Caitanya Caritamrita findet sich ein Vers, der den inneren Weg sehr prägnant vom Fühlbaren und sinnlich Wahrnehmbaren unterscheidet:

“Die transzendentale Substanz ist nie berührbar durch Konzepte und Auffassungsgaben des Geistes, und ist nie erfassbar durch irgendwelche Bemühungen der Sinne. Dies ist die Aussage aller Vedas und Puranas.” (Caitanya Caritamrta 2.9.194)

 

Das innere Gebet soll nicht in eine kausale Verbindung mit den Charismen, mit Geistesgaben, gebracht werden und es auch nicht mit ihnen verwechseln.

Paulus listet solche im ersten Korintherbrief (12,7-11) auf:

„perfekte Deutungen der Schriften, die Prophetie (Dinge voraussehen zu können), das Heilen, die Gabe der Wundertäter, Ausstrahlungskraft, die Weisheitsrede, das eindringliche Unterrichten, die Unterscheidung der Geister, die Führungsfähigkeit….“

Das sind Eigenschaften, die in der Welt als herausragend betrachtet werden, doch sind sie keinerlei Hinweis auf die Vertiefungsfähigkeit eines Menschen. Es sind karmisch vorbestimmte Eigenschaften, die einfach nur Teil der äusserlichen Persönlichkeits-Struktur sind. Solche Fähigkeiten kommen und gehen und korrelieren nicht mit dem inneren Erwachungspfad.

Weil innere Erleuchtungszustände als überwältigend erfahrene Freuden angenehm sind, entsteht auch durch diese sofort eine Neigung, sie zu verlängern. Nicht wegen Gott, dem Objekt des Gebetes, sondern aufgrund des Annehmlichkeits-Impulses für das Selbst. Somit ist der Same für die Anhaftung gesetzt. Der Fokus ist nicht mehr auf das Gott-Dienen gerichtet, sondern auf die Erfahrung innerer Seligkeit, nach der man sich sehnt. Das ist nicht Kontemplation sondern nur spirituell gefärbte Völlerei. Darin will man in spirituell legitimierter Form möglichst viel eigenes Vergnügen von Gott erhalten. Das falsche Selbst, das Selbstgefühl der Identifikation mit der Aussenwelt, benutzt die Erlebnisse im Gebet und im heiligen Namen unterschwellig, um weltliches Verlangen und Befriedigung guter Dinge zu erhalten.

 

Jeder Mensch erlebt mystische Gnade, Entgrenzungserfahrungen. Gelegentlich sogar auf sehr mächtige Weise. Da die Präsenz Gottes uns vollständig umgibt, kann er uns jederzeit einen ersten Hauch seines köstlichen Duftes erfahren lassen. Auch areligiösen Menschen widerfährt das. Da innere Schulung oft fehlt, hält man diese ersten Einladungsschreiben bereits für die Essenz selber und dann werden sie zu einer Gottesverdunkelung, wenn man bei diesen provisorischen Vorboten stehen bleibt. In Indien hat 200 Jahre vor Christus Patanjali in seinem „Yoga-sutra“ systematisch vor siddhis, den aussergewöhnlichen psychischen Fähigkeiten, gewarnt.

Spirituelle Errungenschaften stellen immer auch eine Versuchung dar. Wenn dies nicht genau betrachtet und angenommen wird, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass man ihr erliegt.

So wird man schnell erhoben in eine Rolle eines erleuchteten Führers, eines Propheten oder charismatischen spirituellen Lehrers. Die Erhöhung geschieht durch eine Identifikation mit den Geschenken auf dem inneren Weg, die man sich selber zuschreibt. Die Identifikation mit dem idealisierten Selbstbild bedeutet, dass einen die alte Kraft des falschen Selbst wieder fest im Griff hat.

Das Leben von vielen Heiligen, speziell den Babajis (zurückgezogen kontemplativ Lebende), setzen ein riesiges Fragezeichen vor alles, was das falsche Selbst mit Glück und Erfolg gleichgesetzt hat. Die spirituelle Reise ist keine äussere Erfolgs-Story, sondern eine Reihe von Verkleinerungen des äusserlichen Selbstgefühls.

Joseph von Cupertino, ein Kapuzinermönch aus dem 17 Jahrhundert, hat in einer bestimmten Phase seiner geistigen Entwicklung überschwängliche Mystik erlebt. Er hatte solche Zustände der Verliebtheit, dass er in der Messe oft zur Kirchendecke hinaufflog.

Für die Mitbrüder waren diese Fliegstunden eher eine Störung, sodass er nach einiger Zeit ein Flugverbot erhielt. Als er dieser Aufwärtsbewegung dann widerstehen musste, fiel er in eine Depression. Später schrieb er, dass er im Aushalten von dieser und sich in der Stille Gott hinzuhalten wesentlichere Schritte zur aufrichtigen Gottesbegegnung vollzog als durch das Spektakel der Fliegerei. Wenn man von der heimlichen Befriedigung absieht, die fühlbaren Wahrnehmungen als Gottesgabe zu identifizieren, vom geistlichen Stolz, beginnt das falsche Selbst keine Nahrung mehr zu erhalten und erübrigt sich nach und nach, sodass die Individualität der Seele durchschimmert.

 

Wenn man die Nebenprodukte des inneren Weges, emotional gefühlte Wahrnehmungen, so erstaunlich sie auch sein mögen, gehen lässt, schenkt das Zugang zu einer stillen Erfülltheit, die wirklich in der Beziehung mit Gott gründet und nicht im Geniessen seiner Energien und Trostgeschenken.

Will ich mich an den Phänomenen ergötzen oder diese wirklich zur Essenz hin durchdringen, welche allem zugrunde liegt?

Johannes vom Kreuz rät seinen Schülern, psychischen Phänomenen keinen Wert beizumessen und was Erscheinungen, süsse Düfte oder Visionen angeht, so empfiehlt er aufs Stärkste, ihnen zu widerstehen.

Die Tendenz, sich an der Erfahrungsmystik laben zu wollen, entspringt der Angst der Auslieferung ans einfache stille Gebet, welches dann eben nicht mehr so beglückend sein könnte. Anfänglich weiss man gar nicht, was man mit der emotionalen Erlebnislosigkeit, der Trockenheit, anfangen sollte. Man ist verunsichert und würde das stille Beten am liebsten aufgeben und sich entspannen oder eine fesselnde Arbeit beginnen.

Trockenheit im Gebet übersetzte das falsche Selbst als die Abwesenheit Gottes. Tatsächlich ist es nur die Verschiebung der Kommunikation auf eine tiefere Ebene. Das Schweigen Gottes ist seine erste Sprache. Alles andere ist ärmliche Übersetzung. Um diese Sprache zu verstehen, darf man innehalten beim heiligen Namen und still ruhend lauschen lernen.

Durch das Bei-ihm-Bleiben erhält man Zugang zum geschenkten Gebet, welches eine gänzlich andere Dimension darstellt als alle provisorischen Abspeisungen an emotionalen Aufladungen.

 

In dieser Trockenheit stellen sich alle gefühlten mystischen Gotteserfahrungen ein. Der Mensch, der sich überschwängliche Mystik gewohnt war, sehnt sich, sie zurückzubekommen. Je nachdem, wie viel geistlicher Oberflächen-Trost der Mensch zuvor erhalten hatte, erlebt er nun den Schmerz des Verlustes.

Diese Phase innerer Trockenheit ist eine radikale Ablösung vom Fühlhaften, was man vorschnell für die Gnade hielt. Sie heilt einen vor der Versuchung, das Selbst zu erhöhen und eine selbst-strahlende Rolle anzunehmen. Sie befreit vor der heimlichen Befriedigung, als Empfänger von Gottes Segen auserwählt zu sein, also von der Aufblähung des Selbst. Man wird durch sie wieder zur Demut geführt.

Eine weitere Frucht der inneren Trockenphase ist die Freiheit von der Herrschaft der Emotionen und Gefühlen. Wenn man das, was für ihre Welt angenehm ist, als göttlich betrachtet, wird man eigentlich nur von ihren Mustern umhergeschoben und hält dies auch noch für ein spirituelles Leben. Wenn auf dieser Ebene auch für lange Zeit keine Nährung mehr geschieht, Gott einen sozusagen ausnüchtert, und man sein Herz in der Stille einfach Gott hinhält, wird man frei von Gefühlsschwankungen und Launen.

In der inneren Trockenheit wird auch die Gottesvorstellung geklärt. Der kindliche Glauben versteht unter Gott einfach das Sicherungsprinzip seines Lebens, in dem man Aufgehobenheit erfährt. Dieser Gott schweigt aber. Er reagiert nicht mehr und erfüllt auch die eigenen Anliegen nicht mehr. Oft handelt er konträr zu allen Lebenshoffnungen. Man schaut still zu Gott hin und bemerkt, dass er gar nicht zuständig ist, ein Lieferant der Eigenbedürfnisse und Garant für die Sicherheit des falschen Selbst zu sein. Die naive Vorstellung von einem funktionierenden Gott für die Stabilisierung des Eigenlebens wird zunichte gemacht. Die stille Schau auf Ihn ist das Geschenk und nicht die Umstrukturierung von Umständen in meiner kleinen Gefängniszelle der Gefühle und Erlebnisse.

Es ist, als würde unsere Erinnerung, die massgebliche Orientierungshilfe, und die Fähigkeit, gefühlsmässig und emotional etwas aufzunehmen, ausgeschaltet. Krishna möchte, dass sich die Seele nicht mehr darauf stützt. In dieser Hilflosigkeit und einem bisher nicht bekannten Verlorenheit, verweilt man einfach still. Es findet ein Umbau des Bewusstseins statt, welcher selber keine Erfahrung oder eine Reihe von Erfahrungen mehr ist. Hier kann Krishna seine wirkliche Gnade an die Seele schenken, sraddha, unverrückbares Vertrauen, welches immer Geschenk Gottes ist. Es stellt der erste Schimmer der Bhakti dar. In der Seele existiert nun keinen Widerstand mehr und auch keinen inneren Kommentar, der immer aus der Fakultät der Fühlwelt entsprang. Auch Erwartungen für das Zukünftige, die heimlichen Forderungen, sind verstummt.

Hier stellt sich das „Machen“ ein.  Man ist von den Trostgeschenken der Oberfläche, den ausserordentlichen Gemütszuständen, entwöhnt.

In dieser inneren Nüchternheit scheint die Trockenheit wieder einen Geschmack zu bekommen, der einen in die Mitte seines Seins hineinzieht.

Diese innere Köstlichkeit stammt nun nicht mehr aus den Sinneswahrnehmungen, sondern aus dem Angesprochen-werden als Seele. Sie ist ganz anders geartet ist als die Aufladungen von der Oberfläche.

Da merkt man, wie das stille Gebet grössere Anziehungskraft besitzt als alle geschenkten Wahrnehmungen sinnlicher und emotionaler Art.

 

Es ist also kein schlechtes Zeichen, wenn man überwältigende Glückserfahrungen, die man einmal hatte im inneren Leben, verliert.

Das Wesentliche ist nicht das sensualistische Erleben, sondern die unspektakuläre stille Bereitschaft sich Gott zuzumuten und anzuvertrauen – unabhängig seiner Erwiderung.

 

Selbst die wunderbarsten Erfahrungen bleiben nur kleine Wegsteine, wenn es ins Ewige einmünden darf. Wenn man wirklich dem Unbegrenzten begegnen möchte, braucht es diese Haltung:

„Ich gebe mich nie mit Erreichtem zufrieden, stehe bei keiner Verwirklichung still, begnüge mich mit keinem inneren Hochgefühl, werte Erfolg und Einsichten niemals als die letztliche Gnade, lasse mich nicht mit der Vorläufigkeit abspeisen, begnüge mich nicht mit dem Weg, den ich schon gegangen bin, vergleiche mich nicht mit der schlafenden Masse und glaube schon gar nicht an den Applaus, welcher mir von ihr entgegengebracht wird.

Und dennoch bin ich zutiefst dankbar in jedem Augenblick. So schreite ich immer weiter, ohne je anzuhalten, einer vollständigeren Offenbarung entgegen, auf ein umfassenderes Bewusstsein hinzu. Das gestern Erkannte dient nur wieder als kleiner Brückenstein für die künftige Erkenntnis.“

 

 

Es scheint manchmal langweilig zu sein, zumindest von aussen, denn der Weg nach innen ist eben wirklich nicht spektakulär.

Eine Erfahrung kann nicht geplant, vorherbestimmt, willkürlich initiiert werden und schon gar nicht erwartet. Wir bestimmen nicht Weise, Ort und Zeit einer Erfahrung - sie widerfährt uns.

In Bhakti, in der Gotteszuwendung, ist der Fokus nicht einmal auf Erfahrungen gerichtet, sondern nur auf die Grundhaltung, Krishna zu erfreuen.

 

 

„Krishna,

Du hast mich gelehrt, den aussergewöhnlichsten Zustand, wenn er vorüber ist, ebenso wenig zu vermissen, wie ich ihn begehrte, bevor er kam. Auch wenn ich solche Zustände nicht mehr geschenkt bekomme,  sehe ich darin nicht mehr ein Zeichen von Unbeständigkeit im Fortschritt auf meinem Pfad.

Ich schreite nun einfach weiter und verweile in den unterschiedlichen Etappen nicht länger, als eben unbedingt nötig.“

 

Geduld, Kraft, Mut, Ruhe und innerste Gelassenheit…

Dass der Geist schweigen lerne und sich nicht gleich die Kräfte zunutze macht, die aus Gott  heraus als Gnadengeschenke fliessen.

Die Seele darf sich nun verwandeln und mit Gottes unendlicher Absicht harmonieren. Das ist etwas gänzlich anderes, als eine besondere Rolle und Stellung einzunehmen oder aussergewöhnliche Kräfte zu erlangen und sie zu geniessen. Man wird einfach gänzlich unspektakulär in die Lage versetzt, ein ganz gewöhnliches Leben mit einer gänzlich aussergewöhnlichen Liebe, die von Gott entzündet ist und sich auf ihn hinbewegt, zu führen.