Eine persönliche Einladung an den eigenen Tod

 

 

Aus der Rebellion gegen die Oberflächlichkeit des Lebens wird eine Frage im Innersten wieder zugelassen: Was ist die Bedeutung von diesem kurzen Leben?

Die erste Antwort, die einem auf der Hand liegt, ist: Es ist limitiert - wir sterben. Unsere Romanze mit dem Tod beginnt...

 

Die Erkenntnis, dass dieses Leben schon bald wieder vorbei ist, gibt dem Leben hier, dem Streben nach innerweltlichen Errungenschaften, eine gewisse Bedeutungs- und Sinnlosigkeit. Alles wird wie Stroh umgehauen und erscheint vergeblich.

Als Kind hatte man sich geborgen gefühlt bei den Eltern und beim Spielen in der Natur, weil man noch kein Bewusstsein des Todes hatte. Dann befällt einem mit der eintretenden Sterbe-Erkenntnis diese Verunsicherung – das Gefühl, dass alle erlebte Geborgenheit in dieser Welt eigentlich unecht und unwirklich ist und auf Vergessen und Ausblendung beruht.

 

Die Friedhöfe der Welt sind voll von unzähligen Menschen, die in unzähligen Sprachen immer und immer wieder beteuert und mit vollster Überzeugung gelebt haben, dass sie niemals sterben würden.

 

Die Religionen liefern ihren Gläubigen oberflächliche Tröstungen (naive Jenseits-Verheissungen) und zudem auch noch Angst-und Schuldgefühle über den Tod, statt ihnen Mittel ins Gemüt zu geben, sich mit ihm zu vertragen und verständigen. In der widerstandslosen Begegnung mit seiner unmaskierten Grausamkeit taucht seine Milde wieder auf. Aller Trost ist trübe. Aber zur Erfahrung dieser tiefsten existenziellen Sanftheit, muss man dem Tod in aller Klarheit begegnen. 

 

 

Die offene Auseinandersetzung mit diesem Ende wird deswegen so gefürchtet, weil dadurch so viele in einem noch offene Fragen auftauchen. Wofür ist diese provisorische und zeitweilige Existenz hier? Weshalb soll ich mich so mit dem Leben verkleben? Wofür mich um Güteranhäufung  bemühen?  Warum diese zeitweilige Existenz so verbissen zu stabilisieren versuchen? Es geht gar nicht lange, und niemand kennt nicht einmal mehr meinen Namen...

 

Aus diesem Ungemach heraus will man den Tod aus seiner Aufmerksamkeit herausstreichen, ihn aus seinem Leben evakuieren. Genau dadurch limitiert man sein Bewusstsein, denn man kreiert Wunden, auf die man nicht hinschauen darf. Für die Aufrechterhaltung dieser Ausgrenzung wird so viel Lebensenergie investiert. Die Energie, die man für die Verdrängung der Todesanzeichen investiert, wird einem zum Leben fehlen... Es ist nicht nur natürlich, sogar kreatürlich, Angst vor dem Tode zu haben; das Ungesunde ist nur, sie zu ignorieren. Es ist ein Paradoxon, dass man für ihre Überwindung ihr auch ganz begegnen muss.

Nicht der Tod ist das Leiden, sondern nur die paranoide Flucht davor.

 

Der Tod ist aber nicht nur ein Wegnehmer sämtlicher Lebensumstände und allem, was einem lieb war. Er ist auch Sinngeber, nämlich dann, wenn man mit dieser Unvermeidlichkeit, dem Ende unserer hiesigen Existenz, in eine ernsthafte Beziehung tritt. Darin wird man zu einer ganz neuen Lebendigkeit erweckt.

 

Mit dieser "deadline" lernt man viel besser. Im Alltagsleben kennen wir das: wo nichts geschieht, wird plötzlich viel in Bewegung gesetzt, wenn wir eine „deadline“ bekommen. Der Tod erscheint als Grenze in unserem Leben, um innere Prozesse zu beschleunigen und einen aus der Banalität des Alltäglichen heraus zu schälen und uns in Beziehung zu dem zu setzen, was durch keinen Tod bedroht wird.

 

 

Jede Anhaftung, jedes innere Abstützen und Identitätsstiftung, die man an Dinge,  an den Körper oder an Gedanken und Gefühle knüpft,  führt zwangsläufig zu irgendeiner Art von Leere und Enttäuschung. Menschen verbringen viele Leben in diesem mentalen Muster. Sie leben in der Vergänglichkeit und tun so, als wenn der Tod in weiter Ferne sei, obwohl er jederzeit greifbar nahe ist.

Der Geist macht auf sehr glaubwürdige Weise vor, dass etwas Schreckliches, etwas Grauenhaftes passiert, wenn der Körper aufgegeben wird. Wenn alles zusammenbricht.

 

Ich las einen Bericht eines Schiffbrüchigen, der auf der Fähre war, die im Winter 1996 mit 900 Leuten im Meer untergegangen ist, und er beschrieb diesen Moment im eiskalten Wasser, diese unwahrscheinliche Panik, diesen Terror, diese unheimliche Selbstverkrampfung vor dem Tod. Aber was interessant war, war der Moment, in dem bei diesem Mann - der vermutlich noch nie irgendwelche spirituellen Erlebnisse gehabt oder auf der Suche gewesen war - die Aufgabe dieser Todesverkrampfung geschah, und er nur noch Glückseligkeit erfuhr. Und diese Glückseligkeit überwand vollkommen den Schmerz des kalten Wassers und all den Terror um ihn herum. Das war der Moment, in dem er vollkommen bereit war, zu sterben.

Das ist das grosse Paradox: dass das Leben einzig aus der Bereitschaft zu sterben voll erfahren werden kann.

Der Geist sucht immer danach, subtil oder ganz plump, den Tod immer wieder auszublenden.

Es kostet einen eine ständige Anspannung, eine ständige Verkrampfung, sich gegen das zwangsläufige Sterben zu behaupten, und sich dagegen zu wehren. Aber in der vollkommenen Bereitschaft, den Tod wirklich einzuladen, liegt das Tor zur Glückseligkeit. Das ist der Moment, in dem einem aus dem Wunsch zur  Erkenntnis gleichgültig wird, ob man lebt oder stirbt. Man hat nun tiefere Existenz erahnt, die unberührt bleibt, selbst wenn alles zusammenfällt - die unvergängliche Seele.   

 

Albert Camus beschreibt in seinem Roman „Der Fremde“ wie Meursault zum Tode verurteilt wird. In der Todeszelle erfährt er die zärtliche Gleichgültigkeit der Welt.

In diesem Ausdruck liegt eine tiefe Erkenntnis: Dass im inneren Ausklinken von den emotionalen Freudenprogrammen und Leidvorstellungen eine unvergängliche Freude inne wohnt, welche sich nicht mehr an vergehende Umstände bindet.

 

Diese Gleichgültigkeit ist keine Handlung; es bedeutet nur aufzuwachen, die Aufmerksamkeit vom Unwirklichen zurückzunehmen und sie wieder dahin richten, wo sie natürlicherweise hingehören würde - auf Radha-Krishna, auf Gott.

In der Gita sagt Krishna: yada te moha kalilam…

Bhagavad Gita 2.52)

"Wenn deine Intelligenz aus dem dichten Wald der Täuschung herausgetreten ist, wirst du gegenüber allem, was gehört worden ist, und allem, was noch zu hören ist, gleichgültig werden."

In der Todesnähe pulsiert das Leben – enthoben aller Trivialität in unglaublicher Intensität.

 

 

 

Verlust

 

Die Erfahrung von Verlust ist schmerzlich im Moment. Aber mache ich nachträglich wirklich die Erfahrung, etwas verloren zu haben?

Spüre ich die Verkrampfung, die darin besteht, Angst zu haben, etwas zu verlieren?

Wie wäre es, wenn ich alles verlieren würde, in einem Moment?

 

Wie wäre es, wenn ich bereit bin, die Erfahrung zu machen, alles freiwillig aufzugeben und dann ganz still zum eigenen Erstaunen zu beobachten, dass man darin nicht weniger geworden ist.

Jahrtausende von Ankämpfen gegen den Verlust haben sich als sinnlos und überflüssig erwiesen.

 

Wir sind dem Gedanken, alles zu verlieren, nicht sehr zugetan. Wir werden sowieso alles verlieren, woran man glaubte, sich festhalten zu können.

Es gibt das langsame Dahinserbeln, in welchem man sich an den bisherigen Wertesystemen seines Lebens festzuhalten versucht. Man erkennt, wie alles Kämpfen vergeblich wird und scheitert kläglich.
Das andere ist das bewusste Sterben. Das ist eine Kunst, die ars moriendi, die Kunst zu Sterben, deren Meisterschaft man nicht von Menschen erwarten kann, die sie während des Lebens nie gelernt hatten. Es ist eine freudvolle Entkrampfung. Das Wirkliche bleibt.

 

Wenn ich wüsste, dass ich nur noch eine einzige Minute zu leben hätte, läge darin eine unglaubliche Intensität drin.

Eine Minute würde reichen, alles loszulassen und sich gänzlich hinzugeben… wenn ich es auch wollte.

Wie viele von diesen Minuten sind schon leer plätschernd durch das Leben gezogen?

 

 

 

 

Scheinpermanenz

 

Wir alle kennen die kindliche Vorstellung: „Alles soll immer bei mir bleiben. Die Mami soll immer bei mir bleiben. Alles, was ich lieb gewonnen habe, soll für immer bei mir bleiben.“

Diese naive Vorstellung hat keine Ahnung vom Leben – und vor allem nicht vom Tod.

Diese Absicht ist aber verständlich aus der Perspektive eines Menschen, der sich selber verloren hat und somit Identitätsgefühl in die Objekte überträgt, die ihn umgeben.

Das Kind, das an der Mutterbrust hängt, hat kein Bewusstsein seiner selbst. Und weil es keinen Eigenwert in sich selbst hat, bietet sich ihm das Nahestehende, das am nächsten liegende Objekt im Aussen an: Der Körper der Mutter.

Diese Mentalität der frühen Entwicklungsgeschichte dieses Körpers hängt uns an. Diese Kompensierung, die Suche im Aussen aufgrund mangelnder Verankerung in der eigenen Identität, ist legitim im Babystadium des Menschseins, wirkt aber grotesk, wenn sie bis ins Erwachsenen-Alter hineingetragen wird.

Eigentlich sucht man nach der Beziehung zu Gott, nach Beständigkeit, nach Friede und Einkehr, aber man lebt noch in der Veräusserlichung des Kindes und will noch immer Identitätsgefühl aus den Dingen und den Umständen gewinnen.

Es ist die gelebte Nicht-Respektierung des Todes, denn im Bewusstsein des Kleinkindes existiert er noch nicht. Allerdings taucht schon sehr bald in der Tiefe das Gefühl nicht vollständiger Geborgenheit auf – beginnend in der körperlichen Abwesenheit der Mutter.

Aber die Mutter ist ja nur ein Symbol für den Greifimpuls nach aussen. Im unerleuchteten Zustand des Kindes haben wir ihn angewöhnt und internalisiert. Man nimmt, was in der Aussenwelt gerade erhältlich ist. Später wird es der Beruf, die Wohnung, Gegenstände, die einen umgeben, die eigenen Kinder, Partner… für jeden Menschen ist es etwas anderes, was er nicht verlieren möchte – was  in seiner Welt nicht sterben soll.

Der Schritt aus dem Kleinkind-Bewusstsein heraus besteht darin, bewusst die Bereitschaft zum Verlieren aufzubringen. Man schaut ganz tief in die potenziellen Verlustobjekte hinein, streift sie von sich ab und bemerkt, dass man ja gar nicht weniger geworden ist. Die latente Grundangst existiert ja gerade WEIL man sich an den Dingen festgemacht hat.

 

Man beginnt sich konkret die Frage zu stellen, was man bereit ist zu verlieren. Wenn die Antwort nicht spontan und ehrlich „Alles“ heisst, dann umklammert man ein Leidenspotenzial.

Wie kann man glücklich und zufrieden leben, wenn man so viel zu verlieren hat? Wie frei und unbeschwert lebt es sich in einem Zustand, in welchem man nichts mehr zu verlieren hat…

Nicht, weil man nichts mehr hat, sondern weil die Bereitschaft zum Verlieren im Bewusstsein erwacht ist, hat eine tiefgreifende Freude Einzug gehalten.

 

 

Ich bin ein Winzling in einem gigantischen Strom, der durch die Zeiten fliesst.

In jeder Sekunde entstehen und vergehen zehntausende von Sternen.

Die Bestandteile unseres Körpers bestehen aus der Asche von vielen Sternengenerationen. Er besteht aus Sternenstaub. Das Universum mit seinem dramatischen Werden und Vergehen ist in unserem Körper gegenwärtig. Es ist praktisch eine Einladung, die gewaltige Vergänglichkeit mitzufeiern.

Wenn der Akt des Festhaltens abgelegt wird, entsteht ein Fluidum. Die Elemente fliessen natürlich durch den Rahmen dieses Körpers hindurch. In dieser inneren Wahrnehmung stellt sich der Versuch ein, diesen Fluss in eine bestimmte Richtung zu lenken oder ihn zu fixieren.

 

 

Liebe Freunde

Es wird nun nicht mehr lange dauern und ich werde diesen Körper ablegen.

All unsere Hoffnungen und Ängste werden wirklich irrelevant werden.

Alle Formen dieser Welt fallen für einen einfach weg für immer.

 

 

Ich verbrachte dieses Leben im Verständnis des Provisoriums und empfand die Welt aus dieser Perspektive des gelösten Hindurchwanderns als viel farbiger und lebendiger als wenn ich mich in ihr einnistete und verknotete.

 

Nun bin ich bereits auf dem Weg nach drüben. Das Allzumenschliche interessiert nicht mehr. Eigentlich war es immer schon leer und schwierig verständlich, wie man so viel Energie für die Besprechung und Kommentierung des Vorbeiziehenden aufgewendet hat.

Das Oberflächen-Bewusstsein glaubte noch lange Zeit an Genesung. Der wirkliche Prozess kann nur geschehen, wenn die Hoffnung des Weiterlebens in diesem Körper gelöscht wird.

Leiden war nicht der Zerfall des Körpers, sondern nur die Hoffnung auf das Weiterleben.

 

Jetzt bin ich mir bewusst, dass ich mich meiner physischen Hülle entwinde. Es ist ein Beobachten in der Ferne, ich könnte, wenn ich wollte, die Abläufe genau einsehen…..wie sich das Blut aus den Gliedern zurückzieht, wie es sich dann im Herzen staut. Wie die Glieder von aussen langsam weniger durchblutet werden und kälter werden, wie sich die Sinne einer nach dem anderen langsam zurückzieht und ihre Funktion einstellen...

 

Dabei würde ich das Bewusstsein aber nur auf das Durchfliessen der Phänomene richten und mich nicht im beobachtenden Selbst verankern.

Die Geschichten und Dramen, die Konzepte und Vorstellungen – all das, womit sich der Geist normalerweise beschäftigt, ist eine Eintrübung des reinen Bewusstseins und der Klarheit der reinen Wahrnehmung. Das Wahrnehmende bleibt immer regungslos, still und wach.

Der Geist ist die Instanz, die sich für das Ich den Menschen ausgibt.

Das Vergessen dessen, was ich wirklich bin, eine unvergängliche Seele, ist das Fundament für die Identifikation mit Zeitweiligem und somit allen Leidens.

Wenn man den Zustand der Gewahrnehmung des Ewigen verlässt, nisten sich endlose Gedanken und Ideen im Bewusstsein ein, die in sich schon Schwerheit sind und welche die ursprüngliche Leichtigkeit meines Seelenzustandes benebeln.

 

 

Alle Kontrolle darf sich nun erübrigen. Nicht Panik, sondern Aufgehobenheit ist die Erfahrung. Was für eine Verzweiflung würde nun eintreten, wenn man sich in einem solchen Augenblick die alten Identifikationen stabilisieren wollte…

 

Dieser Körper, der nun leblos wird, bin nicht ich, sondern nur eine Zusammenballung meiner einstigen Gleichgültigkeit zur Wahrheit.

 

Wie aus der Ferne nehme ich nun wahr, wie die Verbindung zum Körper vollständig unterbrochen wird. Das war der Austritt  aus der leiblichen Hülle.

 

 

Das folgende Gebet aus der Isopanishad (17) habe ich oft gebetet.. nun wird es real.

 

 

Möge meine Lebensluft zurückkehren (eingehen) in den alldurchdringenden unvergänglichen Lebensodem (in das universale Prana, welches alles im Universum bewegt und eine Kraft Gottes darstellt). Möge dieser Körper zu Asche verbrennen!

O mein Herr, erinnere dich an all dies, was ich für dich getan habe (an meine Absichten).

 

Dieser Vers ist ein Gebet an Gott, dass man doch bald diesen Körper ablegen möchte. Die Elemente mögen wieder eingehen in die Gesamtsumme und somit darf sich dieser kleine separat erhaltene Mikrokosmos auflösen. Die Erde des Körpers darf eins werden mit der Gesamtheit der Erde, das Wasser wieder verschmelzen mit allen Gewässern und das prana, die Lebensluft, die den Körper antrieb, auch wieder mit der Gesamtheit des universellen prana verschmelzen. In allen Religionen kennt man die Situation, dass man für die Gesundung eines Kranken oder Verletzten betet. Doch wer hat schon einmal für das Eintreten seines eigenen Todes gebetet? Ist eine solche Person nicht morbid veranlagt?

Wenn die klare Erkenntnis der Unterscheidung zwischen dem sterblichen Körper und der ewigen Natur der Seele im Herzen dämmert, dann verschwindet das Verlangen nach äusseren Freuden und Güterbesitz in der Welt. Anhaftung fällt weg. Sterben ist nichts mehr als das Ablegen eines ausgetragenen Kleides.

 

Im Yoga-sutra (2.8) wird der Wunsch, sein Leben zu verlängern als „klesha“, als Leid bezeichnet.

Jedes ewige Wesen strebt natürlicherweise nach Beständigem. Aber im Zustand des Vergessens überträgt man diesen Kontinuitäts-Wunsch auf das Zeitweilige und möchte hier Zeitlosigkeit erfahren. Der Überlebenstrieb ist nun geboren.

Jedes Geschöpf hat den Willen zu leben, und will an dem Leben hier Festhalten. Dies schafft Verkrampfung und Leiden.  

Was treibt jedes Lebewesen an, sich konstant gegen das Sterben zu wehren? Einerseits sicher eine schlummernde Urerinnerung an die Unvergänglichkeit der Seele, aber auch eine Erinnerung an die leidvolle Erfahrung zu sterben, die man in der Vergangenheit erfahren hatte. Wären wir in der Vergangenheit noch nie gestorben, wäre dieser Impuls, sich gegen das Sterben zu wehren, nicht existent.

 

Das Hängen am Leben kann nicht einfach beseitigt werden durch philosophisches Nachdenken. Erst muss die Avidya, den Deckmantel, der unsere Beziehung zu Gott latent vergessend werden lässt, gelichtet werden. Und dies geschieht durch die Selbsthingabe zu Gott, das Übergeben, sich selber ihm anzuvertrauen.

Diese Sehnsucht nach Gottesdienst, als reine Seele einen Austausch mit Krishna zu erfahren, kann so stark werden, dass das Abinivesha, der Überlebenswunsch, gänzlich aufgelöst wird. Das ist genau, was in diesem Vers beschrieben wird.

Der physische Körper ist ein Symptom des Wunsches nach Gottvergessenheit. Wenn nun die Erinnerung an ihn aus tiefster Freiwilligkeit erwacht, bemerkt man, wie dieses körperliche Gefäss für diese Freude in Gott und Sehnsucht nach Hingabe zu ihm viel zu klein ist. Ein wachsendes kleines Küken zerbricht das Ei, das einfach zu eng für es geworden ist. Dann wird man von Gott eine Form erhalten, die diesem brennenden Wunsch nach Seva (Gottesdienst) angemessen ist: einen spirituellen Körper.

Dieser Vers ist nicht ein Ausdruck der Lebensverneinung, sondern ein Gebet nach der Intensität des Gottesdienstes in einem spirituellen Körper. Dieses Dienenwollen in einem physischen Körper wird immer wieder unterbrochen von Unterhaltsarbeiten des Körpers. Man muss ihm zu essen geben, ihn schlafen legen und ihn auch putzen, was letztlich nur eine indirekte Art des seva darstellt. Das wird wie als einen Unterbruch empfunden. Von Raghunath das Goswami wird berichtet, dass er immer wieder das Schlafen und Essen für mehrere Tage vergessen hatte, um ihm dann wieder einmal ein wenig Schlaf zu gönnen. Franz von Assisi entschuldigte sich bei seinem physischen Körper immer wieder und sagte ihm: „Mein lieber Bruder Esel, es tut mir leid, dass ich dich nicht angemessen schonen kann… die Seele brennt vor Sehnsucht.“ Das ist ein Symptom dieses Intensitäts-Ausmasses von dem dieser Vers hier spricht.

Wenn diese Sehnsucht wieder erwacht in einer Seele, sprengt diese Liebeskraft die körperliche Form, genauso wie eine kleine Glühbirne bei der Durchleitung von 20‘000 Watt zerbersten würde.

Das Ablegen des fremden Gewandes wird nie als Mangel empfunden, sondern wird in dieser Gottesverliebtheit nicht einmal wahrgenommen.

Im Körper ist immer irgendetwas los (irgendwo zieht sich etwas zusammen, drückt etwas, schmerzt eine Stelle… ). Man kann sich endlos damit beschäftigen. Es wäre ein Abstieg in den körperlichen Sumpf.

Die hypochondrische Wahrnehmungsflut aus der körperlichen Welt, die sich uns gewohnheitsmässig ständig aufdrängt, führt nie zu Erkenntnis.

Der Geist braucht Konzentration, Bündlung. Wenn er orientierungslos umherirrt im Labyrinth der Sinneswelt, zerzaust er sich. Ein verzettelter Geist macht unzufrieden, da es ein Symptom ist, noch nichts gefunden zu haben, was ihm andauernde Faszination schenken könnte.

Konzentration ist eine Verdichtung der Aufmerksamkeit.

Der Geist ist angelegt auf die Ausrichtung auf die wunderschöne Gestalt Sri Govindas. Das nennt man dann Meditation.

 

 

Mein Ableben kam überraschend, und auch der Name der Krankheit tut wenig zur Sache. Alles ist nun komplett unbedeutend geworden.

 

Wenn Menschen auf die Frage, was ihnen am wesentlichsten im Leben sei mit „Gesundheit“ antworten, ist das das sicherste Anzeichen dafür, sich im Unwesentlichen verloren zu haben.

Wirkliche Genesung ist das Zurücktreten des Ich-Geistes, der alles manipulieren, kontrollieren und besitzen will und körperliche Gesundheit als willkommener empfindet als körperlichen Zerfall.

Sich im Zustand des Zerfalls der physis Krishna auszuliefern ist genau gleich freudvoll, wie im Zustand momentaner physischer Unversehrtheit, der Gesundheit.

 

Die Dinge, die man sieht, sind lustvoll oder enttäuschend, fröhlich oder traurig, ängstlich, gesund oder krank, banal oder absorbierend, aufregend oder langweilig. Aber derjenige, welcher diese Zustände und Empfindungen erlebt, ist nie ängstlich, freudvoll und deprimiert. Er bleibt einfach frei von allen zeitweiligen Phänomenen, unberührt von Geburt und Tod.

 

Wenn man die Gier nach dem Leben abschüttelt und lernt, dass es gleichgültig ist, ob man lebt oder stirbt, bei dem fällt die Bedeutungszuschreibung, die man einem langen Leben gibt, vollkommen weg und Freiheit ist die Erfahrung.

 

 

Ich habe gerne gelebt mit euch. Ihr wart mir kostbar. Nun verabschiede ich mich von euch. Blasen auf dem Meer, Sandkörner am Strand, Tröpfchen in einer vorbeiziehenden Wolke am Himmel….. das nannten wir Familie, stabilisierte Lebensumstände, eben das „Meine“.

Endlos war die Geschichte – dieses eine Leben war ein Bestreben, Geschichten zu beenden. Dass ich in diesem Leben ein paar kleine Schritte in Richtung der spirituellen Welt und der ewigen Beziehung zu Radha und Krishna machen durfte, gaben diesem Leben tiefsten Wert.   

 

 

 

Plötzlich, still und friedlich, verbunden mit Tränen der Glückseligkeit,  bin ich gegangen.

Es war schön mit euch. Und dennoch bin ich freudig weiter gezogen. Es war kostbar mit euch und dennoch habe ich mich widerstandslos dem Fluss der Zeit übergeben. Wir werden uns nie mehr wieder sehen. Allein diese Erkenntnis machte den Austausch mit euch schon wertvoll.

 

Sterben tut man – es geschieht nicht einfach. Man hat alle Erwartungen in der Zeitlichkeit abgelegt und das Erdenglück hat sämtliche Bedeutung verloren. Das ist der Moment, wo man sich ganz in Radha Krishnas Hände fallen lassen darf.

 

Dieser Moment des Sterbens habe ich in meinem gesamten Leben immer bewusst eingeladen, und er hat mich aus der Banalität des Alltäglichen herausgehoben und mir eine Lebendigkeit geschenkt, welche mich der Heimat entgegen trieb.

Die heiligen Namen Radha und Krishnas sind nicht weniger als Alles.

 

Mit einer letzten Umarmung an euch alle

Eine Seele, die für kurze Zeit diesen Namen trug und diese Rolle spielte – eben den, den ihr gekannt habt.

 

 

Ich war eine Schneeflocke, welche durch das Leben tanzte.

Dann landete ich nicht auf Schnee -  um die Schicht noch dicker zu machen, sondern auf einer zarten Hand – und schmolz dahin.

Da ist keine Spur von Widerstand.

Ein Staubkörnchen macht alle Bewegungen des quirligen Bergbaches mit – und in diesem Nicht-wehren hat es plötzlich die ihm gebührende Freiheit.

Im sinnlosen Versuch, sich seine eigene Bahn zu erschaffen, würde gerade diese Freiheit erstickt.

Die Freiheit lag in der Hinwendung zu Gott und in der eigenen Reaktion auf das Geschehen, nicht aber in dem Zurechtbiegen-Wollen, was unvermeidlich zu geschehen hat. 

Das Absterben dieses kleinen Lebensstrauches hatte eben die Glückseligkeit inne, wenn im Herbst die Bäume alle Blätter loslassen um ihren Lebenssaft in der Wurzel zu konzentrieren.

Verlieren hat nur weh getan, wenn man gewinnen wollte.

Nachdem das kleine Imperium meines Lebens, zu dessen Stabilisierung ich so viel Zeit investierte, zusammenbrach, wird es nicht lange dauern und die Lücke, die ich hinterliess, wird wieder gefüllt sein. Die Welt und ihre Abläufe haben mich nie gebraucht. Diese Erkenntnis mag einige, die ihr Leben als die Bemühung zur Stabilisierung der Umstände verstanden, hoffnungslos und bis hin zu einer Depression führen. Aber wenn man sie widerstandslos annimmt, spürt man augenblicklich eine Erleichterung in ihr. Sie ist ein Tor zur Freiheit. Die Seele versteht es tief. Diese Erkenntnis bereits jetzt integrierend erhält das Handeln eine ganz andere Qualität. Frei von der Selbstbehauptung darf es einfach still geschehen. Das eigene Wertgefühl und die Freude werden nicht mehr mit den Resultaten des Tuns verknüpft.

Ununterbrochene Leichtigkeit durchzieht dann das Gemüt.

 

Die Biographie ist letzten Endes nur die Umschreibung des temporalen Auftritts auf der Lebensbühne.

Viel wesentlicher als das Geborenwerden und Sterben war die Ausrichtung, das, auf was man hinzuging.

                             

 

 

Was ist der Tod?

 

 

 

Tod ist die Erinnerung, an die Möglichkeit, die jederzeit eintreten darf,

dass mir wertvolle Beziehungen enden,

dass Positionen, die ich innehatte, sich auflösen,

dass Errungenschaften, die ich erworben hatte, vergehen,

dass Sicherheit gestört wird,

dass alles, auf was ich mein Leben gestützt hatte, zu Grunde erschüttert wird.

All dies darf geschehen und ich beobachte es aus Entfernung ohne Widerstand zu leisten oder meinen, intervenieren zu müssen.

Darin liegt tiefere Erfülltheit als in der Verklebtheit mit der Oberfläche des Lebens.

 

Der Mensch weiss von seinem Tod. Hat ihn, wenn er nicht verdrängt wird, immer vor Augen.

Es ist nicht irgendein Ereignis des menschlichen Lebens, sondern all das, was man im Alltagsbewusstsein als „sein Leben“ bezeichnete, wird durch ihn ganz verschwinden.

 

Krankheit, Leid, Unwissenheit, Unvermögen, Ohnmacht – all das sind Erfahrungen, die uns die Begrenztheit dieses Lebens verdeutlichen.

Tod ist das sichtbarste Zeichen menschlicher Endlichkeit.

 

Der Tod stellt den Menschen in allem Tun in Frage. Erst in der Begegnung mit ihm zeigt es sich, ob das Leben gelingt oder nicht, ob man einen Inhalt lebt, der auch im Moment des Todes Gültigkeit behält.

 

Im Vergessen seiner Seele betrachtet man das Geboren-werden und Sterben seines Körpers als sein eigenes Geboren-werden und Sterben.

Und so werden plötzlich irgendeine Frau und irgendein Mann als seine Eltern betrachtet….

Es ist immer wieder erstaunlich, in was für Geschichten einem das Vergessen hinein zu verwickeln vermag.

 

 

Warum gibt es den Tod?

Er ist das Anzeichen, dass wir nicht im Wirklichen leben.

 

 

 

 

 

Ende

 

Die Angst, welche als Todesangst das gesamte Leben überschattet, hat nur solange ihren Bestand, bis wir sie nicht berühren und ihr nicht begegnen. Denn da erkennt man, dass man auch im Sterben gar nichts verlieren wird. All das, was man meint, zu verlieren, hat einem gar nicht gehört.

 

So ergeht es dem Tod: den normalen Menschen muss er holen. Nur der verinnerlichte Mensch lädt ihn ein.

 

Wenn der Tod an die Türe klopft, verriegeln viele die Tür. Schliessen die Fensterläden zu. Sitzen zitternd und ängstlich irgendwo im Zimmer.

Dann werden sie noch wütend und schlagen von innen gegen die Türe: „ich mach dich fertig!“ Man wollte dem Tod entkommen – und es hat Totes erzeugt – die innere Stumpfheit.

Aufgrund dieser Todesverdrängung entsteht eine Lebensverdrängung. Die Wunde der Sterbeverneinung blockiert das Leben.

 

Der Überlebenstrieb verbietet die Möglichkeit, dass man ihm auch die Türe öffnen könnte. Denn die Identifikation mit körperlichen und mentalen Welten glaubt, den Tod einzulassen wäre das Schlimmste, was überhaupt passieren könnte.

Wenn Leben auf einer tieferen Ebene erkannt wird, als ewige Seele in welcher die Gottesbeziehung kreatürlich angelegt ist, wird man nie weniger in der Umarmung des Todes. Aber endlose Lasten und Ängste haben sich erübrigt.

 

Nama sreshtam manum api……