Ein stiller Geist ist glücklich

Was ist „der Geist“?

 

Alle Eindrücke, die wir durch die Sinnestore in uns aufgenommen haben, werden gespeichert.

Jede Information hinterlässt einen Eindruck. Aufgrund dieser Masse gespeicherter Eindrücke – Prägungen der Vergangenheit - tauchen im Bewusstsein eine bestimmte Art von Gedanken, Impulsen und Wünschen auf.

 

Der Geist ist die Einlagerungsstätte all dieser Impressionen. Und jeder Eindruck löst wiederum neue Gedankenströme, Handlungen und erneute Eindrücke aus. Je grösser die emotionale Aufladung in einer Handlung ist, desto tiefer wird der Eindruck und desto prägender wirkt er auf die eigene Lebensspur.

 

Er ist wie eine dreidimensionale Leinwand um uns herum, auf die wir seit unzähligen Leben hinschauen und nie den Blick davon abgewendet hatten.

 

Der Geist ist ein Konglomerat von Überzeugungen, von Grundhaltungen, wie wir die Welt verstehen. Er ist ein gigantisches Archiv vergangener Gedanken und Gefühlen, die ihre Rillen durch jede Wiederholung tiefer einritzten.

 

Hat man wirklich eine Bevorzugung zu einer bestimmten Nahrung oder einem Musikstil? Oder eine grössere Sympathie zu einem bestimmten Menschen hin?

Es sind ja nicht die Ohren, oder die Zunge, welche die Sinnesobjekte wahrnehmen, sondern nur der Geist. Wir alle haben schon die Erfahrung gemacht, wie funktionierende Sinne dennoch nichts aufzeichnen, wenn ihr Verarbeitungszentrum, der Geist abwesend ist.

 

In der Aussenwelt ereignen sich neutral Dinge. Der Geist als Interpretationslinse webt eine eigene Geschichte um diese Begebenheit herum. Genau darin wird das klare Bewusstsein, die Wahrnehmungsfähigkeit der Seele, von einer uralten Struktur eingeholt und festgebunden…. und in diese Angelegenheiten hinein absorbiert.

Dies ist ein über Jahrhunderte angewöhntes Muster, welches nicht zwingenderweise ständig wiederholt werden müsste. Jedes Mal ist es wieder eine Wahl.

Man könnte das nackte Geschehnis auch aus allen mentalen Geschichten herausheben, und frei von den Eigen-Bewertungen betrachten. Dabei bliebe das Bewusstsein frei, und müsste nicht mehr reaktiv innerhalb den bisherigen Interpretationslinien reagieren.

 

Gedanken sind zeitweilige momentane Betrachtungsweisen. Wenn man sie als solche versteht, sind sie wunderschön.

Nur wenn man vergisst, dass sie nur eine einzige aus unzähligen Möglichkeiten darstellen, die Welt zu betrachten, dann verwechselt man seine eigene eingenommene Moment-Perspektive mit der Wirklichkeit. Und leidet man nicht an der Welt, sondern nur an seiner Betrachtung der Welt, an der Vorstellung, die man von ihr hatte.

 

Nur wenige sind diesem Geist jemals auf den Grund gegangen. Denn seine Hinterfragung ist die Infragestellung von Tausenden von Jahren.

 

„Die Geister, die ich rief, werde ich nicht mehr los!“, ruft Goethes Zauberlehrling voller Verzweiflung.

 

Es scheint die conditio humana zu sein, unentrinnbar und umgeben von fremdem Einfluss zu sein.

 

Die allermeisten Menschen sind ahnungslos und haben nicht bemerkt, dass eine Kraft, die vorgibt, „ich“ zu sein, in sie eingedrungen ist und sich da ausgebreitet hat. Unter „ich“ verstehen wir das Intimste, Nächste, den innersten Ort des Menschen, das Subjekt selber. Gibt es in uns einen Ort, der näher wäre als „ich“? Wir erfahren es als unsere Heimat, als unser Ureigenstes.

Und doch fühlen wir uns in diesem „ich“, wenn man sich ein wenig beobachtet,  nie wirklich Zuhause und friedvoll. Man erkennt es aber meistens nicht, weil man sich diese Innenschau selten leistet.  

Würde man von fremder „Besetzungsmacht“ sprechen, würde die innere Aufmerksamkeit erweckt… die Würde der Seele nach Freiheit….

Aber wir sprechen nicht von dieser Vereinnahmung, sondern halten dies für unser innerstes Wesen.

 

Das griechische Wort „charaxo“ bedeutet „einprägen“, „eingravieren“. Daraus leitet sich das deutsche Wort „Charakter“ ab. Charakterlosigkeit im Sinne von Freiheit von den Vorgaben eigener Prägungen ist das Tor für die Verwirklichung tieferer Identität.

 

Geist als Bewerter

 

 

Im Geist gibt es bestimmte Abläufe, welche meist unbewusst ablaufen. Im Nichtgewahrsam ist man ihnen ausgeliefert.

 

 

Das erste Stadium ist die „Kognition“:

 

-die reine Wahrnehmung Z.B. einen Baum zu sehen ohne jegliche Beurteilung dessen. Er ist nicht schön oder hässlich. Er wird einfach nur wahrgenommen in seiner eigenen Dimension jenseits der Wertungen unseres Geistes.

-Man registriert das Geschehen und hat den Phänomen-Input erhalten.

-Man notiert das Erhalten einer rohen Daten-Erfahrung ohne eine Interpretation davon und ohne Bezeichnungen daran zu hängen.

-Es ist reine Schau ohne Wert-Beurteilung, ein reines Geschehen; ein Ereignis ohne ein Erlebnis, ein Geschehnis ohne dass eine Geschichte daran hängt.

-ein neutraler Vorfall, ein Vorgang innerhalb der Schöpfung, eine Bewegung der

 materiellen Energie ohne jede Auslegung, ein Vorkommnis ohne Beteiligung.

 

 

Doch dann folgt die Rekognition:

 

            -Man hat das Geschehen aufgefasst und erkannt.

            -Es ist identifiziert worden von der bisherigen Bewusstseins-Struktur.

-Man unterscheidet, etiquettiert und kategorisiert die durch Sinne hereinströmenden Daten, macht nun Abwägungen, Auswertungen, Bewertungen, Beurteilungen (positiv / negativ,) gemäss dem Werte-Parameter der eigenen Vergangenheit, gemäss seiner Geschichte und gemäss den bisherigen Lebens-Erfahrungen.

Wenn ein Wert an die hereinkommenden Daten angehängt wird, wird der gefühlsmässig als vergnüglich oder störend empfunden.

 

Wesentlich ist hierbei die Beobachtung, dass es nie das objektive Geschehen (die Kognition) ist, welches das entsprechende Erleben zu etwas Angenehmen oder Unangenehmen macht. Es ist immer nur die eigene Einordnung und  Interpretation dieses Geschehens, der ganze Rattenschwanz der mentalen Aufwühlung, welcher das Erlebnis dann prägt und nicht wieder spurlos an einem weiterziehen lässt.

Das objektive Geschehen ist nicht mehr zu verändern. Aber die innere Aufnahme dessen, die Interpretation, ist in der eigenen Geschichte erwachsen und ist also auch veränderbar. Hierhin zielt der Beginn einer spirituellen Praxis.

Krishna definiert Yoga als Ausgeglichenheit zwischen Glück und Unglück (Bhagavad gita 2.48), was nichts anderes bedeutet, als einfach in der reinen Kognition zu bleiben ohne in die gewohnheitsmässige Eigenbewertung hineinzufallen.

 

 

Als Drittes setzt augenblicklich nach dem man die Bewertung vorgenommen hat, die Sensation ein.

 

            -Das Gefühl, die Empfindung, das Signal, dass etwas passiert ist.

            -Sobald der Input wahrgenommen wird, identifiziert und eingeordnet ist, geschieht die

             Gefühlsempfindung.

            -Jetzt wird das Geschehen erst eine Impression.

-Solange die Kognition nicht bewertet wurde, blieb sie neutral und würde einflusslos an uns vorbeiziehen.

 

 

Als nächstes folgt die Handlung.

 

-Sie ist die natürliche Reaktion, die Antwort auf die vorhergehenden Abläufe.

-Sie ist der Reflex, die Erwiderung auf der grobstofflichen Ebene, die Folge und Fortsetzung eines Ablaufs im Bewusstsein.

 

Oft setzen Religionen genau da nun ein moralisches Regulativ davor, indem sie nur die äussere Handlung einschränken, ohne das Bewusstsein, welches einen dazu drängte, aufzudecken. Dies führt nicht zu Frieden, sondern zur verstärkten inneren Anspannung.

 

 

 

- Angenehm erscheint das, was in einem eine Verknüpfung mit bequemen und schönen Erinnerungen wachruft. Dies führt zum Wunsch, die Erfahrung zu verlängern und zu intensivieren. Es führt zu Verlangen, Appetit, Lust, zu vermehrten Forderungen, zu Begehren, Gier und zu einem Streben und Sehnen nach Wiederholung.

 

-Wenn der Sinneseindruck als unangenehm interpretiert wurde, führt das zum Wunsch, die Erfahrung irgendwie aufzuhalten, Widerstand dagegen zu leisten, sich dagegen zu stämmen. Es ist ein Abstossen, eine Abneigung und Widerstreben.

 

Sowohl das Begehren wie auch die Ablehnung lösen beide Wellen im Geiste auf.

 

Durch diese beiden Reaktionsmuster gibt man den bewerteten Dingen aber den Realitätsgehalt, den sie gar nicht innehaben. Man wird mit ihnen verklebt.

 

Die Anziehung und Ablehnung sind die Muster im Geist. Wie ein Schleier überlagern und verzerren diese die Wirklichkeit.

Aller erfahrene Kummer und alle Sorgen und Schmerz, aber auch alle Wonnen und Freuden in dieser Welt sind nicht eine Erfahrung der Seele, sondern die identifizierte Hinschau auf die Bewegungen des Geistes.

 

Ein aufgewühlter Geist kennt keinen Frieden.

 

Ausgeglichenheit und Friede sind aber immer die Voraussetzung für Glück. Ob man gesund oder krank ist, reich oder arm, anziehend oder hässlich, umworben oder zurückgewiesen, kann man nicht immer selber bestimmen. Die Umstände vermag man nicht immer den eigenen Vorstellungen gemäss zurechtbiegen. Aber die Stille des Geistes in allen Situationen ist erlernbar.  

 

 

Wir leben nicht einfach in einer Welt von Bäumen, Steinen, Pflanzen und physischen Objekten. Die Welt der Menschen besteht vielmehr aus Beleidigungen und Lob, Freunden und Konkurrenten, Verlust und Erfolg... also aus sehr subjektiven Wertezuschreibungen.
Dies sind alles eigene Kreationen, die existieren, weil man an sie glaubt. Glück und Leid, Bevorzugungen und Abneigungen, Wünsche und Ängste - all dies sind Produkte des Geistes.

 

Srimad Bhagavatam 11.28.8:

Jemand der sich in der Ewigkeit verankert, und sowohl theoretisch als auch praktisch die Natur der äusseren Dualität durchschaut, beschäftigt sich nicht mehr in Kritisieren oder Loben (dem Urteilen, Abwägen und Bewerten) irgendwelcher Aggregatzustände der materiellen Energie. Der Sonne gleich wandert er frei durch die Welt (durch die Umstände) hindurch.

 

Dies bedeutet nie, damit die äusseren Zustände einfach zu legitimieren. Aber es schafft in einem einen stillen Geist, welcher sich dann frei von der Last der selber gesetzten Wertungen, viel effektiver kümmern kann, was es wirklich zu tun gibt.

 

 

 

Wahrnehmungs-Stifter

 

Wahrnehmung bedeutet, dass sich der Geist entsprechend der wahrgenommenen Objekte verfärbt und verformt.  Die in einem gespeicherte Wahrnehmung bestimmt das Wahrnehmungsfeld. Die vergangenen Prägungen bestimmen das Wahrnehmungsfeld.

 

Aufgrund der beständigen Bewegungen, Färbungen und Identifikationen kann der Geist nicht unverfälschte Informationen und Kenntnis über die Welt vermitteln.  Die Wahrnehmung ist ein Überbau, welcher entsprechend des Füllmaterials des Geistes die Wirklichkeit verzerrt.

Die zur Seele gespiegelte Erkenntnis der äusseren Welt ist eine Reflektion des Zustandes des eigenen Geistes.

 

In Vrindavan beklagte sich jemand, dass der Ventilator zu laut sei und dass er sich nicht auf die Meditation konzentrieren könne.

Heute ist es der Ventilator, morgen etwas anderes. Ein gestörter Geist findet in allem ein potenzielles Objekt der Störung. Selbst das Schöne und Wunderbare kann er nicht mehr oder nur sehr peripher, wahrnehmen.

Der Geist ist laut… und man projiziert diesen nach aussen und so wird alles in der Umgebung zur belästigenden Unzulänglichkeit. Ein unruhiger Geist findet immer genügend Anlass, sich ein Leben lang über irgend etwas zu beklagen….

Natürlich gibt es eine reale Lautstärke in der Sinneswelt, die in Dezibel gemessen wird. Doch erstaunlicherweise ist diese objektive Grösse nicht das, was Störung und Aufwühlung generiert. Nur ein unruhiger Geist ist laut.

Die Sinne nehmen nie objektive Grössen wahr. Die Wahrnehmung ist manipuliert durch einen aufgewühlten Geist. Deshalb ist die Befriedung des Geistes ein wesentlicher Beginn für klare Wahrnehmung. Das heisst für Erkenntnis.

 

 

 

Identifikation

 

Gewohnheitsmässig identifiziert man sich mit den Gedanken, Gefühlen, Emotionen und Wünschen, als ob man diese sei. Man denkt, das, was als Füllmaterial gerade auf der Leinwand des Geistes erscheint, sei man selbst.

 

Leiden ist also die Fehlidentifizierung mit den Bewegungen des Geistes, während das wirkliche Selbst davon ganz unberührt bleibt.

 

Es ist ein unabstellbarer Lärm, mit dem man zusammenwohnt. Ein Grossteil dieser Gedanken sind Repetitionen von Altem und zudem nicht einmal nötig und hilfreich.

Gedankenketten sind nicht auf Spezifisches gerichtet, sondern agieren diffus. Sie irren einfach umher als mentales Gedröhne. Sie folgen assoziativen Verfremdungen.

Ungewollt, ungerufen und un-nötig.

 

 

Ohne das Unterscheidungsvermögen zwischen der Seele, der ewigen Instanz, der eigentlichen Identität, und dem Geist ist man im Labyrinth innerer Welten vollkommen verloren.

Beide nennen sich „ich“.

Ein Mensch in der Welt meint mit „meinem Willen“, „meiner Meinung“, „meinen Vorstellungen“, „meinen Gefühlen“, oder „meine Welt“ nicht das unvergängliche Selbst, sondern nurdas angenommene Rollenverhalten des Geistes.

Die Verschmelzung zwischen dem Wahrnehmenden mit dem Wahrgenommenen wird Identifikation genannt. Das ist Leiden.

Denn Identifikation mit Nichteigenem geht immer mit einem Bewusstseinsverlust einher.

 

Die Last dieses falschen Ichgefühls haben wir uns selbst aufgebürdet. Es wiegt schwer, denn es hat die Eindrücke von Tausenden von Leben auf dem Buckel. Es ist nicht nur vierzig Jahre alt…auch nicht 500…

 

 

Menschen, die von ihren Traumas oder existenziellen Enttäuschungen und Verletzungen erzählen, sagen oft, es stecke ganz tief in ihnen drin.

Aus der Perspektive eines oberflächlichen Lebens, welches sich in der Seichtheit bewegte und sich mit einfachen Freuden begnügte und  das Unangenehme zu meiden versucht hatte, scheinen die erlebten Eindrücke schon tief.

Aber Gedanken, alle sinnlich erfassten Erlebnisse und deren Rezeption im Geiste sind nie tief.

Sie sind die Darbietung auf die man halt schaut, wenn man Tiefe vermeiden möchte.

Dies ist seit Äonen zur Gewohnheit geworden.

 

Minderwert

 

Unter dem willkürlichen Begriff „ich“ (meist unter dem Titel des Namens) hat man im Verlaufe des Lebens so viel herumgedacht.

Man erkennt aber auch im hohen Alter noch, dass in dem drin keine tiefe Zufriedenheit innewohnt und man sich nie als ganz und vollständig versteht. Die latente Stimme „Ich bin nicht genug und: Ich brauche noch“ ist der essenzielle Glaube eines Selbstgefühls ausserhalb der Seele.

 

Solange man sich aus mentalem Auffüllmaterial definiert, erlebt man einen ständigen Mangel, welchen man glaubt, mit angehäuftem Wissen, Anerkennung von anderen Menschen, aquirierten Gütern, einem bequemen Abstellplatz für den Körper („Zu-Hause“), liebenden Familienmitgliedern und Freunden… ergänzen und anreichern zu können.

Aber mit solchen vermeintlichen Identitäts-Stiftern lässt sich die Seelen-Identität nie kompensieren.

Jeder hat seine eigenen mit Erfüllungs-Hoffnung geladene Strohhalme in der Aussenwelt.

Doch im Rennen in die Wüste hinaus kommt man der Fata-morgana nicht näher. Nur der mentale Lärm wird dabei lauter.

Das Ich-Konstrukt, das sich von der Welt her definiert, hat keine Identität. So muss es sich durch Abgrenzung definieren. Es zieht willkürliche Grenzen und sagt dann „Ich“ dazu. Irgendwann merkt man, dass es Isolation war.

 

Das weltlich entstandene Selbstgefühl ist ein unstabiles Gebäude, das selbst in den allergrössten weltlichen Erfolgen nicht gestärkt werden kann.

Es versuchte sich selber Wert zu geben durch das Erreichen von Dingen.

 

Die innerste Würde aber bleibt der klaren aufmerksamen Beobachtung treu. Sie führt tiefer als alle Errungenschaften, welche das äussere Selbstgefühl zu seiner eigenen Rechtfertigung erschuf. Auch der Griff nach anderen Menschen kann einem nicht die  gesuchte Substanz vermitteln. Denn als Seele hat man keine Beziehungen zu all denen, mit denen man sich gerade verbunden wähnt.

 

 

Man hat das Recht auf die innere Distanz von der Besessenheit der Traumgeschichten, welche der Geist ständig produziert und sie als „die eigene Identität“ präsentiert.

Nichts braucht dem hinzugefügt werden, was man selber ist als unvergängliche Seele. Da existiert bereits eine Vollständigkeit, die sich nicht mehr Aufzufüllen braucht – nicht einmal von Gott. Reine Liebe ist nicht mehr bedürftige Mangelbehebung sondern Begegnung auf Augenhöhe.

Man mag dann vieles tun in dieser Welt, aber hinter diesem Bemühen steckt nicht mehr die gähnende Leere, die sich nähren will am Erlangten oder am Gegenüber. Das entspannt jede Tätigkeit oder Begegnung. Der Druck, dadurch dieses wackelige Selbstgefühl stabilisieren zu wollen, entfällt.

 

Es gibt Gnadenmomente, in denen man die Möglichkeit dieser Freiheit kurz erblickt. Man wäre eigentlich eingeladen, herauszutreten aus dem Ich-Konstrukt, welches sich der Geist erschaffen hatte.

Doch genau in diesem Augenblick taucht die Stimme der Angst auf, die einwendet, dass dann ja gar nichts mehr von einem übrig bliebe, wenn man es wagen würde, von der Leinwand des Geistes aufzuschauen. Denn dieses reduzierte Dasein fühlte sich in der Beschränktheit geborgen.

 

Alle erfahrene Schwere stammt aus der Gleichsetzung seiner Selbst mit den Bewegungen des Geistes.

Selbstzentriertheit ist das Magnet für Identifikations-Material.

Denn in der Identifikation mit der Überstülpung reagiert man auf das Wesensfremde um einen herum aus dem Paradigma heraus, ob es einem nützt oder schadet, ob man gewinnt oder verliert, leidet oder sich erfreut.

Diese Einteilungen berühren einen nur, wenn man die Aussenwelt aus dem selbstzentrierten Standpunkt heraus betrachtet. Wenn das Leben auf die Erfreuung Radha-Krishnas hin gerichtet ist, entfällt die Schwere der Identifikation mit solchen Dingen.

 

 

Die Abwendung von der Gegenwart Gottes ermöglicht erst das Dasein des kleinen Ichs mit seiner Geschichte, mit seinen nie erfüllbaren Vorstellungen, mit seinen nie zufriedenstellenden Wünschen.

Diese eigene zerbrechliche Vorstellungswelt wird zudem noch konstant sabotiert von anderen Menschen, inneren und äusseren Wetterlagen  und vor allem vom Fluss der Prakriti, den man dann plötzlich feindlich bewertet. So entsteht ein Lebensbild als fortwährenden Kampf. Ein Kampf mit der Welt. Der Kämpfende hat einen aufgewühlten Geist und ein unruhiger Geist drängt einen zur Oberfläche hin.

 

Die Verteidigung eigener Gedankenwelten und Weltanschauungen wird erst möglich, wenn man sich mit ihnen identifiziert. Denn erst dann wird die Ich-Rolle und die eigene Geschichte bedeutsam. Dann nennt man sie nicht mehr „seine momentane Wahrheit“, sondern „DIE Wahrheit“.

Die klare nach innen gerichtete Wahrnehmung ist dankbar, wenn die Gedankenwelten und alle bisherigen Perspektiven umgestossen werden. Denn dies bedeutet, dass die Sichtweise erweitert werden darf. Zum Ungewissen hin, in welchem man sich aber Gott näher und geborgener erfahren darf als in den fest abgesteckten Selbst-Eingrenzungen.

 

All meine Aussagen, Ansichten und Meinungen sind temporäre Ausschnitte einer allumfassenden Wirklichkeit.

Gedankenwelten aber wollten die Dinge fixieren und festmachen. Sie sind nur an Sicherheit aber nie an Wahrheit interessiert.

 

Wir suchen, wir wünschen, wir tun, wir machen… nur um irgendetwas aufrecht zu erhalten. Denn wir glauben, wenn all dies stirbt, bliebe nichts mehr übrig. Das ist das Gebäude des Geistes, das hochtourig dreht, um sich zu legitimieren.

Es war aber nur der Widerstand, der weh tat. Wenn alles verschwindet, bleibt Glückseligkeit, übrig. Denn der Urgrund aller Existenz ist die Freude, Krishna in Liebe zu dienen.

Man muss diese aber nicht erschaffen, da wir inhärent aus ihr bestehen.

 

 

 

 

 

Herauskommen

 

Die Einsicht, dass man viele Jahrtausende in geistiger Bessesenheit und unter Fremdeinflüssen der Welt gelebt hatte, erweckt grosse Achtsamkeit. 

 

Die Identifikation mit dem Geist geht sehr tief. Sie wirkt deshalb so stark, da man sie nicht als solche erkennte. Man glaubte, dass die Übertragung des Ichgefühls in die mentale Welt normal sei.

So hält man dieses für das natürliche Sein, für die Liebe oder ein von Gott gegebener Zustand. Genau damit legitimiert und festigt man die Identifikation.

In spiritueller Gemeinschaft eines Heiligen taucht anfänglich erst einmal eine Auflösungsbereitschaft auf, die als viel grundlegender als Selbstmord erfahren wird.

Denn die Disidentifikation mit den Strukturen des Geistes geht wirklich tiefer als das Ablegen der grobstofflichen Körperhülle.

 

Wenn der Geist ruht, darf auch alles in der äusseren Welt zusammenbrechen und alles entgegen den ausgemalten Hoffnungen verlaufen…Es ist, als wäre nichts geschehen.

Dann spürt man ganz deutlich, dass die wirkliche Mühsal nicht äussere Umstände sind, sondern einzig und allein nur die Aufwühlung des Geistes.

 

Erfahrungen, ob hohe oder tiefe, heilige oder profane, frohe oder alptraumhafte, kommen und gehen einfach wie endlose Kräuselungen in Wellen des Ozeans.

Wenn man in der Seele ruht, alles Geschehen nur aus der Ferne wahrnimmt ohne zu interpretieren oder reagieren, ist Stille die Grunderfahrung. Dann zieht es einen nicht mehr zu den Wonnen und den Qualen der Darbietungen hin. Diese Erscheinungen ziehen an der Oberfläche des Bewusstseins einfach wieder ab. Nur das dentifizierte Zuschauen liess diese substanziell greifbar erscheinen. Nicht identifiziertes Zuschauen bewahrt den Raum zur Seele hin.

 

Die Dinge, die man erlebt, sind lustvoll oder enttäuschend, fröhlich oder traurig, ängstlich, gesund oder krank, banal oder absorbierend, aufregend oder langweilig. Aber der, welcher diese Zustände und Empfindungen erlebt, ist nie ängstlich, freudvoll oder deprimiert. Er bleibt einfach frei von allen zeitweiligen Phänomenen, unberührt von Geburt und Tod. Er ist auf die spirituelle Welt hin geeicht. Die Seele wankt nicht, wenn alles wankt und sie tritt nie in den Strom der Zeit ein.

 

Yo na hrsyati  Verse singen von 12.13-20

Sich an den Inhalten des Geistes nicht mehr zu erfreuen oder nicht mehr an ihnen zu leiden ist nicht ein Zustand grundlegender Betrübtheit und leeren Teilnahmslosigkeit, sondern derjenige einer stillen beständigen Freude, die quer durch alle Lebenserfahrungen hindurch, unabhängig ob sie beglückend oder tragisch sind, bestehen bleibt.

 

 

Die Sehnsucht steckt in allen drin, über die bindende Geschichte des Geistes hinauszugehen… aber das kann nicht eintreten ohne einen Moment klarer und scharfer, angstloser Begegnung, Angesicht zu Angesicht stehend, mit dieser ganz alten Geschichte. Es besteht aber gewaltiger Unterschied zwischen transzendenter Lösung der Identifikation und pathologischer Disidentifikation, die nur aus der Abwehr dazu motiviert war. Die erleichternde Ablösung fordert die Bereitschaft, dem Auftauchenden zu begegnen, und es still anzuschauen. Daraus erfolgt die Möglichkeit, es wirklich übergeben zu können.

 

 

Es benötigt einen inneren Entschluss, sich nicht den gedanklichen Spiralen auszuliefern.

Gedankenströme haben die Tendenz, sich festzubeissen und malen sich speziell im Falle von unerwünschtem objektivem Geschehen ständig aus, wie es doch anders hätte sein können.

Das Versinken in Grübel-Spiralen ist auch ein Entscheid des Sich-Fallen-Lassens in die Stumpfheit.

Natürlich ist die Reflektion dessen, was geschehen ist, wesentlich, aber man darf nicht dabei stehen bleiben. Sonst lebt man rückwärtsgewandt und versucht, Dinge, die längst nicht mehr zu verändern sind, ständig zu durchdenken und sich an ihnen zu reiben.

Wenn du aus dem Gedankenstrom heraustrittst, machst du die erstaunliche Erfahrung, nicht weniger geworden zu sein, sondern eigentlich nur erleichtert zu sein.

 

Ununterbrochene Gedankenprozesse haben die eigene Aufmerksamkeit absorbiert, sodass auch die wache klare Wahrnehmung davon blockiert war. Deshalb wird der Heraustritt aus ihnen wie ein Zurückkommen empfunden nach längerer Zeit der Absenz. Ein Nach-Hause kommen.

Alles Bekannte um einen herum wird nun neu inspiziert und erscheint einen ganz frisch. Alles ist wie das erste Mal erblickt.

Das ist eine Lebendigkeit, die durch Identifikation mit Gedankenprozessen gelähmt wurde.

 

Der innere Weg proklamiert nicht, dass man Dinge dieser Welt aufgeben müsse. Man verliert nur den Glauben an ihr Auffüllungspotential. 

Die persönliche Lebensgeschichte wird ihren Lauf nehmen. Aber die innere Würde der Seele auch – und zwar unabhängig von der ersteren.  

In dieser eröffneten Möglichkeit liegt eine ungeheure Erleichterung inne.

 

 

Das Nichteingreifen in die Geschichten des Geistes bedarf allerhöchsten Mutes. Alles kommt einen unendlich nah und erzittert, aber man bleibt still. Die alte Gewohnheit der Einmischung in die Welten der Vergänglichkeit, meldet sich immer als erstes und will sich vor die Gewahrsamkeit als Seele drängen.

Man darf lernen, den ersten Schub auszuhalten und dann beobachten, wie sich vermeintliche Dringlichkeit einfach auflöst.

 

Man sieht, wie eine riesige Tsunami-Welle auf einem hinzustürmt. Die Angst, darin zu ertrinken wird grenzenlos. Sie kommt nun unendlich nah und scheint einen zu verschlingen…

Man hält die Intensität des stillen Beobachtens manchmal fast nicht mehr aus und denkt: „Jetzt muss ich doch etwas tun!“ „Jetzt muss ich eingreifen.“

Nein, eben nicht. Das innerste Vertrauen weiss, dass gerade jetzt der Raum der Unberührtheit gewahrt werden darf. Die Angst scheint einen vollständig zu umspülen und umfangen. Man scheint zu versinken und unterzugehen und zu ersticken. Man bleibt still… genau darin liegt die Entdeckung, dass der dreidimensionale Film immer noch auf eine Leinwand projiziert wird. Auf die Leinwand des Geistes.

Man liess alles ganz nahe kommen ohne jegliche innere Abwehr. Nicht aus stumpfer Gleichgültigkeit heraus, sondern weil man spürte, sich nun tiefer fallen zu lassen.

Da sieht man ganz klar, dass man in seiner eigentlichen Identität nicht einen Kratzer davontragen konnte, obwohl die Ängste der Oberfläche das schlimmste Szenario ausmalten. Aber man konnte es nicht erfahren, wenn man nicht den Mut hatte, in dieser Beobachtung zu verweilen und einfach nur still beizuwohnen.

 

 

Die Einkehr erscheint anfänglich nicht attraktiv. Warum eigentlich?

Weil sich ein Wesen, das sich aus Tätigkeit und Machen definierte, die Stille nicht aushalten kann. Der eigene Geist ist auf Lärm geeicht. Und mit Lärm sind nicht die Geräusche im Aussen gemeint, sondern die Tendenz zu beständiger Stimulation.

Wenn diese nachlässt, kommt als erste Reaktion Langeweile auf. Die Reaktion auf Langeweile ist die Suche nach erneuter Stimulation.

Dann geht man auf die spirituelle Suche und macht Erfahrungen und bemerkt lange Zeit nicht, dass auch dies noch häufig die Sucht nach Stimulation nährt.

Deshalb ist die Einkehr jenseits von Sinnesstimulation eine ganz wesentliche Übung, das Vertrauen zu leben, dass da wirklich eine Seele existiert. Im unspektakulären Ausliefern zum Heiligen Namen, ohne die Erwartung auf Erwiderung… in der Bereitschaft, IHM Geburt für Geburt zu dienen.

 

Das diffuse Herumgeirre in der Aussenwelt führt nirgendwo hin.

Viele Menschen glauben noch immer, viele Sinnesreize wahrzunehmen sei ein lebendigerer Zustand als nichts wahrzunehmen. Das könnte eine fundamentale Täuschung sein. Denn das ist der Moment, wo man in Versuchung gerät, irgendetwas zu produzieren…was nur eine erneute Aufwühlung im Geist ist. Und je aufgewühlter der Geist ist, desto mehr drückt es ihn an die Oberfläche. Anstatt mit den Sinnen die Welten abzugrasen darf man in die wesentliche stille Einkehr einsinken. Das ist die Grundlage zur Meditation.

 

 

 

 

 

Ausweitung

 

 

Die Annahme der gegebenen Umstände, wie sie sind, schenkt einem augenblicklichen Frieden.

Es ist aber nicht ein statischer Friede, der unterwürfig vorschnell vor der Umwelt resigniert und tief drin noch immer mit ihr kämpft.

Es ist ein kreativer Friede, welcher aus einer tiefen inneren Stille heraus das Unrecht nicht toleriert, aber sich nicht von ihm besetzen lässt. Daraus entsteht eine gelassene Bemühung, die sich nicht mehr an persönlichem Gewinn oder Erfolg orientiert.

 

Innere Gelassenheit darf nie zur Legitimierung des Unrechts herhalten.

Sie gründet einfach in einer Tiefe hinter den Erscheinungen und mindert nicht die Fähigkeit und den Enthusiasmus des Einsatzes in der physischen Welt. Dieser ist gefordert.

Innere Gelassenheit erspürt einfach eine Gutheit jenseits von Gegensatzpaaren. Das Glück und das Unglück knüpft sie einfach nicht mehr an bestimmte selber festgelegte Vorstellungen des Geistes.

 

 

Der Strom von Erfahrungen aus Millionen von Leben, der sich verdichtet hat in unserem Geist, in der Art und Weise, die Welt und Gott zu verstehen, ist ein Konglomerat kondensierter Unwissenheit. Die Wucht anfangsloser Vergangenheit hat sich hier zusammengeballt. Doch ich bin eigentlich nur ihr unberührter Beobachter.

Alles, was jemals geschehen ist in der Geschichte des Universums, hat einen zu diesem einen Augenblick hingeführt. Das macht diesen Moment so kostbar.

Es war nicht alles überflüssig, sinnlos und umsonst, was man je getan hat. Das wäre es erst, wenn man sich selbst als etwas Abgeschlossenes betrachtet. Es darf nun einfach in etwas Umfassenderes hinein kulminieren: in die Hingabe zu Radha-Krishna. In die lebendige Beziehung zu ihnen.

 

Unruhig war der Geist nur, weil er sich mit Unwirklichen beschäftigte. Die Seele fühlte ganz tief, an ihrer wirklichen Bestimmung vorbei zu leben: Im Vernachlässigen der brennenden innersten Sehnsucht der Seele, der Gottesliebe, bleibt einem wenigstens noch der Hinweis auf das Eingeschlafensein – eben der unruhige Geist.

 

Wenn die verhaftete Vorstellung, dass sich der Eigenwille mit seinen Ideen und Plänen und der Art und Weise, die Umgebung wahrzunehmen, umsetzen müsse, nachlässt, wird es friedlich still.

 

Ein stiller Geist ist…immer… glücklich….